Start Magazin Geschichte/n Prozession gegen Antisemitismus: „Nie wieder“

Prozession gegen Antisemitismus: „Nie wieder“

„Der Glaube an den einen Gott sollte uns einen und nicht trennen“, betonte Heinz Spelthahn, Vorsitzender der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz, auf der Gedenkfeier an die Pogromnacht vom 9. November 1938 vor über 100 Anwesenden. Vor 40 Jahren fand zum ersten Mal die Veranstaltung vor der Gedenkplakette in der Straße „An der Synagoge“ statt – dort wo einst die Synagoge in Jülich stand. Treibende Kräfte waren damals Hilda Swalve und die damaligen Pfarrer Dr. Thomas Kreßner von evangelischer sowie Dr. Peter Jöcken von katholischer Seite.

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Foto: Arne Schenk
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„Es ist unsere Aufgabe“, unterstrich Spelthahn, „ein ‚Nie wieder‘ auch durch unsere persönliche Zivilcourage zu erreichen. Heute ist ‚nie wieder‘.“ Dabei wertete Spelthahn insbesondere die Anwesenheit von Dr. Syed M. (Muhammed) Qaim, Vertretung des islamischen Zentrums Jülich, als hoffnungsvolles Zeichen. Dieser sprach gemeinsam mit Pfarrerin Elke Wenzel von der Evangelischen Kirchengemeinde Jülich, und Ralph Loevenich, Schulseelsorger der Katholischen Pfarrei Heilig Geist Jülich, ein Friedensgebet. Anschließend erinnerte sich Qaim, der seit über 50 Jahren in Jülich lebt, wie er vor 27 Jahren und er im Namen der Muslime bereits die Namensgebung der Straße „An der Synagoge“ mitgefeiert habe.

Seit diesem Jahr sind zudem die Schülerinnen und Schüler aller Jülicher Schulen eingeladen, die Veranstaltung am 9. November aktiv mitzugestalten, erklärte Timo Ohrndorf, stellvertretender Vorsitzender der Jülicher Gesellschaft. Die Sekundarschülerinnen und -schüler der 9. Klasse verglichen die Jetztzeit von 2023 mit 1933, in denen sie viele Parallele entdeckten: Überall seien Hakenkreuze zu finden, auch derzeit in Jülich, Aldenhoven, Titz, Linnich, Niederzier und anderswo auf Grabsteinen, Wänden, Straßen und Wegen sowie „SS“-Zeichen auf Straßenlaternen, in Überführungen und an Brückenpfeilern sowie Parolen wie „Juden raus“ oder „Sieg heil“ an Stromkästen, Mauern und Zäunen genau so wie an Schulen, Kitas und Eingängen zu Gedenkstätten. Trotz Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten nix gelernt? Diese Frage stellten sie in den nächtlich-nassen Raum. Als Vertretung der Sekundarschule seien sie dort, um zu demonstrieren, dass jungen Menschen im Jülicher Land und anderswo demokratische Werte wie Demokratie, Menschenwürde, Respekt, Toleranz etwas bedeutet und sie sich dafür stark machen.

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Foto: Arne Schenk
„Der Schutz jüdischen Lebens ist Staatsaufgabe und er ist Bürgerpflicht“, zitierte Timo Ohrndorf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auch rechnete er es den Jugendlichen von Sekundarschule und Gymnasium Zitadelle hoch an, die an dem Abend vor Ort waren, um eigene Gedanken zu dem Gedenken zu äußern. „Ihr seid heute Abend hier, um Euch einzusetzen: gegen das Vergessen der Verbrechen des NS-Regimes, für das Gedenken der Opfer des Holocausts, für den Schutz unserer Demokratie.“ Damit setzten sie nicht nur ein Zeichen in Anbetracht der aktuellen Lage, sondern auch in den Zeiten, in denen Rassismus und Antisemitismus in den sozialen Medien verbreitet werden und sie somit zu den Zielgruppen gehörten. „Ihr seid genau so wie wir dafür verantwortlich, wie es mit unserer Demokratie weitergehen wird. Habt keine Angst vor der Zukunft! Werdet aktiv! Auch das Wetter kann uns nicht davon abhalten.“

Foto: Arne Schenk
Immerhin wurde der Regen während der Veranstaltung fortlaufend stärker. Den Großteil der Beteiligten schien dies jedoch nicht davon abzuhalten, dabei zu bleiben und anschließend zum Propst-Bechte-Platz zu laufen, um dort vor dem Mahnmal weiteren Vorträgen zu lauschen. Auch wenn keine wirkliche Lichterprozession zustande kam: Die Kerzen konnten nur vereinzelt am Brennen gehalten werden.

Zum gemeinsamen Singen von „Shalom chaverim“ („Frieden sei mit Euch, Freunde“) stimmte Kantor Christof Rück von der Pfarrei Heilig Geist am E-Piano an, während Klaus Dieter George auf der Klarinette mit der israelischen Nationalhymne „haTikwa“ (die Hoffnung) und dem hebräischen Volkslied Havah Nagilah an der Synagoge und am Mahnmal eine nachdenkliche Stimmung verbreitete.

Foto: Arne Schenk
Mit ihrer Lehrerin Carina Asikan äußerten sich auch Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 10 des Gymnasiums Zitadelle besorgt darüber, dass die letzten zwei Wochen gezeigt habe, wie der Antisemitismus in Deutschland um sich greift und offenbar immer stärker wird und unverfroren nach außen dringt. Frieden, ein Miteinander und Toleranz auf allen Ebenen wurde herbeigesehnt. „Wir reden von Toleranz und sehen Ausgrenzung. Wir reden von Integration und sehen Ausgrenzung. Wir reden vom Frieden und sehen Krieg. Ich will nicht mehr reden, sondern sehen, dass wir in Zukunft etwas ändern.“

Beigeordneter Richard Schumacher spricht in Vertretung des Bürgermeisters. Foto: Arne Schenk
Der Jülicher Beigeordnete Richard Schumacher gedachte stellvertretend für Bürgermeister Axel Fuchs anlässlich des 85. Jahrestag der Pogromnacht, als in ganz Deutschland Synagogen in Brand gesetzt und jüdische Geschäfte, Wohnungen und Einrichtungen zerstört wurden, der Opfer des Nationalsozialismus und erinnerte an die systematische Ermordung der jüdischen Bürger. Große Teile der Bevölkerung seien an den Verbrechen beteiligt gewesen. Nur wenige stellten sich dem entgegen. „Auch für unsere Stadt sind diese grausamen Ereignisse nachgewiesen.“ So wurde das einst lebendige jüdische Leben schrittweise ausgelöscht.

„Mehr denn je ist es heute nach 85 Jahren erforderlich, dass wir für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere offene Gesellschaft einstehen.“ Damit verwies er auf die barbarischen Angriff der terroristischen Hamas auf Israel, die darauf abziele, den israelischen Staat zu vernichten. Diese anhaltenden Auseinandersetzung veranschaulichen nachdrücklich, dass Antisemitismus auch heute noch gegenwärtig ist. Die Auswirkungen seien auch in Deutschland spürbar, wo Angriffe auf jüdische Einrichtungen und Geschäfte, Drohungen gegenüber jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sowie antisemitische Äußerungen deutlich zugenommen hätten, so dass diese sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlten. „Diese Situation ist unerträglich und nicht zu tolerieren.“ Auch er proklamierte die von der Landesregierung ausgegebene Parole: „‚Nie wieder’ ist jetzt.“ In Deutschland und insbesondere in Jülich, wo über 100 Nationen friedlich miteinander und füreinander zusammenlebten, dürfen Antisemitismus keinen Platz finden.


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