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Wer? The Who! Flying Circus und Tommy

Die Rockoper Tommy komplett aufzuführen, ohne einen einzige Song auszulassen, und als kleinen Bonus auch noch ein kurzes Best-of der von The Who mitzubringen – diese Idee klingt schon reichlich wahnwitzig. Die Jungs von „Flying Circus“ wissen aber ganz genau, worauf sie sich damit einlassen. Im Umgang mit Rock-Klassikern haben sie tutto completto oder auch als Teilbesetzung „Thin Crow“ mehrfach ihre eindrucksvollen Fähigkeiten unter Beweis gestellt.

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Fotos: Volker Goebels
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Haben sie sich mit ihrem brandaktuellen eigenen Album nicht nur vom Titel her dem politisch wie musikalisch ereignisreichen 1968 genähert, reisten Flying Circus auf ihrer Tommy-Tour, die sie unter anderem auch in den Jülicher Kulturbahnhof führte, in das Folgejahr, als das britische Quartett Maßstäbe setzte, indem sie auf vier Plattenseiten hinweg versuchten, zeitgenössische Klänge nach Regeln des Opern-Genres aufzubereiten: Instrumentale Teile inklusive Overtüre, ein umfassendes zentrales Thema, ein traumatisierter Held, der seinem Dilemma zu entkommen versucht, Heilung erfährt und dessen durch die Selbstüberhöhung der Fans verursachte Hybris zuletzt von diesen zerstören lässt.

Die Musik wiederum bietet ein Sammelsurium aus Sixties-Pop, Hardrock-Riffs mit Blues- und Vaudeville-Elementen sowie epischen Musical-Melodien. Dies birgt die Gefahr, bei der Umsetzung zuweilen die Ernsthaftigkeit zuweilen vermissen zu lassen, also in Sachen Werktreue es nicht ganz genau zu nehmen, so dass die favorisierten Stücke zu sehr in den Vordergrund geraten und das Beiwerk ein wenig lieblos behandelt wird. Diese Klippe umschifften Flying Circus mit Bravour.

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Selbst bei geschlossenen Augen breitete sich die ganze Dynamik des Opus‘ aus, Drummer Ande Roderigo und Bassist Roger Weitz sorgten auch bei ruhigen Passagen für den nötigen Druck, Keyboarder Rüdiger Blömer holte die dazugehörigen Sounds aus den Tasten, während Gitarrist Michael Rick die fetten elektrischen Bratklänge genauso wie die sanften akustischen Zwischentöne einstreute.

Es benötigt ohnehin einen Michael Dorp, um die Bandbreite eines Roger Daltreys hervorzuzaubern. Sogar in seinen besten Sangeszeiten hatte letzterer Probleme bei allzu hohen Passagen der Studioproduktion und variierte dann in tieferen Regionen, wohingegen Dorp nahezu 1:1 die Originalliteratur interpretierte. Das einzige wirkliche Manko liegt in der Bühnen-Präsenz.

Wer die Original-Who jemals live sehen durfte, bekam auch ein optisches Spektakel serviert: Roger Daltreys Mikrophonwirbeln, Pete Townshends Sprüngen in den Doc-Martin-Stiefeln und die Windmühlentechnik mit seiner Schlaghand, Keith Moons exaltiertes Schlagzeugspiel inklusive ständiger Faxen und John Entwhistles stoisches Bassspiel, bei dem sein aufrechter Körper nur langsam bewegte, während die Finger sich ungleich schneller zwischen den Saiten und auch darüber hinweg bewegten, ganz schweigen von der spontanen Gitarren- und Drumsetzerstörung.

Dies war aber auch der einzige Wermutstropfen. Musikalisch gab es wenig zu meckern. Von der Overture über Christmas, Pinball Wizard, I‘m free und Sally Simpson bis zu We‘re not gonna take it spielte sich die Band durch eine Tour de Force ohne größere erkennbar Mängel und erzeugten ein herrliches Nostalgie-Gefühl bei den Zuschauern.

Gut voll war die Veranstaltung, aber offenbar leider nicht ausverkauft. Vermutlich können gerade jüngere Semester nicht viel mit den Namen „The Who“ und „Tommy“ anfangen. Wer? The Who? Vielleicht hätte die Werbung mit bekannten Krimi-Serien namedroppen sollen, wo „Won‘t get fooled again“, „Baba O‘Riley“ („Teenage Wasteland“) oder „Who are you“ (das die Band allerdings nicht spielte) als Erkennungsmelodien benutzt werden.

Die beiden erstgenannten Songs gehörten zu dem „Aufwärm-Set“, mit dem Flying Circus das Konzert begonnen hatte. Dadurch beleuchteten sie auch andere Schaffensphasen der Briten. Frühwerke wie „Can‘t explain“, „Substitute“ oder als Zugabe „My Generation“ wurden dabei ebenso berücksichtigt wie die zweite Rockoper „Quadrophenia“ aus dem Jahr 1973 mit „The real me“ und „Love reign o‘er me“ oder auch das Lifehouse-Projekt mit „Behind blue Eyes“ sowie genannten „Baba O‘Riley“ und „Won‘t get fooled again“.

Dadurch, dass bis auf „My Generation“ alle bereits zu Beginn präsentiert worden waren, hatten sie ihr Pulver bereits verschossen, als ein restlos begeistertes Publikum noch eine weitere Kostprobe verlangten. So mussten sie in ihre Kiste greifen und noch einmal „The real me“ herausholen mit der Bemerkung, dass die Rock-Oper „Quadrophenia“ 2023 ebenfalls das 50-Jährige feiern wird. Eingebunden war das unausgesprochene, aber nichts desto eindeutig zu verstehende Versprechen, Flying Circus womöglich dann damit live erleben zu können.

Fotos: Volker Goebels


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