Sie lacht gerne, wobei das Strahlen den ganzen Menschen auszufüllen scheint, und sie liebt Geschichten. Dabei könnte Lioba Werrelmann selbst Protagonistin eines Romans sein. Mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen, wird sie als Kleinkind operiert, wächst „mit dem Duft frisch gebackener Brötchen und dem wohligen Bullern des Ofens direkt unter dem Kinderzimmer auf“, wie sie es selbst beschreibt. Ihre Eltern haben eine Bäckerei im Jülicher Nordviertel, wo Lioba und ihre zwei Geschwister in der Freiheit und Unbekümmertheit einer intakten Nachbarschaft im und um „den Wendehammer“ aufwachsen. „Wir mussten abends um halb sieben zum Essen zu Hause sein, aber ansonsten gab es wenig Kontrolle und wenig Vorschriften – das war ein super Kinderleben“, erinnert sie sich. Zum Haushalt gehört außerdem die Schildkröte Hilda, der eigentlich ein Männchen ist, was die Familie aber viel zu spät herausfindet. Und schon wieder erklingt das ansteckende Lachen und dann erzählt Lioba Werrelmann, als sie – damals schon Jülich entwachsen – von den Eltern alarmiert nach Jülich kam, weil Hilda ausgerückt war. „Da krochen schon zwei Nachbarn auf allen Vieren durch ihre Gärten, weil auch sie Hilda suchten.“ Immer mehr Nachbarn schlossen an, schließlich sei sogar ein Hundehalter angesprochen worden, der seinen Vierbeiner auf die Fährte von Hilda setzen sollte. „Es ging mir so das Herz auf! Ich dachte: Ja, das ist Jülich.“
Ganz nebenbei erprobt sich die Grundschülerin Lioba als Autorin. „Seit ich schreiben kann, schreibe ich“, sagt sie lächelnd. Und ziemlich bald stellte sich der Erfolg ein: Als Viertklässlerin schrieb sie ein Bühnenstück, das in der Aula der Katholischen Grundschule als Marionettentheater aufgeführt wurde und im Wettbewerb „Ferienreporter“ der örtlichen Tagespresse gewann sie und durfte als Gymnasiastin im Hallenbad den Versorgungsleitungen auf die Spur kommen. Zum Dank gab es ein „Ivanhoe“-Buch bekommen, das heute noch in einem Regal der Kölner Wohnung steht. Bei der Jülicher Zeitung fing sie als 18-jährige rasende Reporterin an, rauschte mit dem R4 durch die Lande und genoss es. Der Anfang des Journalistenlebens, das vor dem Leben als Autorin stand.
Das Leben in ihrer Heimatstadt habe sie schon geprägt, sagt sie auf Nachfrage. Wer Lioba Werrelmanns Bücher kennt, der wird einiges wiederentdecken, auch wenn die Geschichten in Großstädten angesiedelt sind. Hat die Leserschaft demnächst wohl die Gelegenheit, auch eingeflochten in einen neuen Roman etwas von dem amüsanten nachbarschaftlichen Leben in einer Kleinstadt literarisch eingeflochten zu lesen? „Da könnten Sie ziemlich haarscharf recht haben“, sagt die Autorin lachend und gibt bekannt, dass sie just am Vortag den Vertrag für ein neues Buch unterschrieben hat. Es wird ihr fünftes Buch werden.
Angefangen hat alles mit einem Sachbuch, ausgelöst durch die größte Krise ihres Lebens: Die Spätfolgen des angeborenen Herzfehlers machten sich lebensbedrohlich bemerkbar, als Lioba Werrelmann auf dem Zenit ihrer Karriere war, wie sie sagte. Der freien Mitarbeit unter anderem beim Kölner Stadtanzeiger, Praktika bei der „taz“, Deutschlandfunk, und dem Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst, folgte der Coup, unter 1000 Bewerbern einen der begehrten 10 Plätze für ein Volontariat beim WDR zu ergattern und inzwischen war sie als 40-jährige in Berlin als Korrespondentin im Hauptstadtstudio angekommen. „Erwachsene mit angeborenem Herzfehler“ – kurz EMAH – hatten zu jener Zeit keine Lobby, zu wenig war über Behandlungen bekannt. Erst gar nicht und dann falsch, so Werrelmann, sei sie behandelt worden. Und dann kam der Entschluss: „Ich war so schwach, ich konnte kaum gehen, aber ich dachte, ich muss das aufschreiben. Ich muss diesen Menschen wie mir, eine Stimme geben. Ich bin Journalistin und ich kann berichten.“ So entstand das Buch „Stellen Sie sich nicht so an“. „Das wurde dann meine Mission.“ Inzwischen engagiert sich Lioba Werrelmann in zwei Stiftungen, in zwei Kuratorien, in denen sie sich um Menschen mit angeborenen Herzfehlern kümmert, hält Vorträge, Seminare für angehende Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger und Symposien. Einen Preis gibt es für den Erstling nicht, das gelingt erst mit dem ersten fiktive Buch – auch wieder geboren aus einer Krise.
Umstrukturierungen beim WDR fällt die „geliebte Stelle“ von Lioba Werrelmann zum Opfer, Zwar bleibt sie als Hörfunkredakteurin in Diensten des WDR, stellt sich aber angesichts des geänderten Arbeitsumfeldes die Frage: „Was war eigentlich mein Traum? Schriftstellerin! Ich wollte immer Krimis schreiben und dann habe ich angefangen, ,Das Hinterhaus‘ zu schreiben.“ In wenigen Wochen entsteht das Buch. „Die Wörter sind so aus mir rausgeflutscht“, grinst die Autorin. „Sprechsprache“ nennt Lioba Werrelmann dieses Stilmittel und genau dafür gibt es den Friedrich-Glauser-Preis für das beste deutschsprachige Krimiedebut. „Wenn wir heute über Herzoginnen, Heldinnen, starke Frauen sprechen, dann glaube ich, ist das der Trick: Dem Herzen folgen! Das ist immer so einfach gesagt, und tatsächlich brauchte ich mehrere Krisen, bis ich meinem Herzen wirklich gefolgt bin und dann wurde es ausgezeichnet mit diesem renommierten Preis. Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich daran denke.“
Glänzende Augen bekommt Lioba Werrelmann auch, wenn sie über „Das Trümmermädchen“ spricht, ihr jüngstes Werk. Seit sechs Wochen steht es nun schon auf der Spiegel Bestsellerliste. Ein Überraschungserfolg. Veröffentlicht hat sie es unter dem Pseudonym Lilly Bernstein. „Wenn ein Autor unterschiedliche Genre bedient, nimmt man ein Pseudonym, um sie zu trennen. Aber es ist ein offenes Pseudonym, es steht ja überall drunter, dass ich das bin.“ Mit Lilly Bernstein – der Name ist inspiriert von ihren beiden Katzen Lilly und der bernsteinfarben zweiten – hat Lioba Werrelmann eigentlich den Ritterschlag als Autorin erhalten. Denn nicht sie hat sich beim Ullstein-Verlag mit dem Buchprojekt beworben – der Ullstein-Verlag hat bei ihr angefragt, ob sie ein historisches Buch schreiben wolle. „Das war auch wieder in einer Phase meines Lebens, wo ich überhaupt nicht damit gerechnet habe und ich eher mit nichts Gutem mehr rechnete.“ Und das ist schließlich auch ihr Fazit: „Wenn man nicht an sich selbst glauben kann, dann braucht man Menschen, die an einen glauben. Ich hatte immer in meinem Umfeld Menschen, die an mich geglaubt haben. Im privaten Umfeld, aber auch den Verlag, der anruft und fragt. Wenn man gerade nicht an sich selbst glauben kann, dann ruhig denen vertrauen, die an einen glauben – die haben ja einen Grund dafür.“