Start Nachrichten Brauchtum Goldener Martin

Goldener Martin

Ritterlich sollte ein St. Martin sein. Ein Edelmann, der neben guten Manieren auch Empathie in seiner Persönlichkeitsbeschreibung hat. Wer Reiner Winters begegnet, spürt, dass er die Rolle verkörpert.

304
0
TEILEN
Reiner Winters reitet seit 50 Jahren als St. Martin in Lich-Steinstraß. Foto: privat
- Anzeige -

Er ist charmant und zugewandt, interessiert und interessant und allem Anschein nach bringt ihn nichts aus der Ruhe – nicht einmal stolpernde Kellnerinnen, die Vorspeisen über dem Gast ausgießen. Es zerknautscht ihm nicht die Gesichtszüge, vielmehr hat er einen freundlich-neckenden Satz auf den Lippen und beruhigt die aufgeregte Serviererin. Also im Grunde kein Wunder, dass die Wahl bei der Besetzung des „St. Martins“ auf Reiner Winters gefallen ist. Das ist inzwischen 50 Jahre her. Zu einer Zeit, als Lich und Steinstraß noch keine Stadtteile von Jülich waren.

Angefangen hat alles am 6. Dezember. „Ganz spontan musste ein Nikolaus her, da habe ich mir eine weiße Tischdecke umgelegt, etwas Watte im Gesicht befestigt und aus der Lameng die Rolle übernommen“, erzählt Reiner Winters. Im Folgejahr trug man ihm dann die „Stelle“ als St. Martin an. Dass er ihr 50 Jahre treu bleiben würde, war ihm da natürlich noch nicht klar. Weder die Zeit in Köln, wo er sich zum Betriebswirt ausbilden ließ, noch die Umsiedlung und seine Berufstätigkeit im Forschungszentrum Jülich hielten ihn davon ab, im November den wichtigsten Ritt des Jahres zu absolvieren – sicher geführt, denn tatsächlich ist Reiner Winters auch nach fünf Dekaden eher ein vom Pferd Getragener, denn ein Reiter. Das überlässt er seiner inzwischen erwachsenen Tochter. Vieles habe sich in den 50 Jahren verändert. Nicht nur räumlich durch die Umsiedlung. Das Martinsfest, das empfindet der heute 71-Jährige doch deutlich, hat seine Wertigkeit eingebüßt. Das sagt er in Erkenntnis, nicht im generationsmotivierten Jammerton.

- Anzeige -

Nostalgisch erinnert er sich an die Zeit, als in Alt-Lich-Steinstraß die ganze Schule sich aufstellte – jahrgangsweise. Die Kinder hatten in den Klassen oder zu Hause mit der Familie ihre Laternen gebastelt. Apropos: Reiner Winters berichtet, wie die ganze Familie inklusive der Großeltern den Moment erwarteten, da die Tüte prall gefüllt zu Hause angekommen sei. Jeder habe etwas davon abbekommen. „Denken Sie an die berühmte Apfelsine, die bei uns drin war!“ In Zeiten, in denen bereits im September die ersten Spekulatius in den Regalen der Geschäfte liegen, sei dieser Reiz natürlich überholt. Durch den neuen Ort, den Wegfall der dorfeigenen „Moppebäcker“– nach dem Umzug auf die Merscher Höhe gab es nur noch einen in Lich-Steinstraß – und das wachsende, gut beworbene Angebot in den Supermärkten und Discountern, war die „süße Tüte“ nicht mehr das außerordentlich Besondere.

Auch die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft ist sichtbar. Das lässt sich an der Zahl der Kinder und Familien nachhalten, die vor dem Martinszug in St. Andreas und Matthias die Einstimmung besuchen. Hier versucht Reiner Winters den Wert dieses christlichen Brauchtums zu vermitteln. „Teilen bedeutet immer etwas abgeben. Man muss sich von irgendetwas trennen. Und was kann ich tun, ohne mich selbst zu schädigen, aber den anderen glücklich zu machen? Ich kann natürlich auch Zeit teilen. Der erste Schritt ist, etwas zu tun.“ Ein weitere Punkt sei, dass Halloween sich wachsender Beliebtheit erfreut – den „Martin“ freut das dagegen nicht.

Wer so umtriebig und spontan ist wie Reiner Winters, der ist natürlich nicht nur als „Martin“ unterwegs: Den FC Köln Fanclub in Lich-Steinstraß hat er mit aus der Taufe gehoben, ist Ehrenmitglied bei der freiwilligen Feuerwehr, Ehrenoffizier bei den Schützen – denen er auch schon den König „gab“, Ehrensenator, Ehrennadelträger der KG Maiblömche, für die er schon einmal die „Prinzenrolle“ übernahm. Der musikalische Autodidakt verstärkte den Tambour-Corps des Ortes mit der Querflöte, trommelte auch und griff zur Konzertflöte. „Dann spiele ich ein bisschen Keyboard. Das reicht für Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern, Seniorenfeiern und das erste Fest für Ausländer in Zusammenarbeit mit Friederike Doose. Das habe ich auch moderiert“, zählt Reiner Winters auf. Mit „dem Maulwerk“, sagt er augenzwinkernd, sei er immer vorneweg gewesen. Das galt bei der legendären Jülicher Hochzeit ebenso wie für die Zitadellenfeste, die er als Moderator begleitete, ebenso wie die Eröffnung der Landesgartenschau 1998.

Foto: privat

In diesem Jahr steigt Reiner Winters zum letzten Mal auf sein Martinsross. Dann trägt er zum letzten Mal seine schwere römische Rüstung und den Helm mit Federbusch. Nachdem er peinlich berührt von der ersten Gewandung war, von der er sagt „die hätte ich nicht mal im Karneval tragen wollen“, hatte er sich mit den Jahren diese weitgehend authentische Bekleidung zugelegt. Dazu gehört auch der Bart. „Eigentlich waren die römischen Soldaten ja bartlos. Als ich das in einem Jahr versucht habe, gab es einen Riesensaufschrei“, erzählt Winters und grinst. Anfangs trug er einen „gekauften“ Bart, den er in Köln gefunden hatte. mit Spezialkleber zu nehmen. Die Anbringung der „Bartwolle“ mit Spezialkleber war für ihn eine Tortur und Vater Matthias hatte ihn dafür rücklinks auf den Küchentisch gelegt. Beim späteren Verteilen der Tüten im Schulgebäude griff ein Kleinkind die Tüte mit samt Bart. Es folgte ein Desaster und eine Verfolgungsjagd, denn weder Kind noch Mutter hatten gemerkt, dass sie den „Martinsbart“ mitgenommen hatte. Das konnte später nicht mehr passieren, denn immer wenn der Martinsabend nahte, ließ sich Reiner Winters einen echten Bart stehen.

Was wird jetzt aus Rüstung und Gewand? Bekommt sie der nächste „St. Martin“ von Lich-Steinstraß als Erbe? „Das weiß ich noch nicht“, sagt Reiner Winters nachdenklich. Den gibt es nämlich noch nicht. Was fehlt, ist ein Nachfolger.

Foto: pixabay

Morgen geht der erste Martinszug im Stadtgebiet Jülich. Folgende Züge sind unterwegs (ohne Gewähr auf Vollständigkeit):

4. NOVEMBER, MONTAG
17.30 Uhr Barmen, St. Martinus; Einstimmung gestaltet vom Kindergarten
5. NOVEMBER, DIENSTAG
18 Uhr Nordschule, Berliner Straße
18 Uhr Selgersdorf, Ab Schützenhaus Am Elsenkamp / Ecke Altenburger Straße
6. NOVEMBER, MITTWOCH
18 Uhr Welldorf, Treffpunkt St. Hubertus Kirche
18 Uhr Koslar, Treffpunkt Grundschule
8. NOVEMBER, FREITAG
18 Uhr Bourheim, Beginn mit einer Andacht; 17.45 Uhr an der Kirche
18 Uhr Mersch-Pattern, Treffpunkt St. Agatha Mersch
18 Uhr Güsten, St. Philippus und Jakobus, Beginn mit einer Feier in der Kirche
18.15 Uhr Lich-Steinstraß, Treffpunkt St. Andreas und Matthias. Um 18 Uhr findet eine kurze Andacht in der Kirche statt. Im Anschluss ist dann der Zug ab Matthiasplatz und endet mit dem Martinsfeuer. Im Anschluss ist die Ausgabe der Martinstüten in der Bürgerhalle.
10. NOVEMBER, SONNTAG
17.30 Uhr Daubenrath, ab Bürgerhalle,
14.15 Uhr Start mit 1. Dorf-Weckmann Essen in der Bürgerhalle
12. NOVEMBER, DIENSTAG
18 Uhr Altenburg, Treffpunkt St. Hubertus Kapelle
14. NOVEMBER, DONNERSTAG
18 Uhr GGS Süd, Promenadenschule

TEILEN
Vorheriger ArtikelEnergiewende made in Jülich
Nächster ArtikelJazz für Mitspieler
Dorothée Schenk
HERZOGin mit Leib und Seele. Mein HERZ schlägt Muttkrat, Redakteurin gelernt bei der Westdeutschen Zeitung in Neuss, Krefeld, Mönchengladbach und Magistra Atrium der Kunstgeschichte mit Abschluss in Würzburg. Versehen mit sauerländer Dickkopf und rheinischem Frohsinn.

§ 1 Der Kommentar entspricht im Printprodukt dem Leserbrief. Erwartet wird, dass die Schreiber von Kommentaren diese mit ihren Klarnamen unterzeichnen.
§ 2 Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.
§ 3 Eine Veröffentlichung wird verweigert, wenn der Schreiber nicht zu identifizieren ist und sich aus der Veröffentlichung des Kommentares aus den §§< 824 BGB (Kreditgefährdung) und 186 StGB (üble Nachrede) ergibt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here