Die Sommerausgaben des HERZOGs hießen: Versetzen – Aussetzen – Einsetzen. Bei Ihnen wäre ja eine andere Reihenfolge richtig. Was fällt Ihnen zu diesen Begriffen ein?
Wissenschaft will und kann Berge versetzen, wenn man die richtigen Personen an Bord und förderliche Rahmenbedingungen geschaffen hat. Dabei auszusetzen, ist meine Sache nicht, der Reiz des Neuen und die Möglichkeit des Gestaltens sind zu verlockend. Einsetzen müssen wir uns alle am Forschungszentrum, jede und jeder an seinem Platz, ob in der Wissenschaft oder in den unterstützenden Bereichen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu schaffen und zur Wirkung zu bringen, ja, um letztlich unsere Lebensbedingungen hier vor Ort und global zu verbessern.
Wo waren Sie besonders gerne im Einsatz? Und / oder: Welcher Einsatz war besonders aufregend?
Immer dann, wenn es im direkten Zusammenwirken mit Kolleginnen und Kollegen und mit Partnerinnen und Partnern galt, Ideen zu schmieden und Wege zu finden, wie wir unsere Wissenschaft noch besser und wirksamer machen können. Ein Highlight waren sicher die vielen Beratungen zur zukünftigen strategischen Aufstellung unserer Forschungsthemen zu Beginn meiner Tätigkeit am Forschungszentrum, die dann zu unserer Strategie 2025 geführt haben. Wir haben uns den Leitbegriffen Konvergenz und Kohärenz entsprechend zur Konzentration unserer Aktivitäten zu zwei großen Schwerpunkten, Information und Energie, bekannt und die Nachhaltige Bioökonomie als Wachstumsbereich definiert. Die Umsetzung der Strategie 2025 hat noch mehr Freude gemacht als deren Formulierung. Neue Bereiche, wie das Quantencomputing und das Neuromorphe Computing, sind entstanden und haben sich sehr gut entwickelt. Die Hirnforschung wir eng mit dem Supercomputing verschränkt und damit die Tür zu neuen Erkenntnisprozessen aufgestoßen. In der Energieforschung haben wir die Bereiche, die für das Gelingen der Energiewende relevant sind, mit einer systemischen Perspektiven weiter gestärkt. Hier sind insbesondere Wassserstoff- und Power-to-X-Technologien zu nennen, die viele unserer Kernkompetenzen in den Materialwissenschaften, in der Elektrochemie, in den Simulations- und Datenwissenschaften und in der Klimaforschung miteinander verbinden.
Wie sind Sie mit unserer heimischen „Muttkrat“ parat gekommen?
Natürlich zeichnen sich Schwaben und Rheinländer durch ganz unterschiedliche Eigenschaften aus. Diese Unterschiede habe ich nicht nur kennen und schätzen gelernt, sondern mir das eine oder andere im Rheinland besonders Kultivierte auch zu eigen gemacht. Frohsinn, Leichtigkeit und Listigkeit sind Eigenschaften der hiesigen Muttkrat, die das Miteinander gleichermaßen angenehm wie manchmal auch herausfordernd gemacht haben. Gleichwohl haben wir immer zusammengefunden, die gemeinsamen Interessen im Blick und die komplementären Stärken im Sinn, und haben so manches Ziel gemeinsam erreicht. Das soll auch so bleiben.
Etwas, das Ihren Einsatz besonders gefordert hat, war der Strukturwandel. Welchen Einsatz braucht es vonseiten der Menschen hier vor Ort, damit der künftig gelingen kann?
Wir sind auf einem guten Weg, aber es liegen viele, nicht einfache Aufgaben vor uns, die alle unsere Kraft und Aufmerksam erfordern. Wichtig ist, dass wir den Dialog miteinander vor Ort in allen möglichen Konstellationen weiter pflegen, um damit Vertrauen zu schaffen und so gemeinsame Ziele formulieren und Wege zu deren Umsetzung finden zu können.
Wo oder von wem wünschen Sie sich mehr Einsatz?
Was wollen Sie hier hören? Soll ich an die große Politik appellieren, die Überregulierung drastisch zu reduzieren, an die Verwaltung, die sich an Prüfungs- und Genehmigungsprozesse gebunden sieht, die nicht förderlich sind, an potentielle Kooperationspartner, die wir nicht gewinnen konnten, an die Presse, die unsere Probleme nicht richtig versteht oder unsere Anstrengungen nicht würdigt, oder die Mitarbeitenden, die sich nicht mit den Strukturwandelzielen identifizieren wollen? Nein, das alles werde ich nicht tun! Vielmehr wünsche ich mir, dass wir alle zusammenstehen und mit Engagement die herausfordernden Ziele des Strukturwandels anpacken und dabei unsere eigenen Interessen der großen Sache wegen zu einem angemessenen Teil zurückzunehmen.
Wofür wollen Sie sich künftig einsetzen?
Ich werde sicher der Wissenschaft, dem Forschungszentrum Jülich und der Region verbunden bleiben. Wenn ich im Rahmen meiner Möglichkeiten hier und da mit meiner Expertise nützlich sein kann, will ich das gerne tun. Einen großen Plan gibt es im Moment aber nicht.
Welche Wünsche haben Sie für das Forschungszentrum der Zukunft und den Menschen an der Spitze?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich das Forschungszentrum auch in der Zukunft sehr gut weiter entwickeln wird, dass es Wissenschaft betreibt, die nicht nur innerwissenschaftlich, sondern auch in der Breite in vielen gesellschaftlichen Bereichen wirkt. Wir haben motivierte, engagierte und herausragend qualifizierte Mitarbeitende, wir adressieren die richtigen Themen, die nicht nur wissenschaftlich spannend, sondern auch gesellschaftlich höchstrelevant sind, und – last but not least – wir dürfen eine hohe Wertschätzung seitens der Politik in der Region, im Land und im Bund erfahren. Meiner Nachfolgerin, Frau Prof. Astrid Lambrecht, ihren Vorstandskollegen und allen Führungskräften wünsche ich eine glückliche Hand, ein vertrauensvolles Miteinander, einen kühlen Kopf auch an heißen Tagen, neben einer hohen Ambition auch ein Stück Gelassenheit, dann wird sich der Erfolg sicher einstellen und dem Zentrum eine großartige Zukunft eröffnen.
Nachdem Sie sich eine Dekade für das Forschungszentrum eingesetzt haben und jetzt in den Ruhestand gehen werden – wie soll das Aussetzen eingeläutet werden? Im Klartext: Wenn Sie sich ein Abschiedsfest wünschen, wer und was kommt zum „Einsatz“?
Ich werde mich Ende des Monats mit einer kleinen Feier von meinen engsten Mitarbeitenden verabschieden, um Danke und Auf Wiedersehen zu sagen. Dabei wird es sicher nicht ausbleiben, dass wir das eine oder andere gemeinsame Erlebnis in den letzten Jahren in Erinnerung rufen. Nach der Sommerpause soll dann das Ende meiner und der Anfang der Amtszeit meiner Nachfolgerin gefeiert werden. Ich wünsche mir natürlich, dass wir viele Gäste aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, aus der Region, aus Nordrhein-Westfalen und weit darüber hinaus in Jülich begrüßen dürfen. Es wäre wunderbar, wenn die Rednerinnen und Redner insbesondere die Zukunft, die Chancen und die Herausforderungen für das Forschungszentrum und die Region in den Blick nähmen und sich nicht so viel mit der Vergangenheit beschäftigten. Allen Gästen wünsche ich gute Gespräche miteinander in einem inspirierenden Umfeld.