Wenn das Wort für „Katastrophe“ dasselbe ist wie das für „Neubeginn“ und „Chance“, dann hat es Magie. So sei es im chinesischen, sagte René Blanche in seinem Programm „Aufbruch“. An der Seite des zungenfertigen Schauspielers inzwischen als stetige, fingerfertige Ergänzung: Elena Kelzenberg am Flügel.
Gut gewählt hatten Musikerin und Rezitator ihre Stücke: Zwischen Besinnlichem und Kurzweil, Ermunterndem und Nachdenklichem spannte sich der Bogen. Mit launigen Moderationen sorgte René Blanche dafür, dass keine Schwere auf der ersten Kulturveranstaltung nach der Veranstaltungspause lastete, sie aber dennoch nicht ins Banale, Beliebige abglitt. Wenn es etwas zu bekritteln gäbe, dann lediglich durch den Wunsch, dass der Rezitator den Schlussworten seiner Texte etwas mehr Raum für die Nachwirkung geben möge, statt manches Mal fast nahtlos zu den Überleitungen zu kommen.
Den „Ernst der Tage“ stellte René Blanche an den Anfang des Abends und reflektierte die Gemütslage zur Coronazeit: Einsamkeit, Zweifel und Angst vor der Zukunft hätten viele gespürt und so versteht er „Poesie gegen Corona“ als ein Zeichen der Hoffnung. Eine chinesische Parabel, die Wohl und Wehe einer Situation zum Thema hatte, machte Mut zum Perspektivwechsel der eigenen Situation. „Stufen“ von Hermann Hesse brachte den Veranstaltungstitel „Aufbruch“ wie das Abschiednehmen überein. Sehnsucht nach Gemeinsamkeit in der Familie schilderte Erich Kästners Gedicht zur Weihnachtszeit 1945.
Blanche ließ sein Publikum nicht ohne positive Gedanken zurück. „Die Trennung hat uns letztlich auch wieder näher zusammengebracht“, rief er den Gästen in Erinnerung.
Klare Kante zeigte René Blanche in Richtung Radikalismus, der sich gerade in Corona-Zeiten breit mache: Extremisten nutzten die Stimmung und Schwäche der Gesellschaft für ihre Lügen und Präsentation von einfachen Lösungen aus, die es aber in der derzeitigen Situation nicht gebe. „Das ist besonders abscheulich!“ Die Überleitung zum gesprochenen Lied-Beitrag von Hannes Wader und Reinhard Mey „Es ist an der Zeit“.
Den einzelnen Textsequenzen folgte Elena Kelzenbergs Musikauswahl, die, wie sie sagte, keineswegs schon zu Beginn der Veranstaltung festgelegt war. Inspiriert von der Stimmung wähle sie aus der Vielzahl an Noten aus, die sie in mehreren Stapeln griffbereit auf dem Flügel platziert hatte. Zwischen klassischem Repertoire von Bachs Präludium Es-Moll und Mozarts Sonata C-Dur bis Tschaikowski über bekannte Filmmusiken etwa aus Anastasia und Love Story bis Una Mattina bot sie Töne zur Literatur und zur Seele. Zu den von René Blanche vorgetragenen Liebesbriefen von Mozart, Lord Byron und Voltaire griff Elena Kelzenberg zu Chopin, denn, wie sie dem Publikum schmunzelnd mitteilte: „Es gibt keine Liebe ohne Chopin.“
Viel Applaus gab es, als die letzten Töne und Worte verklungen waren. Die Medizin ist angekommen: „Poesie gegen Corona“.