Leo Wechsler und sein Team erwartet im achten Band der Reihe um den Ermittler ein Ausflug in einen der bewegungsreichsten Teile Berlins ihrer Zeit: Mitten im Zeitungsviertel werden „Schatten in der Friedrichstadt“ geworfen. Das Berlin von 1928 ist ein anderes als dasjenige beinahe 100 Jahre später: Der Ullstein-Komplex, in dessen Verlags- und Redaktionswesen bis zu über 10.000 Menschen angestellt waren, kann heute nicht mehr besichtigt werden und selbst das Polizeipräsidium am Alexanderplatz wurde durch das „Alexa“-Shoppingzentrum ersetzt. Lediglich das Gebäude im Stadtteil Tempelhof, in dem die Ullstein-Druckerei verortet war, ist als einziger der in der Lesung relevanten Schauplätze vom Krieg verschont geblieben. Das beeinträchtigt aber nicht die Lebendigkeit, die Susanne Goga der Szenerie, den Figuren und ihrem Arbeitsalltag verleiht – vielleicht auch deshalb, weil sie die Plätze, an denen die Handlung ihrer Romane spielt, selbst besucht. Es sei immer noch ein anderes Gefühl, selbst dort gewesen zu sein. Selbst, wenn die Stadt von damals kaum noch zu erkennen ist, sagt sie
In ihrem Buch vermischt Susanne Goga charmant fiktive Figuren mit echten Persönlichkeiten, lässt erfundene Autoren mit und über Alfred Hugenberg, die Ullstein-Brüder oder den österreichischen Journalisten Wilder – Filmbegeisterten wohl mit englischer Aussprache als Billy Wilder bekannt – sprechen. Und wirft in Person immer wieder Hintergrundinformationen ein: Bei jeweils zwei Tagesausgaben pro Zeitung, die „Tempo“ verlegte sogar drei, und inklusive der Extrablätter erschien im Schnitt alle zehn Minuten eine neue Ausgabe. Dass Susanne Goga für ihre Bücher weiträumig recherchiert war deutlich zu merken.
Das Publikum in den Räumen der Volkshochschule Jülicher Land hörte so diszipliniert zu, wie es sich manch Seminarleitung wünschen würde. Bis es zum lockeren Nachgespräch überging, in dem das Interesse zu spüren war – allerdings weniger zu den Krimis und Figuren Susanne Gogas, als zu ihrem Beruf. Als wäre das Thema des Abends keine Lesung eines neuen Kriminalromans gewesen, sondern die Frage „Wie wird man eigentlich Autorin?“
Zu erfahren war allerlei: Etwa von den Vorzügen von Literaturagenturen. Sie wüssten, wen sie bei Verlagen ansprechen müssten und Verlage wüssten, dass Qualität zu erwarten sei. In der Regel könnte man gute von schlechten Agenturen dadurch unterscheiden, ob sie im Vorhinein oder erst bei Tantiemen und Vertragsabschluss Geld verlangten. Goga zählt auf ihre Lektorin. „Ich habe ihr den achten Band gewidmet, es wurde auch Zeit“, erzählte sie lachend. Immer könne sie als Autorin Einspruch gegen die Änderungen einlegen, aber meistens habe ihre Lektorin Recht. Und auch so manches Logikproblem habe man zusammen lösen können. Das sei der Vorteil guter Lektorate und daher teile jeder seriöse Verlag bei neuen Vertragsabschlüssen eines zu.
Susanne Goga selbst übersetzt Bücher. Zuweilen frage sie sich, ob in manchen Werken niemand noch einmal über den Rohtext geschaut habe. Ihr Fazit: Ein Lektorat tut jedem Buch gut. Deshalb, so ließ sie durchscheinen, wird auch beim kommenden Roman gerade noch an einigen Veränderungen gearbeitet, um wieder eine logische Geschichte zu erzählen. Voraussichtlich soll es im nächsten Jahr erscheinen, der vorläufige Titel lautet „Der Teufel von Tempelhof“. Ihr Ermittler Leo Wechsler wird dann wiederkehren, und auch in Zukunft noch so lange, wie Susanne Goga Ideen hat oder das Publikum von ihm lesen möchte. Wer nicht genug vom Kriminalkommissar bekommen kann, der kann sich außerdem auf andere Weise auf neuen Stoff freuen: Goga arbeitet aktuell an einer Theateradaption des ersten Bandes „Leo Berlin“.