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Stell dir vor, es ist Black Friday – und niemand haut seine Kohle für vermeintliche Schnäppchen auf den Kopf. Der Cyber Monday stürzt in die Bedeutungslosigkeit ab und „Sale“-Schilder haben ihren Reiz für den Homo oeconomicus, der tief in seinem Inneren ein Jäger und Sammler bleibt, verloren. Was würde passieren, wenn alle Menschen vom einen auf den anderen Tag beschließen, dass Keller, Wohnzimmer, Kleiderschränke und Dachböden ausreichend gefüllt sind mit Klamotten, Tinnef, retro Möbeln vermeintlich skandinavischer Design-Provenienz und Must-Haves der letzten Saison? Nun – vermutlich würde ein großer Teil der Weltwirtschaft kollabieren, da nicht unerhebliche Ressourcen darauf ver(sch)wendet werden, den allgemeinen Konsumhunger zu stillen, den die Industrie selbst entfacht hat. Ein Weltuntergang? Wohl kaum. Das Ende der grenzenlosen Konsumkultur könnte vielmehr uns selbst und die Erde retten.

Davon jedenfalls ist der Journalist James MacKinnon überzeugt, der in seinem Buch „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen“ der Frage nachgeht, was passiert, würden wir uns von unserer aktuellen Konsumkultur verabschiedeten. Ganz so radikal, wie der Titel verspricht, fällt der Verzicht dann im Gedankenexperiment doch nicht aus, aber auch die vom Autor angesetzten 25 Prozent Reduzierung sorgen für Verwerfungen – und ermöglichen Chancen, sich abseits des Konsums auf das konzentrieren zu können, was für das Leben wirklich wichtig ist. Die Fakten zum Konsum sind eigentlich bekannt. Wir alle wissen, dass etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen ist, wenn der durchschnittliche Einwohner eines reichen Landes das 13-Fache dessen konsumiert, was ein Mensch in einem armen Land verbraucht. Tendenz steigend, weltweit.

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Der Konsum ist so etwas wie eine globale Religion geworden, in der die Menschen ihr Heil suchen. Gleichzeitig jammern wir darüber, wie stressig und anstrengend es geworden ist, das nötige Geld zu verdienen, das wir für Fernreisen aus dem Fenster werfen, um ums zu erholen und wieder fit fürs Hamsterrad zu sein. Als vorbildliche Vertreter eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen verbieten wir Plastiktüten und Trinkhalmen – schauen aber darüber hinweg, dass die Kunststoffproduktion mehr als doppelt so schnell wächst wie die Weltwirtschaft – und ein Großteil der endlichen Ressourcen für kurzweilige Konsumgüter verschwendet wird. Unsere Reaktion ist nicht, weniger zu konsumieren, sondern den Konsum grün anzupinseln.

Das Buch ist nicht neu, vor zwei Jahren fiel es mir in die Hand, als wir auf die Geburt unseres Sohnes warteten – und staunend durch Einkaufszentren für den „Babybedarf“ schlenderten. „Brauchen wir das wirklich?“, lautete unsere Frage angesichts tausender Produkte. Antworten darauf finden sich im Buch MacKinnons, der viele Experten zu Wort kommen lässt, den Leser mit um die Welt nimmt, Einblicke in Kulturen ermöglicht, die seit jeher ohne überflüssigen Konsum leben. Es ist ein sehr „menschelnder“ Ansatz, den MacKinnon gewählt hat, um sich dem Konsum aus vielen Perspektiven und Erfahrungen zu nähern – und wieder Distanz zu gewinnen. Die Kritik, dass er zu viele Themen anspricht, sie aber nicht alle konsequent zu Ende denkt, ist nicht verkehrt. Das muss er aber nicht, denn umso mehr kann jeder Leser, jede Leserin eigene Schlüsse ziehen.

Leidtragender der Lektüre ist unser Sohn, der zum Schrecken der „Omas“ von seiner ersten Minute auf dieser Welt vor allem gebrauchte Kleidung trägt, in Krippen und Betten aus „zweiter Hand“ schläft – und zum Teil modisch ganz vorne die 90er-Jahre-Retro-Welle reitet – mit Klamotten aus den 90er Jahren, die uns Freunde geschenkt haben, deren Kinder mittlerweile studieren. Corona hat unser kollektives Verhaltensmuster, Geld zu verdienen und auszugeben, Einkaufen, Reisen und auswärts Essen zu gehen, abrupt außer Kraft gesetzt. Ist unser Leben dadurch wirklich schlechter geworden? Oder besser? Die Pandemie war ein Vorgeschmack, ein Test. Vielleicht ist es tatsächlich möglich damit aufzuhören, Kram zu kaufen – und unser Geld und unsere Kraft in ernsthaft Nachhaltiges zu investieren.

Buchinformation

J. B. MacKinnon: Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen. Wenn ein Ende der Konsumkultur uns selbst und die Welt rettet. | 480 Seiten | Penguin | ISBN 978-3-328-60090-9 | 20 Euro


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