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Die Zeitreisende

Annika Mantel ist 11 Jahre alt, wohnt in Stetternich, hat eine kleine Schwester Judith (8 Jahre) und geht auf das Gymnasium Haus Overbach in die Klasse 6b. Mit dieser Kurzgeschichte hat sie den diesjährigen Schülerwettbewerb des Arbeitskreises Jülicher Bibliotheken gewonnen.

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Grafik: Daniel Grasmeier
Grafik: Daniel Grasmeier
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Lucy war ein ganz normales, 12 Jahre altes Mädchen. Sie lebte in Jülich, nahe dem Hexenturm und der Stadtbücherei. Am liebsten verkroch Lucy sich hinter einem Buch. So auch an diesem Samstag. Doch als sie die Bücherei betrat merkte sie, dass etwas anders war als sonst. An diesem Tag nahm sie sich ein Buch mit Sagen über den Hexenturm. Doch kaum hatte sie den Titel der ersten Geschichte gelesen, spürte sie einen kräftigen Sog. Ihr wurde schwindelig. Erst passierte nichts anderes. Lucy fasste an ihr Amulett. Die Bücherei verschwand vor ihren Augen. Alles wurde schwarz. Plötzlich fand sie sich auf dem Platz vor der Bücherei wieder. Die Leute, die vorbeiliefen, trugen seltsame Kleidung. Lucy war verwirrt und wollte wieder in die Bücherei gehen, als sie bemerkte, dass diese nicht mehr da war. Oder viel mehr: Noch nicht! Denn jetzt erkannte sie auch, wo sie war, oder besser „WANN“ sie war. Nämlich gut 500 Jahre vor ihrer Zeit, im Mittelalter!

Lucy stand auf und ging zum Hexenturm hinüber. Er diente als Stadttor, das wusste Lucy. Und man sperrte Frauen darin ein, von denen man glaubte, sie seien Hexen. Lucy wusste, dass es keine Hexen gab. Aber die Menschen damals glaubten an so etwas. Da hörte Lucy etwas. Es war eine helle Frauenstimme, die rief: „Lasst mich in Ruhe! Ich habe euch nichts getan!“ „Sei still, Hexe!“, kam es grob zurück. Lucy drehte sich blitzschnell um. Sie sah zwei riesige Männer, die eine junge Frau zwischen sich trugen. Lucy fackelte nicht lange und rief zu den Männern hinüber: „Lasst sie in Ruhe!“ „Ihr beide steckt wohl unter einer Decke? Du bist wohl auch eine von diesen Hexen!“, rief einer der Männer zurück, „nehmt sie gefangen!“ Und so wurde Lucy mit der jungen Frau zusammen eingesperrt. „Danke, dass du mir eben helfen wolltest“, hörte Lucy die Frau sagen. Lucy seufzte: „Aber geholfen hat es nicht. Im Gegenteil! Jetzt sitzen wir beide hier fest!“ „Das wäre sowieso passiert“, sagte die Frau, „Wir Frauen mit medizinischen Begabungen werden als Hexen verfolgt. Hier drin wird uns zuerst die Kleidung weggenommen. Dann bekommen wir immer weniger zu essen, bis es uns schließlich komplett genommen wird. Ach, übrigens, wie heißt du?“ „Lucy“, antwortete Lucy. „Ich heiße Grete. Du kannst du zu mir sagen.“ „Woher weißt du das alles über den Turm Grete?“, fragte Lucy. Grete erklärte: „Von einer Freundin. Sie war auch hier gefangen.

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Einmal in der Woche dürfen die Gefangenen einen Brief schreiben. An irgendwen. Meine Freundin hat mir jede Woche geschrieben, bis…“, Grete stockte. „Ist sie…?“, begann Lucy. Grete fiel ihr ins Wort: „Sie gilt als tot. Ich glaube, sie ist verhungert. Oder verdurstet. So etwas kann hier schnell passieren.“ Lucy nickte. Sie verstand, dass Grete traurig darüber war. Lucy sagte entschlossen: „Das soll uns nicht passieren!“ Aber Grete meinte: „Die Gesetze sind unumstößlich. Wenn jemand als Hexe gilt, wird er hier eingesperrt. Das ist halt so.“ Auf einmal spürte Lucy etwas Hartes in der Schürze, die sie trug. Die war ihr noch gar nicht aufgefallen. Sie kramte in ihrer Schürze und zog das harte Ding hervor. Es war das Buch! Das Buch, das sie hierhergebracht hatte. Lucy schlug es wieder auf. Sie hoffte, dass es sie in ihre Zeit bringen würde. Ihr wurde wieder schwindelig. Aber es passierte nichts anderes.

Lucy dachte nach. Mit was war sie in Berührung gekommen, als sie in der Zeit gereist war? Mit dem Buch und… „Na klar!“, dachte Lucy, „das Amulett!“ Schon wollte sie es berühren, aber dann dachte sie an Grete. Sie musste mit. Und später wieder zurück, wenn es nicht mehr so gefährlich war. Lucy begann mit gespielter Trauer: „Oh nein! Wenn ich hier festsitze, wer kümmert sich dann um meine arme, alte Frau Großmutter? Dieses Amulett hat sie mir geschenkt, als ich sie das letzte Mal gesehen habe!“ „Ein Amulett? Was ist das denn?“, fragte Grete. Lucy deutete auf das Amulett. Darf ich es berühren?“, fragte Grete. Lucy nickte während sie weiter Krokodilstränen weinte. Sie dachte: „Es funktioniert!“ Grete und sie fassten gleichzeitig an das Amulett. Sofort wurde um sie herum alles schwarz. Lucy schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, fand sie sich in der Bücherei wieder. Neben ihr saß Grete. „Wie hast du das denn gemacht? Wo sind wir?“, fragte sie. Lucy antwortete: „Wie sind in der Stadtbücherei Jülich. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das gemacht habe.“

Drei Jahre später:
Grete und Lucy gingen wieder zur Bücherei. Lucy legte etwas in Gretes Hand. Es war eine Miniausgabe des Buches und ein Amulett. Lucy hatte beides extra für Grete anfertigen lassen. „Damit du mich immer besuchen kannst“, sagte sie. „Danke“, sagte Grete, die inzwischen wusste, dass man das Buch aufschlagen, und das Amulett berühren musste. Grete berührte das Amulett und öffnete das kleine Buch. „Gute Reise!“, flüsterte Lucy noch, und dann verschwand Grete einfach aus der Bücherei. Lucy starrte noch lange auf die Stelle, auf der Grete eben noch gestanden hatte. Ab und zu besuchten sie sich gegenseitig. Sie waren gute Freunde.


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