Unverheiratete Frauen kommen „unter den Hammer“, werden an meistbietende Junggesellen versteigert. Diese „erkaufen“ sich damit das Recht, die über 16-jährigen zum Tanz zu führen und ihnen einen „Mai“ zu hängen. Der „Mai“, darunter versteht der Ortskundige die aus Krepppapier-Röschen gestalteten Bilder, die an der Wand des Elternhauses der „Dame“ angebracht werden. Weit verbreitet ist das Aufstellen der Maibäume, die nächtens bewacht werden, damit das Nachbardorf ihn nicht „entführt“. Es wird gern dem Gerstensaft zugesprochen, der auch die Währung ist, in der sich ein „Ortsfremder“ das Recht beim dorfeigenen Maiverein erwirbt, der Herzensdame seine bildgestaltete Zuneigung aufzuhängen. Das ist natürlich von Dorf zu Dorf unterschiedlich. Kuriositäten, die aber innerhalb der dörflichen Strukturen einen tiefen Sinn haben – selbst wenn ihn die Feiernden heute selbst nicht mehr genau kennen, wie Simon Matzerath schmunzelnd einräumt. „Wenn man es auf einen Satz reduzieren will ging es einmal darum, den Grundbesitz im Ort zu halten“.
Wohl bis ins 16. Jahrhundert zurück geht das Maibrauchtum. Die Vereinsgründungen datieren allerdings zwei bis drei Jahrhunderte später. Von Wichtigkeit war dereinst, dass die Tochter des ortansässigen Großgrundbesitzers nicht ins Nachbardorf heiratete und sich beim Tanz in den Mai junge Paare unversehens und perspektivisch näher kommen konnten.Zu dieser Zeit war die Frau als wirtschaftlich eigenständig handelnder Mensch schließlich noch nicht entdeckt.
Heute hat das Maibrauchtum immer noch eine wichtige gesellschaftliche Funktion, wie Guido von Büren erläutert. Es hält das Dorfleben zusammen, die jungen Männer, die ja den Kern und Vorstand der Maivereine bilden, würden Verantwortung lernen und übernehmen. „Es ist eine entscheidende Erfahrung, wenn man als Mit-Zwanziger oder sogar jünger für das Dorf eine Festveranstaltung diesen Ausmaßes organisiert und damit auch Teil der Gesellschaft wird – und das auch mit Anerkennung zurückgezollt wird. Das ist eine wichtige Lebenserfahrung.“ Ergänzend und erläuternd fügt Matzerath hinzu:
„Die jungen Männer verantworten zum Teil ein Budget, das dem eines kleinen Mittelklasse-Wagens entspricht.“
Einst von der Obrigkeit und der Kirche verpönt, sei das Brauchtum inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Pfarrer und Bürgermeister machen dem Königspaar seine Aufwartung, auch wenn der Maikönig ein – so von Büren – „zahnloser Tiger ohne Macht“ sei. Eine Wiederbelebung des Brauchtums erkennen die Historiker. In den 1970er Jahren hätten viele Vereine fast vor dem Untergang gestanden – zumal durch die stetigen strukturbedingten Wechsel der Jungmänner-Vorstände eine Kontinuität nur bedingt möglich sei. Durch die modernen Medien allerdings erlebten die Aktiven eine Bestärkung des eigenen Brauchtums und so findet inzwischen ein reger Austausch mit Besuch und Gegenbesuch statt.
Offenbar einen Nerv getroffen haben die Autoren mit dem Thema, das von der aktuellen Volkskund wohl eher stiefmütterlich behandelt wird.
„Das sich jemand mit Maibräuchen beschäftigt ist so retro“,
formuliert es Matzerath augenzwinkernd. Was bei den Wissenschaftler zutreffen mag, lässt sich an der Nachfrage nicht ablesen. 600 Exemplare sind gedruckt, die erste Wagenladung ist bereits nach Körrenzig geliefert, Vorbestellungen gibt es reichlich und auch der ortsansässige Buchhandel hat bereits geordert. Das Buch – in kürzester Zeit zwischen Ende 2017 und Frühjahr 2018 entstanden –greift den aktuellen – wenn auch spärlichen – Forschungsstand auf. „Das Thema steckt noch in den Kinderschuhen“, sagt Matzerath. Es gäbe nur 15 bis 20 relevante Aufsätze zum Thema. In den 1920er bis Mitte der 30er Jahre habe es eine volkskundliche Erhebung gegeben. Ein Glück sei, so Guido von Büren, dass es eine gute Dokumentation des Maiclubs Barmen gäbe und eben auch in Körrenzig die Rückblicke bis 1843 zurückreichen – in jüngster Vergangenheit sogar durch Ton- und Filmdokumente.
Wer tief ins Thema einsteigen möchten: „Maibräuche im Rheinland“ erscheint im Ammianus-Verlag.