„Wenn nach einem Drittel noch niemand gestorben ist, dann fühle ich mich betrogen“, gab sich Carsten Sebastian Henn zu Beginn seiner Lesung als „Freund früher Leichen“ zu erkennen. Daher findet sich der erste Tote in „Gin des Lebens“, dem ersten Band seiner kulinarischen Kriminalromane – oder der „hochprozentigen Trilogie“ – bereits auf Seite Neun. Gewürzt mit solchen Einwürfen, Anekdoten, kurzen Zusammenfassungen und Zusatzinformationen las er in der Kneipe des Kulturbahnhofs von Morden und der Suche nach dem perfekten Gin-Rezept.
Dafür war der Ort perfekt gewählt: Die Veranstaltung, eine Kooperation des Kulturbüros und der Stadtbücherei Jülich, hatte den Raum heimelig gefüllt. Dass passend zum Hörstoff Gin Tonic – welch Schmach für eine der Buchfiguren, die für den puren Gin plädiert! – und andere entsprechende Alkoholika ausgeschenkt wurden rundete die Atmosphäre ab, selbst nach dem Ende des Hauptprogramms blieben die meisten noch sitzen. Während der Lesung war zu spüren, dass das Publikum viel Spaß hatte. Weniger Schenkelklopfer-Momente als Humor durch kuriose Figuren und Momente zeichneten den Text aus, die auch vom Autoren entsprechend vorgetragen wurden.
Die Bed-and-Breakfast-Besitzerin Cathy Callaghan stolpert quasi über eine Leiche in ihrem Garten und Bene Lerchenfeld, der trotz seiner Tolle eine Vorliebe für Eddie Cochran statt Elvis Presley hegt, bricht nach einem Tiefpunkt die einzige Flasche Gin, die sein Vater ihm kurz vor dessen Tod schenkte, an – und ist fortan auf der Suche nach dem Rezept des rätselhaft perfekten Getränks. Auch ohne Anmerkungen stellten Text und Charaktere die Geschichte alles andere als langweilig dar. Gemischt mit diesen jedoch zog die Lesung spürbar das Publikum in seinen Bann.
Für viel Spaß sorgten Hinweise wie der Tipp, heutzutage einen Weinberg wenn man ihn kaufen möchte nicht im Winter zu besichtigen oder eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Gin Tonic und Intelligenz erkennen ließ. Dazu ergänzte eine in der zweiten Hälfte vorgestellte Studie – „ich wollte sie Ihnen erst zeigen nachdem Sie etwas getrunken haben, denn sie ist auf nüchternen Magen ziemlich hart“ –, dass das Lieblingsgetränk von Psychopathen Gin Tonic sei, aufgrund einer Schnittmenge von dunklen Gedanken und einer Vorliebe für Bitterstoffe. Auch eine Anekdote über den „im Lektorat am meisten überarbeiteten Abschnitt“, bei der mit der Lektorin über eine Menge Alkohol diskutiert worden sei, schließlich sei die Figur danach noch Auto gefahren, für die Szene sei aber wichtig gewesen, dass die Figur betrunken sei – bis Henn angeboten habe: „Wir machen zwei Gin Tonic draus, schreiben aber nicht wie groß sie waren.“ Die Erklärung für „Navy Strength“, dass Gin ab 57 Volumenprozenten sich so nenne, da wenn ein Fass auf See kaputt ging das in der Nähe gelagerte und potenziell davon getränkte Schießpulver anders als bei geringeren Prozentzahlen noch nutzbar gewesen sei, sei übrigens nicht vom Autoren erdacht, sondern entspreche der Wirklichkeit.
Illustriert wurde die Geschichte zudem etwa mit einer Flasche Gin der Plymouther „Black Friar“-Destillerie, die auch im Krimi vorkommt. Er habe zu den Anfängen des Gins gehen wollen, erzählte Henn, und dies sei die am längsten kontinuierlich arbeitende Gin-Destillerie. Der (wohl aus optischen Gründen) weiße Mönch auf der Rückseite wurde zur Veranschaulichung ebenso gezeigt wie erklärt, welches Schiff auf dem Label ist: Es ist die Mayflower, mit der die Pilgerväter in die USA übergesetzt sind. Die „Mayflower Steps“ von denen aus das Schiff betreten wurde seien in Plymouth heute noch zu sehen. Auch ein Bild des örtlichen Leuchtturms machte die vorgelesene Geschichte noch lebendiger.
Henn gab außerdem einen Ausblick auf sein nächstes Buch: Anstelle eines Kriminalromans solle es diesmal wieder eine Geschichte werden, die die Reihe des „Geschichtenbäckers“ und „Buchspazierers“ fortsetzen werde. Erscheinen soll der Roman im Herbst 2023.