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Wettern

Alle reden vom Wetter

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Wettern | Foto: HERZOG
Wettern | Foto: HERZOG
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Alle reden vom Wetter – wir nicht, so lautete einmal der Slogan auf einem Plakat der DB, das auf leuchtend rotem Grund das Foto des neuen, unter den elektrischen Oberleitungen heran sausenden Personenzugs zeigte. Die 68er Studentenbewegung hat dann das Plakat für sich vereinnahmt und den Schnellzug durch die Profile von Marx, Engels und Lenin ersetzt. Das Rot und der Slogan blieben…

Das ist heute längst Geschichte. Die DB redet bei ausfallenden Klimaanlagen und vereisten Bahngleisen recht häufig vom Wetter und Marx, Engels, wer bitte war das noch gleich…?

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Die Themen wechseln, das Wetter bleibt. Das Wetter ist bekanntlich das Umgangsthema schlechthin, erst recht, wenn man jenseits des 50. Breitengrades lebt und sich das halbe Jahr unter die Wolken zu ducken hat.

Unsere westgotischen Altvorderen fackelten da nicht lange und verschafften sich mit der Doppelaxt einen Platz an der Sonne: Andalusien, Aquitanien, da können wir nur von träumen. Und selbst wer als Auserwählter dort 4 Wochen Urlaub machen kann, es bleiben fünf Regenmonate. Und die fallen für gewöhnlich in den Sommer. Und wenn man diese Zeit nicht aus dem Leben tilgen und aus der Erinnerung streichen will, dann bleibt nur eins: sich anfreunden.

Für die Friesen z.B. gibt es kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung. Die Eskimos, nach unserem Dafürhalten auch nicht gerade die Bevorzugten der Witterung, kreierten aus ihrer Misere dreißig Bezeichnungen für Schnee und die Farbe Weiß. Hätten wir ähnlich viele Begriffe für den Regen, der immerhin die vergleichbare Grundlage unserer Existenz bildet, dann würde sich auch unser Verhältnis zu ihm ändern. Zumindest würden die Gespräche darüber interessanter.

Schließen wir also die Schirme und lassen wir das Thema respektive den Regen an uns heran. Das Wetter ist schließlich unsere dritte Haut und als textilfreie Südseeinsulaner wäre es sogar unsere zweite. Das Thema ist also hautnah und wie wir uns darin befinden, im Wetter und in der Haut, davon künden die Gesichter und selbst in ausgedehnten Schönwetterlagen finden sich noch Gesichter wie 7 Tage Regenwetter, sozusagen naturtrüb.

Traditionell sind uns die Asiaten darin voraus, im Alltäglichen das Philosophische und das Poetische zu sehen und das Hier und Jetzt zu akzeptieren, nicht einzugreifen sondern zu begreifen. Die Zen-Lehre behandelt nichts anderes und so sind auch in den Künsten des Ostens Schnee, Regen und Nebel so häufig wiederkehrende Inhalte, dass man sie vielleicht nicht als Hauptdarsteller, wohl aber als deren graue Eminenzen bezeichnen könnte.

Plötzlicher Regenschauer auf der Brücke von Edo, heißt ein Farbholzschnitt von Hokusai und der Druck gibt uns ein Panorama vom Herannahen der Regenfront, dem Wegwehen der Strohhüte und Papierschirme und dem Auseinanderstieben der Passanten vor dem niederprasselnden Guss. Traglasten und Handkarren bleiben verlassen in der Nässe. Auch das Haiku, ein siebzehn Silben zählendes Kurzgedicht, handelt bevorzugt vom Wetter. So vom berühmten „Basho: Winternacht, ich beiße den gefrorenen Pinsel mit dem letzten Zahn“ oder auch „Nebliger kalter Herbstregen, der Fuji war heut‘ nicht zu sehen“ – wie interessant.

Solches aufzuzeigen und dem Betrachter nicht durch Wechsel des Standortes, sondern des Standpunktes neue Räume zu öffnen, das wäre eine der Domänen der Kunst. Doch leider kenne ich vor dem Erscheinen der Moderne überhaupt nur ein abendländisches Bild, auf dem es richtig in Strömen gießt, so von oben in den Kragen hinein und unten zu den Hosenbeinen wieder heraus. Es ist „Das Ende der Sintflut“ von William Turner.

Darauf drängen sich auf einem letzten, noch über der Flut ragenden Felsen Lamm und Wolf, Fuchs und Gans aneinander und starren, von Urinstinkten befreit und wieder paradiesisch vereint, depressiv ins Nasse. Kein wildes Strömen von Wassern, die ihr Bett verlassen, keine sich drehenden Strudel, die in immer neuen Mustern entstehen und vergehen und die Flutsäume mit Blättern und Zweigen markieren, kein Einschlagen der Tropfen auf dieses Auf und Ab, das sie mit spektralfarbig schillernden Blasen verzieren. Nein, Weltuntergang.

Auch das Gemälde „Regenschirme“ von Renoir hat vom Thema nur den Titel, es ist ein Regen-Ballett und die aufgespannten Schirme sind lediglich Requisiten. Dabei ist gerade Renoir ein Meister des Sinnlichen gewesen. Seine Malerei vom Knistern kühler Seide auf pochender, durchsonnter Haut und vom Eintreten der Körper in die Kühle eines Schattens suchen ihresgleichen. Doch dem Regen versagt er sich. Tropfen, die über Stirn und Wange rinnen, Rinnsale, die sich aus der Nässe des angeklebten rotblonden Haars und den Brauen lösen und vorbei am Leuchten blauer Augen sich ihren Weg durch Grübchen und Sommersprossen bahnen. Das ist er uns wirklich schuldig geblieben. Überhaupt ist diese Flucht vor dem Regen programmatisch. Goethes Italienische Reise, Stipendien in der Villa Massimo und die ganze Toskana-Fraktion mit ihrem nicht enden wollenden Zug von Witterungsasylanten. Der Osten hingegen hat sich dem Regen gestellt und uns damit ganz neue Räume erschlossen und uns Monate des Jahres zurückgeschenkt.

Doch mittlerweile hat der Westen im Zusammenprall der Kulturen einiges vom Asiatischen gelernt. David Hockney  kann nicht nur besonnte Swimming-Pools, sondern er malt uns ein zauberhaftes Regenbild. Einige schräge Striche, den oberen Bildraum füllend und im unteren Teil ungleich große, konzentrische Ellipsen, die das Einschlagen der Tropfen in die Pfützen illustrieren. Ein gemaltes Haiku.

Wetter ist sinnlich. Sonne auf der Haut, Wind im Haar, Regen im Gesicht. Die Atmosphäre ist ein schmales Terrain, ab fünftausend Metern wird die Luft dünn, die Wolken sind nur noch unten. Sonnenschutzfaktor 100, Wetter findet hier nicht mehr statt. Wir können es uns einfach nicht leisten, in diesem schmalen Korridor den Regen in die Schmuddelecke zu stellen. Also sprechen wir also vom Wetter. Aber bitte kenntnisreich und mit dreißig Bezeichnungen für Grau.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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