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Vom König der Seitensprünge

... und dem Schutz der Verkleidung.

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König der Seitensprünge | ©HZG
König der Seitensprünge | ©HZG
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S(ai)eitensprung. Mit „ai“ oder auch mit „ei“, sagte der Chefredakteur auf meine Nachfrage, es sei ja Karneval. Da ich für die Rubrik Kunst & Design zuständig bin, ist es natürlich der Seitensprung mit „ei“ gewesen, der für mich in Frage kam. Die Kunstgeschichte ist voll von Seitensprüngen. Damit meine ich nicht die Biografien haltloser Malerexistenzen, nein, der Seitensprung ist ein bevorzugtes Thema und ob Götterväter oder müßige Greise, biblische oder heidnische, himmlische oder irdische, sie alle erliegen ihrem Drang, sich anzuschleichen und Schönheiten wie z. b. Bathseba bei der Toilette aufzulauern. Das sind auch keine Randerscheinungen, sondern wird auf den höchsten Rängen des Metiers, von Rubens, Leonardo oder Rembrandt in Szene gesetzt. Da schmückt Judith ihre Brüste für den Holofernes (Tiépolo) und der verliert dabei Kopf und Kragen (Caravaggio), Salome tanzt sich bei Klimt, Nolde oder Hrdlicka vor dem Herodes immer freier, so dass Johannes der Täufer davon kopflos wird und König David schickt den Gatten der schon erwähnten Bathseba für ein ungestörtes Schäferstündchen als Heerführer der ersten Reihe in den sicheren Tod in die Schlacht. Dem Seitensprung haftet offenbar eine fatale Dimension an. Man verliert leicht seinen Kopf dabei.

Aber es geht ja um den Karneval und der soll fröhlich sein und die Geschichten geben für Kostüme schon etwas her. Wallende Gewänder, gezogene Schwerter, Helm und Harnisch. Besonders der König der Seitenspringer, Göttervater Zeus, ist da nicht uninteressant. Seinen ungezählten Liebschaften näherte er sich mit Vorliebe im Schutze der Verkleidung und wenn er auch seine Abenteuer weder vor seiner Gemahlin Hera noch vor der Kunstgeschichte erfolgreich verbergen konnte, dass der Seitensprung und die Verkleidung in einer engen Verbindung stehen, das leuchtet ein.

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Dabei sollte man meinen, ein Chef der Götter wie Zeus, hätte so etwas nicht nötig gehabt. Aber einerseits gab es Hera und andererseits hatten diese Geliebten durchaus ihren Eigensinn und stürzten sich manchmal lieber in den Tod, als sich verfügbar zu halten. Oder sie verwandeln sich wie Daphne in einen knorrigen Olivenbaum, als Apoll, immerhin der Zweithöchste im Olymp, sie umarmen wollte. Da half es auch nicht, dass für geleistete Dienste ein Platz als Sternbild im Himmel ausgelobt wurde. Die Angebeteten hatten offenbar andere Wünsche. Aber auch die Götter waren in diesen Geschichten eher menschlich. Sie unterstanden wie alle Welt den Schicksalsgöttinnen, den Moiren und vor allem der Ananke. Bei Platon ist sie die Mutter der Moiren und Ananke heißt in der Übersetzung „Schicksal“, aber auch „Bedürfnis“. Auf den ersten Blick scheint beides recht wenig mit einander gemein zu haben und man fragt sich, wie denn dasselbe Wort dafür stehen kann. Doch beim Thema Seitensprung löst sich das Rätsel. Denn wenn wie bei Cranach lüsterne Greise der entfliehenden Bathseba gerade noch in die Wade kneifen können, dann wird das damit kaum gestillte Bedürfnis keine Ruhe geben und leicht zum Schicksal werden, das sich durch die lauschende Magd im unteren Bild bereits anbahnt. Das alles sind nur Kunstgeschichten, aber sie berühren allzu Menschliches und ganz gleich ob in Öl oder Tempera, ob in Holz oder Stein, sie erfreuten sich durch alle Epochen hindurch großer Beliebtheit.

Doch zurück zu den Verkleidungen. Bei Danae ist es ein Goldregen, in dem Zeus über sie kommt, also das Versprechen wirtschaftlicher Vorteile, bei Leda ist es der virulente Schwan und seine königliche, weiße Unbeflecktheit, bei Europa ist es der Stier. Nach Ovid ein besonders kräftiges, aber friedfertig aussehendes Exemplar, also Animalisches und Anmut in einem, was da in Aussicht gestellt wird. Da hat das Kostüm einiges zu leisten. Zeus, mit falschem Bart und einem Bündel leuchtender LED-Plastikblitze in der rechten, die von Wolken umzogene Krone auf dem Haupt. Apollon, als ewiger Frühling mit Blüten überschüttet, schlägt die Leier. Hier böte sich die Gelegenheit für einen Wechsel zum Saitensprung mit ai, aber ich bleibe bei meinem Fach, der Malerei. Das ist ergiebiger, denn die Selbstinszenierung, was Verkleidung und Maskerade ja auch immer sind, hat in der Malerei ihr ureigenstes Genre: das Selbstporträt. Da prostet uns Rembrandt, die jungvermählte Saskia auf dem Schoß, mit dem Sektglas zu, Dürer posiert mit frisch gebrannten Locken und edlem Quergestreiften und reibt sich die behandschuhten Hände, van Gogh hat gerade den Verband über das verletzte Ohr gelegt bekommen, Beckmann schiebt das ohnehin nicht zu knapp geratene Kinn nach vorne und zieht sich grinsend die Maske über das Gesicht. Im Bademantel, der auch als Königsmantel gelten könnte. Da wird auf die Pauke gehauen, die leisen Töne sind eher selten. Zeus als Schwan, Stier, Blitz und Donner drängt die Geliebten zum Stelldichein und Picasso, durchaus ein Zeus in der Malerei und bei unserem Thema auch sonst nicht faul, zeichnet den Stier als Markenzeichen des machismo: das Tier im Mann, den Minotaurus und sein Beuteschema, die Taube. Ein sanftmütig gurrendes Animageschöpf, das er in das Labyrinth von Bedürfnis und Schicksal locken möchte. Der Reigen kann beginnen.

Karneval steht vor der Tür und ich stehe vor dem Spiegel und probiere Verkleidungen aus. Ich gehe als Maler. Die Frage ist, gehe ich als van Gogh oder als Picasso, so etwas zieht gänzlich andere Zielgruppen an. Im ersten Fall hieße das den roten Bart ankleben, Verband über das Ohr, zerschlissene Jacke. Im zweiten mein Haar durch eine Gummiglatze zu kaschieren, das Ringelhemd anziehen und dann auf Sandalen ins Getümmel. Später, wenn die Zeit gekommen ist, unter Luftschlangen die Maske für den ersten Kuss ein wenig zu lüften, dann flüstere ich dem avisierten Seitensprung zu: darf ich dich noch in mein Atelier führen?

Wer erwartete unter solchen Umständen keine 2-3 Zimmerwohnung, mit etwas Glück mit einem Aufzug nach der durchtanzten Nacht? Sie ist noch fahrtüchtig, ich weise den Weg. Vorstadt, Industriebrachen, ich merke, wie sie unruhig wird. Du wohnst aber komisch. Dann das große Eisentor. Ich mache Licht. Staffeleien, Leinwände, der Boden voller Tropfspuren, Tische voller Farbtuben, mein Atelier. Den Diwan muss ich erst noch aufbauen. Was denkt man, wenn einen ein Karnevalskapitän in das Hafenviertel und dann die Gangway zu einem Überseedampfer hinaufführt und das Kommando Leinen los, Anker lichten von der Brücke ruft? Man setzt natürlich zur Flucht an und auch mein rheinisches rot-blondes Füchschen lässt die Lunte hängen und macht sich davon. Wer kann es ihr verübeln? Ein Seitensprung ist ein sanfter Wind, der durch die Blätter fährt, ein Wiegen und Rascheln. Zyklone, Tornados oder Sturmtiefs sind da nicht erwünscht, schließlich soll ja am Aschermittwoch alles wieder vorbei sein. Und auch ich darf jetzt wieder malen. Dazu brauche ich mich ja nicht einmal umzuziehen. Ich male mich als einen Maler auf dem Karnevalsball. Die Hände mit den ausgestreckten Zeigefingern wie Stierhörner an den Kopf gelegt umtanzt er ein rotblondes Animageschöpf, das den Kopf schräg in den Nacken legt. Etwas läppisch das Ganze, kein Sturm, nichts Olympisches, keine Überführung an den Sternenhimmel, nur ein närrischer Seitensprung. Er steht im Regal.


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