Der Blick aus meinem Fenster geht auf die Jülicher Börde. Lösboden, ein durch die Jahrhunderte hier angewehter Staub, ein sehr fruchtbarer Boden. Wo Boden verloren geht, erscheint stattdessen Geröll, Stein, nackter Fels. Der Begriff Mutterboden wird plausibel.
Staub. Etwas abstauben heißt im Jargon, vorteilhaft etwas in Besitz zu nehmen, andererseits machen wir uns aus dem Staub, wenn es uns brenzlig wird, der Wanderer klopft ihn von seinem Rock und die Asche, zu der wir alle werden, ist nur ein anderes Wort dafür. Wir sind vergängliche Wesen, Sternenstaub. Gießen wir Wasser hinzu entsteht der Lehm, aus dem Adam geknetet wurde. Das Staubige hat viele Seiten.
Eine Freundin, der ich oft Fotos von Malereien per Mail zur Beurteilung schicke, sagt dann manchmal: Du musst Staub wischen. Damit meint sie nicht den Zustand meines Ateliers, sondern die geringe Leuchtkraft meiner Farbgebung.
Die Summe aller Farben ist Schwarz oder Weiß, je nach subtraktiver oder additiver Farbmischung. Aber die Summa, das Höchste, wird selten erreicht. Schwarz und Weiß mischen sich zu Grau und grau und staubig sind auf der Skala der Gefühle synonym: die staubige Straße und der graue Alltag. Wir lieben es farbig.
Wenn ein starker Mistral weht, färben sich manchmal mediterrane Orte sahararot. Wüstenstaub. Diese Stäube liefern berühmte Pigmente, Pompejianisch Rot oder Terra Pozzuoli. Pigmente sind Substanzen, die unserer Netzhaut aus dem Spektrum des Lichtes die Palette der Farben bis hin zu Blau, Gelb oder Rot sichtbar machen können. Und je staubiger sie sind, d.h. je feiner ihre Körnung ist, umso intensiver strahlen sie.
Die Pigmente, mit denen ich meine Malfarben mache, stehen in offenen Gefäßen auf dem Ateliertisch. Wenn ich mit dem Pinsel etwas daraus entnehme, fallen immer einige Stäube herab und bilden einen farbigen Ring um das Gefäß. Im zunehmenden Abstand zum Gefäß vermischen sich diese Pigmente, bis sie endlich, wie eine Patina des Ateliers, das besagte staubige Grau bilden.
Meine erste Bekanntschaft mit diesen Stäuben machte ich als Kind. Ich fing einen Falter von einer Blüte, öffnete unter dem Flattern behutsam die Hand und erblickte mit kindlichem Erschrecken das verwischte Zeichen des Pfauen-auges darin, so als wäre ich von nun an für immer gezeichnet. Die Farbe hat mich auch nicht mehr losgelassen. Auch weil zu jener Zeit, den 50er Jahren, selbst die Illustrierten nur auf den Außenseiten farbig bedruckt waren. Farbe war teuer und nicht selbstverständlich.
Das ist natürlich heute ganz unvorstellbar, wo alles bunt ist und das Zappen durch unzählige farbige TV Kanäle uns in der Erinnerung sich leicht zu einem flimmernden Grau mischt. Farbe ist allgegenwärtig und ihre Herkunft ist die Chemiefabrik. Die Geschichte der alten Färbestoffe dagegen ist hochinteressant.
So stieß man erst kürzlich bei Grabungen im Umfeld steinzeitlicher Siedlungen auf große Lagerstätten von Hämatit, der geologisch dort nicht zu erklären war und man spekulierte, dass er dort gelagert worden war, um damit Handel zu treiben. Hämatit, der Blutstein, ist hoch lichtecht und vom zartesten Rosa bis hin zu einem tiefen Violett mischbar und man erhält ihn auch heute noch nicht in jedem beliebigen Handel.
Vor allem aber für das Blau, das vom türkisfarbenen Coelin über das samtige Kobalt bis hin zur Tinte des Ultramarins reichen kann, gab es lange nur eine einzige Quelle, den Edelstein Lapislazuli.
Man nannte den Ton Ultramarin – von jenseits des Meeres – was auf seine Fundstätten im fernen Osten hindeutete. Von dort wurde er mit den ebenfalls hoch begehrten Gewürzen wie Zimt, Nelken und Pfeffer von Segelschiffen nach Europa und in den Handel gebracht. Man navigierte noch nach den Sternen und die Route dauerte Monate. Man musste durch die Flauten der Rossbreiten, weiter um das Kap der guten Hoffnung, wo die Mischung der Ozeane Mahlströme erzeugte, denen diese Nussschalen wenig entgegen zu setzen hatten. Danach weiter durch die Piratengewässer des Horns von Afrika (die „Mission Atalanta“ war noch unbekannt) und durch die von Haifischen und Tornados verseuchte Straße von Macao und wieder retour.
Dass diese Stäube in Gold bezahlt wurden, wundert nicht. Es gibt eine originale Rechnung von Albrecht Dürer, auf der er im Preis für das Gemälde auch das darin verwandte Ultramarin nach Gramm abrechnet. Das ist heute, wo der optisch gleiche Stoff dank der synthetischen Herstellung gleich Kiloweise und in Plastiksäcken in die Einkaufswagen der künstlerischen Großmärkte wandert, ganz unvorstellbar.
Auch andere Pigmente haben ähnlich abenteuerliche Geschichten. Das Rot der Königmäntel z.B. wurde aus der Substanz tausender zerquetschter Purpurschnecken gewonnen, später trat eine Quecksilberverbindung hinzu, das Zinnoberrot, das aber hochgradig giftig war. Darin ähnelte es dem Schweinfurther Grün, einem Kupferarsensulfat, dem Napoleon zum Opfer fiel. Die Wände seines Hauses auf St. Helena waren damit gestrichen und bei einer späteren Obduktion fanden sich enorme Konzentrationen von Arsen in den Haaren und Knochen. Die Verwendung von anderen giftigen Schwermetallen wie Blei, Kobalt, Kadmium zur Farbgewinnung ließe sich fortführen. Farbe scheint so unverzichtbar, dass man diese Risiken in Kauf nahm.
Natürlich ist ein Blau aus der Chemiefabrik etwas anderes als eines, das durch die Straße von Macao zu uns gekommen ist. Wenn nicht die Leuchtkraft, so steigt doch der Nimbus der Farbe an. Wie mag Dürer diese staubigen Schätze verwahrt haben. In gläsernen Flakons, deren Außenseite über die Jahre opalisierte und mit einem Korken verschlossen? Um die alten Farbtöne scheinen sich im gleichen Maße Geschichten zu ranken, wie die neuen lediglich frei verfügbar sind.
Vermutlich ist auch die Straße von Macao heute von Hotelbauten gesäumt, deren Bild beim Landeanflug sich mit denen von Kairo und Shanghai zu einem staubigen Grau vermischt. Aber, um zum Bild des Anfangs zurückzukehren, auch das ist ja eine Art Lösboden, ein neuer Humus, auf dem einmal uns noch Unbekanntes angebaut werden wird.