Zunächst zur Begriffsklärung, damit Sie nicht an mir vorbeilesen. Ein Skandal ist laut Wahrig ein „Aufsehen erregendes Ärgernis, etwas Empörendes“ – mal wieder aus dem Griechischen kommend: skandalon nannte man „das losschnellende Stellholz in der Falle“. Aha. Man tappt in eine Falle, die ein Fallensteller mit klarer Absicht aufgestellt hat: man soll sich empören und das soll Aufsehen erregen. Das klappt dank Vernetzung heute schneller denn je. Dafür ist es aber auch umso schneller wieder vorbei, denn: die eine Sau ist noch nicht durchs Dorf getrieben, da wird sie schon von der nächsten überholt.
Jaa, kommt nun Ihr berechtigter Einwand, genau das findet doch auch in der Kunst statt!? Nee, sage ich, nicht in der Kunst, sondern in ihrem Drumherum. Das ist erstens der Kunstmarkt, der „liebt“ den Skandal geradezu und lebt profitierend davon. Zweitens der Kulturbetrieb, denn dann kommt drittens das Publikum kucken. Die Kunst bietet ihn per se nicht. So, wie sie keine Pornografie herstellt. Nur entweder – oder. Eine Zeichnung von Egon Schiele, auf der eine phantastisch gezeichnete Frau ihre Scham mit der Hand bedeckt, und man einen ihrer Finger dort sieht/sehen will, wo man ihn gegebenenfalls selbst gern hätte – ist soweit von Pornographie entfernt, wie… ein kopulierendes Hundepärchen von Kunst.
Ist jedoch derselbe Tatbestand Vorwand für eindeutig ausgearbeitete, billige Geilheit hervorrufen wollende Schamhaar – und sonstige Detailtreue liefernde Bildhaftigkeit, hat es mit Kunst nichts mehr zu tun. Selbst, wenn es „handwerklich“ gut gemacht ist. Da geht es nur um oberflächlichen Effekt – mit (be)deutungslosem Inhalt. Das ist für mich skandalös, zumal wenn es sich Kunst nennt und/oder dafür gehalten wird. Dass Künstler sich selbst in diese Falle begeben, trennt die guten von den schlechten. Wer den Skandal sucht, wird vom nächsten überholt, siehe oben. Die Guten suchen ihn nicht, sondern sind eher erschreckt über die plötzliche Reaktion, die über sie hereinbricht – sie haben doch nur Ihr Bild gemacht. Die Schlechten allerdings sind schlauer und bedienen sich des Skandals unter eifriger Mithilfe ihrer Vermarkter. Und das ist der eigentliche: per Empörung Aufsehen erregen zu wollen.
Da werden Bilder sinnlos auf den Kopf gestellt, Titel über und unter eigentlich harmloses, weil schlechtes Gekleister geschrieben (hervorragend übel nur zum Beispiel: Jonathan Meese und „Die Pimmelabschneiderin kommt!“), arrangierte Lotterbetten in die Gallery gestellt, halbe Kühe ins Formaldehyd-Aquarium – (ich verzichte bewusst auf aktuellere „Schöckchen“) – und die Kunstwelt konsumiert aufgebauschte Belanglosigkeiten, die übermorgen ebenso Schnee von vorgestern sind, wie die von mir aufgezählten, selbst wenn sie es ins Museum geschafft haben. Man mag sich über Beuys´ „Unästhetik“ gelegentlich noch ereifern, aber da stand immerhin eine auseinandersetzungswerte Idee im Hinter-, nicht der Skandal im Vordergrund, obwohl er durchaus geschickt jeden (durchaus einkalkulierten) manchmal sogar bis zur Peinlichkeit genutzt hat. Selbst heute geschätzte Impressionisten wurden ihrerzeit skandalisiert, dabei wollten die nur malen. Dalìs Skandale hängen mittlerweile dekorierend im Mittelklasseklo, die Dadaisten sind kunsthistorische Fußnoten und so weiter… Provokationen – so gekonnt – regen immerhin bisweilen zum (Nach-)Denken an. Der Skandal ist lediglich viel Lärm um nichts. Wie sein vermeintliches Gegenteil: viel Hype um nichts. Nur ein Beispiel: Gerhard Richters Domfenster. Hätte jeder gut ausgebildete Glaser hingekriegt, vielleicht besser. Immerhin, der „Künstler“ hat es, was es ist: geschenkt.
Skandalös ist, was man dazu macht – und dazu bedarf es auf der einen Seite den Macher und auf der anderen Seite den sich an seiner eigenen Empörung delektierenden Woller und – ich muss hier leider unterbrechen, denn da kommt gerade auf meinem Bildschirm die nächste hochgeschaukelte Belanglosigkeit – aah ! Kulturzeit…