„..der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wagen und streben… und innen waltet die züchtige Hausfrau…“, Schiller „Die Glocke“. Es heißt drinnen, korrigierte mich eine gute Freundin, die später noch einmal zu Wort kommen soll. Sie hatte Recht, aber ob drinnen oder innen, ich finde es eine hübsche Ironie der deutschen Sprache, dass die weibliche Form des männlich definierten Berufs, Handwerker – innen, Künstler – innen, auch den für sie bestimmten Wirkungskreis vorzugeben scheint, eben – innen. Schiller selbst bevorzugte das Außen, den Platz des Helden im Hellen und zur Sicherung dieser Position rät er in der weiteren Dichtung:
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang“.
So hat er denn sein Herz nicht nur an Herzen orientiert, sondern er suchte, um Reue abzuwenden, durchaus den Nutzen und unterschied zwischen den Herzen fürs Ewige und denen fürs Spontane.
Zu den Letzteren zählte Charlotte von Kalb, keine Frau für das Innen. 1784 lernte sie Schiller kennen, worauf sich ihr Verhältnis rasch zu einer leidenschaftlichen Beziehung entwickelte. Sie war zwar verheiratet, aber sie liebte ihren Mann nicht, doch die von ihr gewünschte Heirat mit Schiller kam für ihn nicht in Frage: „Eine Frau, die ein vorzügliches Wesen ist, macht mich nicht glücklich“, kommentierte er das Verhältnis zu Charlotte von Kalb, die ebenfalls Autorin war. Vielleicht hätte er sie glücklich machen und ihr bei der Veröffentlichung ihrer Werke behilflich sein können – er gab mit Goethe „Die Horen“ heraus und war nicht ohne Einfluss – aber das tat dann erst viel später eine ihrer Töchter und Schiller heiratete nach der Trennung von ihr eine intellektuell anspruchslosere Frau, die sich wohl mehr für züchtiges Walten in Innen eignete.
Das war nicht unbedingt Zeitgeist. Schon Goethe nahm da eine ganz andere Haltung ein und gelangte damit in seinen Werken zu farbigeren Frauengestalten. Die Betulichkeit von Schillers „Die Glocke“ hingegen liest sich heute wie eine Satire.
Danach klopfte die Romantik an, die Geschlechterrollen verändern sich, Emanzipation, ursprünglich das Freilassen eines Sklaven war das Ziel der Arbeiterbewegung, doch bald wird der Begriff auch auf das Verhältnis der Geschlechter angewendet.
Doch das brauchte Zeit und so pfiff Otto Modersohn seine Frau Paula Becker aus Paris wieder zurück in das Teufelmoor, Picassos spanisches alter Ego war der Frauen konsumierende Minotaurus, auch Max Ernst wusste Beziehung und Vorteil miteinander zu verbinden und heiratete die Guggenheim Erbin. „Und die einen stehn im Dunkeln und die andern stehn im Licht“ textete Brecht, der sich auch ins rechte Licht zu setzen wusste.
Aber vieles war in Bewegung geraten und so gab es auch erheiternde Intermezzi, wie das zwischen Frieda von Richthofen, deutscher Hochadel, und dem Bergmannssohn D. H. Lawrence, dem Autor des Skandalromans Lady Chatterely´s lover. Sie warfen sich gleichberechtigt die Tassen an den Kopf und vertrugen sich wieder. Oder wie bei Ingeborg Bachmann und Max Frisch, die zwar mit ihm zusammenzieht, ihn aber nicht heiratet und von der er dichtet: „Die Freiheit gehört zu ihrem Glanz. Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite. Ich bezahle ihn ganz.“ Von ihren Gedichten weiß man, dass sie tief im Innen beheimatet war.
Innen. Wenn eine Elefantenherde Gefahr wittert, dann bildet sie einen Kreis, außen die Bullen und die erwachsenen Kühe, die Jungtiere und die trächtigen Kühe innen. Innen – das ist auch der geschützte Raum. Es ist eine Vorliebe der Neuzeit, dem Außen den Vorrang einzuräumen. Helden für einen Tag besingt David Bowie den modernen Traum und Big Brother sorgt für ein Außen bis auf die Toiletten.
Die Porträts der Renaissance hingegen befinden sich fast ausschließlich in Innenräumen. Kabinenartige Klausen, die mit den Insignien der Passionen angefüllt sind, Linsen, Messgeräte, Zirkel, Tinte und Feder, Bücher. Zimmer sind Gehirne, ihre Organisation, Struktur und Einrichtung stehen analog zu dem darin praktizierten Denken. Die Bilder sind fensterlos, kein Blick in ein Außen, die Konzentration soll von nichts Äußerem abgelenkt werden. Der im Freien lustwandelnde Mensch, das ist Rokoko, Umbruchszeit, die französische Revolution klopft an.
Das Innen kann auch ein Kerker sein, aber auch in unfreiwilliger Gefangenschaft ist Bedeutendes entstanden, das Innen hat seine eigenen Potentiale. Dass es auch zum Kampfplatz werden kann, der Kampf gegen sich selbst, das wissen wir von den Mystikerinnen wie Theresa von Ávila oder von Simone Weil.
Und wie weiter? Eine Bekannte von mir, Mutter von 3 Kindern unter 10 Jahren und in Teilzeit als Apothekerin berufstätig, beschwerte sich bei mir über den Stress, den sie jedes Mal mit ihrer Schwiegermutter hätte, wenn sie zwei Mal im Jahr ein paar Tage lang allein nur mit ihren Freundinnen in den Urlaub fahren würde.
Als ich ihr sagte, das sei aber auch eine Pionierarbeit, die sie da leiste, sah sie mich verständnislos an. „Wir sind doch alle so erzogen worden, dass die Frau berufstätig ist und neben den Kindern sich auch noch gesellschaftlich engagiert“.
Jetzt blickte ich verständnislos, doch dann dämmerte es mir: Sie war ja in Ostberlin aufgewachsen…
Und da ist es noch einmal diese gute Freundin gewesen, die Einspruch erhob. Ostberlin, ein Politbüro von sich applaudierenden Greisen, die männliche Bevölkerung Paschas, die sich unter emanzipatorischen Spruchbändern tummeln…
Vermutlich hatte sie Recht. Aber dass Frauen den Rabenmutterruf auf sich nehmen um in ein selbstbestimmtes Sein zu wachsen, das wäre doch ein Anfang?
Aber ich bin ein Mensch des Innen und bin vielleicht ich ein wenig naiv, wenn ich das Individuelle über das Soziale stelle.