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Malerin werden im 19. Jahrhundert?

Malerin werden im 19. Jahrhundert? Nota bene, da steht Malerin und nicht Maler. Stephanie Decker und Marcell Perse haben den steinigen Weg des Fast-Unmöglichen im Rahmen der Ausstellungseröffnung: „100 Jahre Sehnsucht – Düsseldorfer Landschaftsmalerei (1825 -1925)“ dem Publikum am Weltfrauentag auf beeindruckende Weise veranschaulicht.

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Marcell Perse
Ins rechte Licht gerückt: Museumsleiter Marcell Perse stellt Stephanie Decker als seine neue Mitarbeiterin vor und heißt sie herzlich willkommen. Foto: Peer Kling
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Es geht um die Zeit zwischen 1825 und 1925. Wie war es als Frau möglich, in diesem Zeitintervall Malerin zu werden? Das ist hier die Frage. Die vom Museum für die Ausstellung „Sehnsucht“ ausgewählten 100 Jahre sind passenderweise auch genau das Zeitintervall, in das die Lebenszeit der ersten Zahnärztin Deutschlands, Henriette fällt, der die Lesung als Auftakt im Veranstaltungsdreiklang zum Weltfrauentag im Gebäudekomplex Bibliothek-Kulturhaus-Hexenturm galt. Vergleichende Betrachtungen bieten sich an.

Beim Betreten der Ausstellung im Kulturhaus begegnet der Besucher als erstes der römischen Göttin Minerva und das dank eines Sockels auf Augenhöhe. Minerva hatte recht viele „göttliche Jobs“. Ein nicht unwesentlicher davon war ihre Rolle als Schutzpatronin der Kunst und der Künstler, wobei die Kunst oft als weibliche Personifikation dargestellt wird. Und genau das illustriert eine sehr paradoxe Situation. Das Paradoxon ist, dass die Kunst einerseits als weiblich gilt, es heißt ja auch die Kunst und nicht der oder das Kunst und dass aber andererseits die Frauen ausgeschlossen werden, zudem auf eine aggressive Art und Weise, wie Marcell Perse erläutert: „Die Mitstudenten haben so lange Randale gemacht, bis die Frauen den Hörsaal verlassen haben.“

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Da werden Assoziationen geweckt etwa jene an ein vor jeder Metzgerei prangendes Schild: „Wir bleiben draußen!“ Tja, als Frau wie ein Hund behandelt zu werden, und das auch noch pseudowissenschaftlich hinterlegt, ist „unter aller Sau“. In seinem Buch „Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ schreibt der Arzt Dr. P. J. Möbius: „Frauen sind Instinkt gesteuerte Wesen. Da merkt man schon die Nähe des Tieres.“

Foto: Peer Kling

Es scheint wie eine Art Wiedergutmachung gegenüber all den Frauen, die vom offiziellen Unterricht kategorisch ausgeschlossen wurden, wenn nun die weibliche Gottheit Minerva als Identifikationsfigur des Jülicher Museums eine zeitgemäße Interpretation erfährt, in dem sie uns nun zu den speziell in den Fokus gerückten Werken von Künstlerinnen am Eingang der Jülicher Landschaftsgalerie begrüßt.

Die Jülicher Ausstellung ist Teil eines europäischen Ausstellungsprojektes, das sich speziell Künstlerinnen widmet. Das Projekt trägt den Titel: „Crossing Borders. Transnational Networks of Pioneering Women Artists in the 1800s”. Es wurde vom Museum Kunstpalast Düsseldorf und dem Ateneum Art Museum – Finnish National Gallery Helsinki initiiert. Jülich trägt seine Expertise zu den Landschaftsmalerinnen der Düsseldorfer Schule im 19. Jahrhundert bei und präsentiert in der Landschaftsgalerie im Kulturhaus Werke der Malerinnen aus eigenem Bestand, die als exemplarische Künstlerpersönlichkeiten für das Landschaftsgenre gelten.

Diese „Malweiber“ sind auch in den Ausstellungen in Düsseldorf und Helsinki mit Bildern präsent, die das Jülicher Museum erforscht und vermittelt hat. Zu „Crossing Borders“ erscheint je ein 253-seitiger Katalog in finnischer, schwedischer und englischer Sprache. Der 18-seitige Katalogbeitrag von Marcell Perse daraus liegt derzeit auf Englisch in der Jülicher Ausstellung zur Ansicht bereit, wird durch den kompletten Katalog in englischer Sprache in der Auslage ergänzt, sobald er eingetroffen ist und wird bald in deutscher Sprache im Jahrbuch des Jülicher Geschichtsvereins erscheinen.

Bei der Führung wurden die erfreulich zahlreichen Besucher in zwei Gruppen aufgeteilt, damit nicht das passiert, was keiner will: „Wie Se sehen, sehen Se nichts.“

An den Anfang gestellt: Schirmer als Nabel der Welt in Sachen Landschaftsmalerei. „Also gemalte Landschaft gab es schon auch vor ihm, aber keinen Lehrstuhl nur dafür“, erläutert Marcell Perse. „Erst unter Schirmer wurde die Landschaftsmalerei zu einer eigenen Klasse. Dargestellt wurden oft „Sehnsuchts(t)räume“, die heute so nicht mehr existieren oder in vielen Fällen so auch niemals existiert haben“, fährt er fort. Die Schirmer-Studenten haben, und wie gesagt, gibt es da nichts zu gendern, denn es waren ja nur männliche Studenten erlaubt, in der freien Natur Studien betrieben, akribisch und so naturgetreu wie möglich wurde jeweils ein persönlicher Katalog einzelner Versatzstücke als Ausschnitte der Naturlandschaft erstellt. Später im Atelier haben sie dann unter Verwendung dieses Repertoires an Puzzle-Stücken ihre Ideallandschaft als phantasievollen Traum komponiert, in einer Zeit, in der bereits die Industrialisierung und Verstädterung in vollem Gang war.

Der Bedarf an Träumen war von daher als eine Art Kompensation der oft so gar nicht charmanten Wirklichkeit groß. „Landschaftsbilder lösen nicht die drängenden Fragen der Gesellschaft, aber sie versetzen die Menschen in eine positive Stimmung“, so Marcell Perse sinngemäß. Die Herren Studenten sind also zunächst „sortenrein“ in die Wälder, Auen und sonstigen Landschaften gezogen und haben dort gemalt, aber eben nur um Versatzstücke zu sammeln, die dann „hinter dem Ofen“ zu einem Ganzen komponiert wurden. Das hat sich erst im Impressionismus geändert, also erst so ab 1850 aufwärts wurden die Gemälde in der Natur vollendet, wobei es dann um eine stimmungsvolle Darstellung einer flüchtigen Momentaufnahme ging: Staffelei aufstellen, wenn nötig Regenmantel anziehen und durchhalten bis zum fertigen Bild. Wie eine umfangreiche Liste von impressionistischen Künster:Innen zeigt, waren auch in dieser dem Fortschritt eher zugewandten Zeit die Künstlerinnen stark untervertreten.

Emmy Lischke (1860 – 1919) Gletscherlandschaft
Die Bürgermeisterstochter aus Wuppertal-Elberfeld wuchs im Zentrum der Textilindustrie auf, in dem viele Mitglieder der Oberschicht Bilder der Düsseldorfer Malschule kauften. Foto: Peer Kling

Was gibt es Traurigeres als die schroffe Ablehnung auf die lächelnd und erwartungsfroh gestellte Frage: „Darf ich mitspielen?“ Jedes Kind kann ein Lied davon singen und auch für Erwachsene ist ein „Nein“ nicht weniger schmerzlich. Irgendwie haben es wenige Frauen dennoch geschafft, dem garstigen Rausgeekeltwerden der männlichen Landschaftsmalerei-Studenten zu trotzen und dem Leitspruch: „Dabei sein ist alles.“ zu genügen. Wie ist das möglich?

Und hier kommt nun die grandiose Neuvorstellung einer Frau ins Spiel, die dem Museum zwar schon länger zugewandt ist, aber nun ab dem 1. April, (kein Scherz!) als Angestellte und Kuratorin auf der payroll des Jülicher Museums stehen wird: Stephanie Decker. Man möchte man dem Museum gratulieren zu dieser kenntnisreichen Mitarbeiterin, die zudem die Zusammenhänge gut und charmant erklärt.

Unter den rund 4000 Künstlerpersönlichkeiten, die der Düsseldorfer Schule zwischen 1814 und 1914 zugerechnet werden, sind nur etwa 200 Malerinnen, die sich notgedrungen eine außerakademische Ausbildung gesucht hatten. Das heißt, sie mussten Privatunterricht nehmen, der natürlich nicht gratis war. Ein Finanzpolster war also Voraussetzung. Das gesellschaftliche Umfeld durfte von der künstlerischen Aktivität oft nichts erfahren. Die Präsentation geschah nicht selten unter anderem Namen, am wenigsten verfänglich war ein Männername. Der Liebe zur Kunst in einem anonymen Untergrund frönen zu müssen, ist ein menschenunwürdiges Los.

Die Aufforderung lautet: Hingehen und selbst entdecken und die spannenden Lebensgeschichten herausragender Künstlerinnen studieren. Die Werke der in Schweden geborenen Amelie von Schwerin, Werke von Magda Kröner, deren Leidenschaft der Landschaft galt, die aber sich dann aber ihrem Mann unterordnend auf Erdbeeren und andere Stillleben kapriziert hat, von Emmy Lischke, die ihrer Zeit voraus war und schon einen Schritt in Richtung Impressionismus gewagt hat und Antonie Biel, die ihr 50jähriges Leben vor allem den Küstenlandschaften der Ost- und Nordsee gewidmet hat.

Liste Düsseldorfer Malerschule

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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