Die Westberliner Kunst lagerte in Köln, die nächste Station war Rotterdam und wir rumpelten mit dem hellblauen Transit den Maasboulevard hinunter. Die Maas hatte hier kurz vor ihrer Mündung die richtigen Ausmaße, um eine Me-tropole zu spiegeln und die Skyline war im Vergleich zu Köln schon Science Fiktion. Nur die Wellen auf dem Fluss, ihr sonnendurchschienenes Grün und die Art, wie sie der Wind trieb und mit Schaumkronen besetzte, dieses ruhige Auf und Ab inmitten des 6-spurigen Verkehrs, das war so unverändert geblieben wie unter den Firnissen der in Öl gemalten Seestücke, die ich schon als Kind liebte. Ein Museumsschiff lag am Quai und dümpelte vor der futuristischen Kulisse. Ein Schiffstyp, mit dem man nach Macao und zu den Molukken gesegelt war, eine Kogge. Ob der hohe, bauchig gewölbte Rumpf auch aquadynamisch günstig war, wusste ich nicht, aber die Form strahlte die Geborgenheit aus, wie man sie auf solchen Reisen wohl nötig hat. Das Schiff stammte noch aus der Zeit, als die Niederländer die spanisch-katholische Fremdherrschaft hinter die Schelde zurückwarfen und sich die Eigenarten dieses sehr eigenartigen Landes ganz frei hatten herausbilden können.
Eine dieser Eigenarten war das staatliche Förderprogramm für Künstler. War man darin einmal von einer Kommission als professioneller Künstler anerkannt, dann wurden vom Staat regelmäßig Bilder angekauft und so war auch das Haus, in dessen Giebel wir übernachteten, nicht gemietet. Es war noch nicht ganz bezahlt, wie man uns eiligst versicherte, dennoch fühlten wir uns ein wenig wie Gulliver im Land der Riesen und schleppten unsere Schlafsäcke die enge, steile Treppe zur Giebelkammer hinauf.
Die Holländer sind irgendwie ein südliches Volk. Sie sind extrovertiert, sie sprechen viel und schnell, gestikulieren und sie leben draußen, obwohl sie von den Temperaturen her keineswegs besser gestellt sind als wir Deutschen. Und das tun sie nicht nur, weil ihre Wohnungen klein sind, viel kleiner als unsere, nein, sie lieben es in entspannten Gruppen im Öffentlichen zu sein- gezellig – wie das bei ihnen heißt. Wir ließen uns also im Getümmel in Korbsesseln nieder, es war ein blauer Oktobertag mit seinem flachen, melancholischen Licht, bestellten Genever und wie im südlichen Holland nah der belgischen Grenze üblich, Trappistenbier, katholisches Starkbier von hinter der Schelde, es wurde lustig.
Am nächsten Morgen begannen wir dann mit dem Einsammeln der Exponate. Fokko lotste uns in ein aufgegebenes Industriegebiet unter dem Deich, Holunder wucherte über den Weg und peitschte gegen die Windschutzscheibe, bis wir vor einem 4-stöckigen Backsteinbau ankamen, ein T-Träger mit Laufkatze am Giebel, das Flachdach mit Glaskuppeln besetzt. Die Ateliers waren riesig, überall standen Sofas und ausladende, siebenfingrig geblätterte Grünpflanzen in Bottichen herum. Der Blick ging über den Deich, wo unter dem sich lichtenden Oktobernebel Schlepper und Schubverbände auf der Maas schipperten. Schon recht nett. Die Fabrikhallen waren gekraakt, besetzt. Die Zeiten, wo die Kraakers im Stadtparlament saßen, waren schon vorüber, doch man durfte bleiben.
Eine Dose Heineken, dann ging es zur 2. Sammelstelle. Die befand sich in einem Antiquariat mit angeschlossener Wohnkommune in einem sonst eher kleinbürgerlich anmutenden Viertel. Wir klingelten, Tritte kamen eine Treppe herab und ein blonder Recke stand mit dem Duft eines Raubtiergeheges im Türrahmen. Unzählige Katzen stellten an seine Beine geschmiegt die Schwänze auf, wir arbeiteten uns durch die Liebesbezeugungen hindurch und luden ein.
Vorne im Buchladen gingen brave Holländer jeglichen Alters die unsortierten Kisten durch. Darin fanden sich Landser Romane mit Hemingway, Pornos mit Astrid Lindgren so traulich vereint, wie die braven Mijnheers und Mevrouws mit den Hippies und Kraakers, inhaltliche und formale Grenzen wurden offensichtlich sehr liberal gezogen, aber uns schwante noch nichts.
Europa war noch von spürbaren Grenzen durchzogen und das mehrseitige Zollformular zur Ausfuhr von Waren, wozu die Kunst in diesem Fall zählte, lag mit dem abzustempelnden Durchschlag für den Belastingsdienst (Finanzamt) im Handschuhfach und es ging Richtung Hamburg. Es wurde schon dämmerig, als wir die Moorlandschaft der Drenthe erreichten. Lange Nebelbänke zogen zwischen den Kopfweiden, wir passierten das Schild der niederländischen Staatsgrenze und sahen die hell erleuchteten Amtsstuben und den gesenkten Schlagbaum des deutschen Zollamts vor uns. Wir reichen das Carnet durch das Seitenfenster. Nein, so einfach war das nicht, Motor ausschalten, aussteigen, Laderaum öffnen. Der Autor darf sich nicht wiederholen, die Realität schon und sie macht, wie wir alle wissen, einen recht schamlosen Gebrauch davon. Natürlich passten wir äußerlich auch genau ins Raster und man vermutete wohl den Bestand sämtlicher Coffeeshops in unseren Kisten, da half auch kein Abgleichen der Listen mit den Aufschriften der Transportlisten – auspacken. Nicht nur die Szene im eingeschalteten Flutlicht und das Mondlicht über den Droste-Hülshoff Kopfweiden an den Entwässerungsgräben im Moor waren schaurig, nein, das Schaurigste war der Inhalt der Kisten. Ein wirres Sammelsurium aller Stile und Arten, vermutlich dazu angetan, sämtliche bestehenden Vorurteile von Zöllnern hinsichtlich moderner Kunst zu zementieren und die vor allem rein gar nichts mit dem Thema der Ausstellung zu tun hatten.
Unsere Stimmung hellte sich erst wieder auf, als wir in Hamburg ein Kontingent von inhaltlich passenden Arbeiten gehobener Qualität zuluden, womit dann zwar nicht die Parität, aber zumindest das Bebildern der Ausstellungshalle gesichert war. Das war natürlich zu feiern und wird beendeten den 2. Akt unseres Road-movies unter dem Tuten von Nebelhörnern und Nieselregen auf dem Fischmarkt, wo wir uns ein gebackenes Goldbarschfilet als Katerfrühstück gönnten. Im Atelier stand von nun an die halbe Fracht nur rum, kostete Versicherung und raubte uns die Bewegungsfreiheit. Aber vor allem sahen wir unser Ausstellungskonzept gefährdet.