Schön, was soll man dazu schreiben? Schön, das Wetter ist schön und dass der Dackel wieder gesund ist, ist auch schön… Schön ist vor allem relativ, denn dem Bauern ist es zu trocken und dass der Dackel wieder herum kläfft, das muss auch nicht unbedingt sein. Schön ist also alles und nichts, eine Ansichtssache, damit kann man sogar die Dezemberausgabe des „Herzog“ betiteln.
Noch zu meiner Schulzeit in den 60erJahren war das Wort Schön im Deutschaufsatz brenzlich. Kam das öfters vor, konnte es einem die ganze Arbeit versenken und in Striemen von roter Tinte stand unter der die Versetzung gefährdende Benotung: „Die Fähigkeit zu präzisem Ausdruck ist mangelhaft und bleibt deutlich unter dem in dem Jahrgang geforderten Niveau“. Vermutlich kann man heute auch nicht statt „Schön“ „Cool“ oder „Geil“ schreiben, Dufte oder Klasse ging zu meiner Zeit keinesfalls, es sein denn, man hätte dem ganzen Text eine unübersehbar ironische Note verliehen. Dann konnte man damit sogar punkten: „Souveräner Einsatz der sprachlichen Mittel“, stand nun im schönsten und leider wenig ausführlichem Tintenrot darunter.
Das Schöne entsteht im Auge des Betrachters, aber das Auge ist nur ausführendes Organ. Die eigentlichen Schaltstellen sitzen im Gehirn und wie bei jeder Datenverarbeitung gibt es auch hier eine Software, nach der die Abläufe funktionieren. Im abendländischen Kulturkreis ist es das Venus-Programm, die römische Göttin steht für die Schönheit und die schönen Dinge wie die Liebe und die Kunst. Nun scheinen Liebe und Kunst auf den ersten Blick gar nicht zur gleichen Rubrik zu gehören, doch was sie bei genauerem Hinsehen verbindet ist, dass beide eine nicht diskutierbare, individuelle Wahl zur Grundlage haben. Manche Liebesverbindungen scheinen von außen gesehen ebenso unverständlich, wie uns künstlerische Positionen unsinnig erscheinen mögen. Aber als Liebe und Kunst sind sie eben der Ausdruck einer Einzigartigkeit, die um den Preis der Selbstaufgabe einfach gelebt werden muss. Liebe und Kunst kann man nicht wollen. Sie sind absolut und nicht diskutierbar und gleichen eher Schicksalsschlägen, das sieht man an den Opfern, die dafür gebracht werden. Romeo und Julia, Tristan und Isolde, der Liebestod ist so europäisch wie das Sterben an der Kunst bei van Gogh oder Pessoa. Das Schöne ist also alles andere als nett, es hat oft Folgen, die man als unschön empfindet und denen man die klimatisierte Nettigkeit eines Frühstückseis zu zweit in der Designerküche vorzieht.
Gegen dieses Nette lehnt sich dann periodisch im Gewand des Hässlichen das authentische Schöne der Beatniks, Hippies oder Punks auf, um es richtig bunt zu treiben. Vergessen wir nicht: noch zu Beginn der Neuzeit waren die Farben reglementiert, das Rot war dem Adel vorbehalten, das Violett dem Klerus und erst mit der Renaissance setzt sich die Wahlfreiheit des Schönen und damit auch ein neuer Menschentypus durch. Das Schöne wird Aushängeschild, es ist das neue Mächtige. Dürer malt sich mit frisch ondulierter Lockenmähne und korrekt gestutztem Bart als das bis heute gültige Bild vom Christus. Der Liebestod wird zur Pose, Goethes Werther erschießt sich in blauer Hose und gelber Jacke mit der Pistole, nachdem er vorher die Tür zur Straße hin geöffnet hat. Der Knall zerreißt die Flötentöne des Rokoko und eine wahre Werther-Welle von Suizidalen erfasste das Land. Auch die Armut wird schön, die Sansculotten – die ohne Hosen- sind bald die neuen Mächtigen und bei dieser Haut-Couture fielen nicht nur die Zöpfe und alle nachfolgenden Ideologien nutzen die Ästhetik zur Überhöhung ihrer Programme mit Fackelzug und Militärparade.
Mit dem Schönen setzen wir uns absolut. Menschen sind immer von A nach B gegangen, aber der Dichter Petrarca ist der erste, der sich als Wanderer begreift, einen Berg besteigt und daraus ein neues Selbstbild formt. Van Gogh malt sich mit einer Trage Leinwänden auf dem Rücken in der Mittagshitze auf der Straße nach Tarrascon, das erste Road-movie. Das überdauert zwei Weltkriege und ersteht im existenzialistischen Lebensgefühl wieder auf, der Maler Francis Bacon adaptiert das Motiv in verschiedenen Variationen. Das Ego-Design geht konsequent über den Dandyismus eines Oskar Wilde oder Nietzsches Zarathustras Gipfeleinsamkeit bis zur heutigen Überschwemmung von Ich-Bildern der Selfies bei Facebook. Josef Beuys mit Filzhut, Krummstab und Kojoten gibt den guten Hirten, David Bowies Major Tom steht auf dem verlorenen Posten, Madonna macht die Braut Christi, die abendländische Bilderkammer ist randvoll.
„Helden für einen Tag“, Kunst-Produkte, in denen das Schöne in immer kürzeren Intervallen durch das Netz flimmert. Notfalls mit Copy and Paste, Design oder Nicht sein…, die Arbeit am schönen Ich ist die neue Kirche. Erich Kästner, gewohnt visionär, schenkte uns diese Zeilen dazu:
„Ich bin sehr schön.
Und bin als schön bekannt.
Fast jeder denkt bei mir an Botticelli.
Ich bin nicht hübsch.
Und bin nicht interessant.
Nein, ich bin schön.
Und dabei heiß ich Elli.“