Bilddialoge hat es immer wieder in der Kunstgeschichte gegeben. Es ist dem antwortenden Künstler freigestellt, worauf er wie eingehen möchte. Das macht es für den Bildbetrachter, der sich in diesen Dialog einmischen darf und soll, doppelt spannend. Denn er wird nicht nur dem Dialog der Künstler zu folgen versuchen, Fragen stellen, sich wundern, zustimmen, widersprechen, sich freuen oder ärgern, sondern sich so auch als weiterer Partner einbringen. So können sich auch Aspekte ergeben, die bei Einzelbetrachtung nicht zur Sprache gekommen wären.
Man hat noch nicht das Gefühl, dass der Sturm in Gemälde von J.W. Schirmer wirklich ganz vorüber ist, der Himmel ist zwar etwas aufgerissen und auf die Steinbrocken, auf Bachufer und Rasenstück fallen ein paar Sonnenstrahlen, aber die Stimmung ist doch eher düster und drohend. Vielleicht entsteht der Eindruck aber auch, weil die Heftigkeit des Sturms noch sichtbar ist im umgekippten Baumriesen vorne links, der über den Bach gestürzt ist. War er vielleicht doch etwas morsch? Denn die zwei anderen großen Bäume haben ja wohl den Gewalten getrotzt.
Dieses Motiv der Heftigkeit und Mächtigkeit von Naturgewalten hat Schirmer mehrfach – auch in verschiedenen Techniken – gestaltet. Es war allgemein ein beliebtes Bildthema in der Zeit der Romantik von vielen Künstlern. Zu lesen ist es auch als Symbol für den Seelenzustand des Menschen und sein Leben in und mit der Natur, der Großartigkeit, dem Staunenswerten, dem Ausgesetzt- und Ausgeliefertsein. Bei Schirmer sind die Bilder naturgetreu, naturrealistisch bis in Details gemalt. Er hat sie in der Natur studiert und in Ölstudien festgehalten, aber daraus sind im Atelier Kompositionen entstanden nach den ästhetischen Vorstellungen der damaligen Zeit und bestimmten Regeln der geltenden Kunstauffassungen.
Mit diesem Bild von Schirmer beschäftigt sich Otmar Alt in seinem Dialogbild „Ein schöner Frühlingstag nach Wilhelms Sturm“. War es für Alt eher ein „reinigendes“ Gewitter, das jetzt ein völlig anderes Naturerlebnis bewirkt und in einer völlig anderen Bildsprache erzählt wird? Noch ein paar schwarze Wolken oder Wölkchen ziehen über ein farbenfrohes, buntes Gewimmel von Formen und Figuren, die man gerne in einem Märchenwald verorten möchte. Oder sind es alle die „guten Geister“, die uns den Wald oft so wohltuend erleben lassen. Hatten sie sich bei dem Unwetter, dem Sturm, Regen und Gewitter nur in sichere Verstecke zurückgezogen. Jetzt sind sie wieder da und heitern uns auf, machen uns leicht, froh gelaunt, lassen uns tief durchatmen vor Freude und durch den Wald spazieren.
Das Museum Zitadelle Jülich hatte ab 2007 zu einen Künstlerdialog mit Schirmers Werken eingeladen, an dem bisher über 20 zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen teilgenommen haben, zum Teil auch mit mehreren Arbeiten. Diese Aktion war ein Teil des Jubiläumsprojektes 2007 zum 200. Geburtstag von J.W. Schirmer. Das Museum Zitadelle verfügt über eine große Sammlung seiner Gemälde, der größten neben Düsseldorf und Karlsruhe. Ansonsten sind seine Bilder in vielen Museen im In- und Ausland zu finden.
Den Werdegang von J.W. Schirmer würde man heute als Bilderbuchkarriere bezeichnen: Geboren 1807 in Jülich, nur einfache Schulbildung, Ausbildung als Buchbinder im Betrieb seines Vaters am Marktplatz, gelingt ihm die Aufnahme an der Kunstakademie Düsseldorf. Die klassische Ausbildung stellt ihn nicht zufrieden. Sein Interesse gilt einem Bereich, für den es in Düsseldorf (noch) keine Ausbildung gab: Landschaftsmalerei. Durch seine Bemühungen und einige Mitstreiter, besonders Carl Friedrich Lessing, gelingt es, dieses Fach zu entwickeln und zu etablieren. Schirmer wird erster Lehrer und 1839 schließlich Professor. 1854 wird er berufen zum Gründungsdirektor der Kunstakademie Karlsruhe. Sein Einfluss als Lehrer prägt über Jahre ganze Künstlergenerationen und strahlt weit über Deutschland hinaus. An dem Qualitätsbegriff „Düsseldorfer Malerschule“ hatte die Landschaftsmalerei einen großen Anteil.
Der zeitgenössische Künstler Otmar Alt (geb. 1940) lebt und arbeitet in Hamm-Norddinker. Dem Jülicher Land ist er sehr verbunden. Zu vielen Anlässen und Aktionen war er hier. Über viele Jahre hat er im de Nickel Schuppen in Koslar mit Arno Schlader gearbeitet, dort ausgestellt und auch Keramiken entwickelt und Schmuck gestaltet zusammen mit der Goldschmiedin Anja Schlader. Gemeinschaftsarbeiten von Schladers und Alt zieren den Vorplatz des de Nickel Schuppens.
Auch weitere Kunstwerke von Otmar Alt finden wir hier in der Region, zum Beispiel in Jülich am Seniorenwohnheim „Am Wallgraben“ die Figur „Zitadellenträumer“ und ein Glasbildfenster mit Jülicher Motiven. In Linnich eine Installation im Freigelände des Glasmalereimuseums und Arbeiten im Kreishaus Düren. Lange fuhr die Rurtalbahn mit einem von Alt gestalteten bildfröhlichen Zug, die Kunstwerke daraus sind nun in der Internationalen Kunstakademie Heimbach zu sehen. Neben Sonderausstellungen in der Region hat er sich immer wieder Aktionen mit Kindern und Jugendlichen gewidmet. Das alles kann man aber eigentlich nur als Mosaikstein sehen im Gesamtwerk von Otmar Alt, seiner nationalen und internationalen Wirkung und Bedeutung.
„Nach dem Sturm“ – Schirmers Titel wurde von Otmar Alt weiterentwickelt zu „Ein schöner Frühlingstag nach Wilhelms Sturm“. Was macht diese Anregung mit uns als Betrachter? Der „Alt-Meister“ lädt alle kleinen und großen Menschen ein, es selbst auszudrücken. Seine Vorzeichnung zum Schirmerdialog können Sie ausdrucken (Download-Möglichkeit s.u.), nach eigenen Vorstellungen ausmalen und verändern, digital oder real. Wer will kann ein Foto seines Werkes gerne an das Museum senden – Kreativität zum Teilen.