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Wirkstofftaxi für Insulin

Bis zu drei Prozent der Menschen mit Diabetes reagieren allergisch auf Insulin. Ein Team am Forschungszentrum Jülich hat nun eine Methode untersucht, mit der sich der Wirkstoff maskiert in den Körper schleusen lassen könnte – in Form winzig kleiner Nanopartikel. Freigesetzt wird das Insulin erst im Zielorgan, wenn der pH-Wert vom leicht basischen Milieu im Blut abweicht. Das molekulare Transportsystem könnte auch als Plattform dienen, um andere Arzneimittel im Körper treffsicher am Zielort freizusetzen.

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Anastasiia Murmiliuk am Kleinwinkelstreudiffraktometer KWS-2 des Heinz Maier-Leibnitz Zentrums (MLZ) in Garching am Rheometer. Am MLZ befindet sich die größte Außenstelle des Jülich Centre for Neutron Science. Foto: Bernhard Ludewig, FRM II / TUM
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Es ist ein alter Traum in der Pharmazie: einen Wirkstoff im Körper genau an die Stelle zu bringen, wo er am meisten gebraucht wird – ein Krebsmedikament zum Beispiel direkt ins Tumorgewebe. Das minimiert seine Nebeneffekte auf andere Organe und sorgt dafür, dass er am Ziel seine maximale Wirkung entfaltet. „Targeted Drug Delivery“ nennt sich dieses Konzept. Dabei wird der eigentliche Wirkstoff in eine Transportsubstanz verpackt und so in den Körper geschleust. Am Zielort angekommen sorgt ein bestimmter Stimulus (z.B. der Sauerstoffgehalt oder der pH-Wert) dafür, dass die eingekapselte Fracht wieder abgegeben wird.

Ein Team am Forschungszentrum Jülich hat gerade das Konzept für solch ein Wirkstofftaxi vorgestellt, von dem vor allem Menschen mit Diabetes profitieren könnten. „Manche der Betroffenen reagieren allergisch auf Insulin – also auf das Präparat, mit dem sie täglich ihren Blutzuckerspiegel einstellen müssen“, erklärt Anastasiia Murmiliuk, die als Forscherin am Jülich Centre for Neutron Science (JCNS) maßgeblich an der Entwicklung und Charakterisierung des molekularen Transportsystems beteiligt war.

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Eine Allergie gegen Insulin kommt selten vor. Aber gerade bei Menschen mit Typ-1-Diabetes gibt es keine Alternative zur Gabe des Botenstoffs. Bei jeder Injektion mit dem Insulin-Präparat rötet sich die Haut um die Einstichstelle. Die Stelle schwillt an, juckt und schmerzt. Sogar eine anaphylaktische Reaktion kann die Folge sein mit Atemnot und Kreislaufbeschwerden. „Unsere Idee war es, das Insulin für das Immunsystem zu maskieren. Dazu haben wir ein synthetisches Polymer ausgewählt, das das Insulin an sich bindet“, sagt die Chemikerin.

Mit Hilfe verschiedener Streumethoden konnte das Team aus Jülich nicht nur die Größe der Partikel bestimmen, sondern auch ihren inneren Aufbau: Die wasserliebenden Abschnitte des Polymers bilden die äußere Hülle der Partikel, die geladenen Kettenteile schmiegen sich im Inneren ans Insulin. „Wir konnten zeigen, dass sich drei Insulinmoleküle dicht beieinander liegen“, erklärt Anastasiia Murmiliuk. In vielen konventionellen Präparaten liegt Insulin in gelöster Form im Sechserpack vor, der dann allmählich in die wirksamen Einzelmoleküle zerfallen muss. Der Dreierverband in den Nanoträgern könnte daher schneller wirken.

Die Methode der Kleinwinkel-Neutronenstreuung hat sich für die Untersuchung der Polymer-Insulin-Partikel als besonders nützlich erwiesen, sagt Aurel Radulescu, Neutronenstreuungsexperte am JCNS: “ Im Gegensatz zu Röntgenstrahlen können Neutronen den Wasserstoff in einer Probe „sehen“ und zwischen Wasserstoff und Deuterium (schwerem Wasserstoff) unterscheiden. Wenn wir den Wasserstoff in allem bis auf eine Komponente der Nanopartikel durch Deuterium ersetzen, können wir gezielt nur diese eine Komponente sichtbar machen, also nur das Polymer oder nur das Insulin. Auf diese Weise können wir den Kontrast zwischen den beiden Komponenten und dem Lösungsmittel selektiv erzeugen und im Detail sehen, wie unser Wirkstofftaxi aufgebaut ist.“

„Es war besonders wichtig, einen breiten Größenbereich von einigen Angström bis hin zu Mikrometern mit demselben Neutroneninstrument zu analysieren, um eine gründliche Strukturanalyse der Polymer-Protein-Komplexe und ihrer größeren Anordnungen zu gewährleisten. Es gibt weltweit nur sehr wenige Kleinwinkel-Neutronen-Diffraktometer, die diese Möglichkeit bieten, und wir haben einige in unsere Studie einbezogen“, sagt Radulescu.

Aurel Radulescu und Anastasiia Murmiliuk vor dem SANS-J small-angle Neutrondiffractometer am Japan Research Reactor JRR-3 in Tokai, Japan. Foto: Japan Atomic Energy Research Institute

Bisher konnte das Team nur im Labor zeigen, dass der molekulare Transporter funktioniert. Untersuchungen in Blut und Gewebeproben stehen noch aus. Trotzdem glauben die Forscher, dass sich Komplexe aus einem synthetischen Polymer und einem natürlichen Protein wie Insulin zu einer pharmazeutischen Plattform ausbauen lassen. Und damit ließe sich dann nicht nur Insulin, sondern eine Vielzahl von Wirkstoffen effizient in den Körper schleusen: „Wir haben das ausprobiert mit einem Farbstoff, der in ähnlicher Form auch im Blut oder im Blattgrün vorkommt und zur Krebsdiagnose und -behandlung eingesetzt wird. Der wurde in den Nanopartikeln eingeschlossen und wurde freigesetzt, nachdem sich der pH-Wert deutlich verändert hatte und die Partikel auseinanderfielen.“

In Zukunft ließen sich damit auch Wirkstoffe einkapseln, die schlecht in Wasser löslich sind. Radulescu und Murmiliuk denken dabei vor allem an Krebsmedikamente. Da Tumore einen anderen pH-Wert haben als andere Zellen, können mit diesem Ansatz Krebsmedikamente direkt an Krebszellen abgegeben werden, ohne dass „gesunde“ Zellen Schaden nehmen.


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