Luca Bischoni bringt Licht in das Dunkle eines brisanten Themas, bei dem es selbst um Dunkelheit geht: Dunkelheit im Innern der Seele. In seinem Buch „Als man mir den Stecker zog“, zeichnet er nicht nur seinen Weg in diesen Zustand, den er gerne als „großen schwarzen Hund“ bezeichnet. Er beschreibt auch Wege, mit denen er selbst wieder herausgefunden hat aus dieser Situation. Es ist ein heikles Thema, das auch politisch kaum bedeutsamer sein könnte, denn es betrifft in rasant wachsendem Maße die junge Generation: Vor der Pandemie hatten bereits zehn Prozent der Jugendlichen von 16 bis 19 Jahren depressive Symptome, am Ende des ersten Lockdowns waren es dann schon alarmierende 25 Prozent, ergab eine Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Und es gab ja noch einen zweiten. Aber es fehle an Therapieplätzen. Und damit auch an schneller Hilfe, die Leben retten könne, weiß auch Luca, der in diesem Punkt allerdings Glück hatte. Sein Wunsch an die Politik und auch an die Schulen: Etwas mehr Menschlichkeit reinbringen in die Strukturen. Auch „Glücksunterricht“ könne helfen.
Eingeladen zu der Veranstaltung hatte deshalb das Jugendparlament Jülich, Quartiersentwicklerin und Geschäftsführerin des JuPaJü, Sevdije Haxha, begrüßte den Autor und Studenten aus der Eifel, der heiter und mit viel Humor, und vor allem sehr ehrlich und bildhaft, ein ernstes Thema vortrug. Am Ende stellte er sich den zahlreichen klugen Fragen der Jungparlamentarier und des Publikums, darunter auch Betroffene, die ihm für seinen Beitrag dankten.
Als Kind hochsensibel und leistungsstark habe Luca bereits früh sein „Anderssein“ verspürt. Er sei motorisch unterentwickelt gewesen. „Wenn er früh eine spezielle Förderung bekommen hätte, wäre das vielleicht hilfreich gewesen“, bilanziert er heute. „Schwarze Flecken“ im Gemüt zeigten sich schon hier und da: Ein Tränenausbruch im Fußballtor deutet er im Nachhinein als Vorboten der späteren Depression. Doch Fußball war auch sein Glück, denn so fand Luca soziale Akzeptanz, auch wenn er mit 14 gemobbt worden sei und später sogar selbst gemobbt habe. Darauf sei er nicht stolz. „Meistens anders als die anderen, eher ein Kopfmensch“, so beschreibt er sich selbst in seinem Buch. „Mit diesem Kind werden sie nochmal Spaß haben“ hätte eine Schulpsychologin zu seinen Eltern gesagt und mit diesem unbedachten Satz viel Schaden in ihm angerichtet. In der Gesellschaft gebe es viele kleine, unrunde Dinge, die krankmachten, findet er.
Als er in der vierten Klasse dann mit der „Ich-zeigs-allen-Mentalität“ durchgestartet sei, begann der Weg ins eigene Aus. Als Abiturient mit Einsnuller Schnitt ging er hinaus ins Studium, in ein Gefühl der Superlative – der „Freiheit ohne Leitplanken“: 14 Stunden Lernen, Feiern, Trinken, das sei sein Alltag gewesen. Doch als seine Freundin Schluss machte, sei sein Kartenhaus zusammengebrochen. „Ich wusste nicht mehr wie Leben funktioniert“, erinnert er sich. „Aus allen Ecken kam auf einmal die Angst gekrochen.“ Er funktionierte weiter, „mit einem Goldfischglas über dem Kopf“, beschreibt er in Metaphern, um den Zustand nachfühlbar zu machen. Oder wie ein elektrisches Gerät, dem man den Stecker zieht. Auch sein Körper reagierte: Mit 19 schon Bluthochdruck, fand er sich irgendwann mit einem Tinnitus am Boden der Dusche wieder. Sein Bruder habe ihn gefunden – regungslos. Heute dankt er seinem Körper für diesen Generalstreik.
Was ihn wieder herausgebracht habe aus dem Loch? „Aktives Loslassen“, von allem was sein früheres Leben mit seiner Freundin ausgemacht hatte. Zum Glück habe er schnell eine gute Therapeutin gefunden. „Da gibt es auch andere“, weiß er. Sport habe sich als hilfreich erwiesen, also wieder rein in die Fußballschuhe. Außerdem Achtsamkeit. „Geh raus, schau dich um, was das Wunder Natur dir zu bieten hat,“ So erinnert er sich an „seine“ Naturerfahrung auf dem Luesberg in Aachen, wo er studiert. Allerdings habe jeder natürlich andere Bedürfnisse. „Was jeder braucht, kann immer anders sein.“ Er sei schließlich erneut zu Hause ausgezogen. Was am Anfang „Wahnsinn“ gewesen sei, habe ihn am Ende gerettet. „Hey, du kannst ja für dich sorgen“, so die Erkenntnis, nachdem er sogar vergessen hatte zu essen. Er gab sich selbst eine Struktur. Das war sehr wichtig für ihn. Auch ein Klinikaufenthalt gehörte zu seinen Erfahrungen. Zunächst sei danach alles schlimmer geworden, habe langfristig aber auch geholfen, sei nur eigentlich zu spät gekommen. Ja, auch medikamentöse Unterstützung habe er letztendlich akzeptiert. Auch das sei ein wichtiger Baustein für ihn geworden.
In der Fragerunde mit Liam Franken vom Jugendparlament kamen auch Fragen auf, wie das Umfeld mit einem Betroffenen umgehen könnte. Freunde seien gefragt. Sie könnten dem Betroffenen bildlich eine „Hand in den Rücken legen“. Eltern gegenüber seien Jugendliche oft schambehaftet. Hier spiele das Netz und Haltgeben eine große Rolle. Bei ihm wie bei vielen anderen spielten auch Trennung, Scheidung und eine geänderte Familiensituation der Eltern eine „große Rolle“ im Vorfeld.
Luca möchte mit Klischees aufräumen: „Depression ist keine persönliche Schwäche.“ Aber für die Gesellschaft gilt es zu funktionieren, weiß er. Da hieß es auf der Arbeit bei ihm immer „Maske auf“, das konnte er. Bei den Jugendlichen sei schon mehr Verständnis als bei der Elterngeneration für das Thema vorhanden. Hier bestehe aber die Gefahr, dass „depri sein“ schnell als cool gilt. Ein inflationärer Gebrauch der Diagnose helfe nicht, warnt er. Sein Appell: „Sei du selbst.“ Jeder könne etwas anderes gut. Luca studiert jetzt nicht mehr als Hochbegabter auf Stipendium das Fach Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Maschinenbau an der RWTH Aachen, sondern ist im ersten Semester Psychologie.