Vor 740 Jahren töteten Aachener Bürger den Grafen von Jülich, Wilhelm IV. Um diese Tat, die im Aachener Sagenschatz eine prominente Stellung einnimmt, ranken sich zahlreiche Mythen. So verlegt der durch seine Zeitungskolumnen in Öcher Platt bekannt gewordene Burtscheider Mundartautor Leonard Linzen (1852- 1907) die Gertrudisnacht, in der der Graf angeblich durch einen Aachener Schmied erschlagen worden war, aus unerklärlichen Gründen in das Jahr 1277. Seine Mundarterzählung „De Gertrudesnaht van et Johr 1277“ ist bebildert mit einer Graphik des Düsseldorfer Künstlers Albert Baur jun. (1867-1959), die als Archivale des Monats das Ereignis in der Vorstellung eines Künstlers des frühen 20. Jahrhunderts zeigt.
Thomas Kraus hat in Band 3/1 der Aachener Stadtgeschichte den Mythos um den Aachener Schmied auf seine Glaubwürdigkeit hin überprüft. Nach seinen Erkenntnissen haben sich die historischen Ereignisse anders abgespielt, als gemeinhin angenommen wird: Jülich befand sich zu dieser Zeit mit Aachen in Fehde, allerdings gab es einen Waffenstillstand. Fakt ist, dass der knapp 70-jährige Graf Wilhelm IV. mit seinen Söhnen und Begleitern am 16. März 1278 – wahrscheinlich vor dem Weißfrauenkloster in der Jakobstraße – erschlagen wurde.
Die weit verbreitete Annahme, Wilhelm IV. habe mit einem Trupp versucht, die Stadt abends im Handstreich einzunehmen, widerspricht der politischen und militärischen Erfahrung des Grafen, der mit solche einem Vorgehen ein hohes Risiko eingegangen wäre. Auch abends hätte sich der Graf mit seinem Gefolge nicht unbemerkt den Stadtmauern nähern können. Dass er ein solch unkalkulierbares Risiko gemeinsam mit seinem Erben auf sich genommen hätte, ist noch weniger anzunehmen. Zudem hätte eine Eingliederung Aachens in das Jülische Territorium angesichts der Rolle Aachens als Krönungsstadt wohl auch königliche Sanktionen für die Grafschaft Jülich nach sich gezogen.
Hitzige Diskussionen ließen die Stimmung eskalieren
Wahrscheinlicher ist, dass Wilhelm IV. nachmittags in die Stadt kam, vermutlich, um für König Rudolf Truppen und Gelder für den Krieg gegen Ottokar II. von Böhmen zu sammeln. Und das, obwohl Aachen zu dieser Zeit gewisse Steuerfreiheiten genoss. Angesichts der – wenn auch ruhenden – Fehde und der Aufforderung zur Zahlung der Steuern gab es hitzige Diskussionen. Als Wilhelm dann noch in seiner Funktion als Vogt versuchte, bestimmte gesuchte Personen, die er entdeckt hatte, in Gewahrsam zu nehmen, eskalierte die Stimmung. In einer Straßenschlacht töteten Aachener Bürger den Grafen und sein Gefolge; eine wichtige Rolle dabei spielten wohl die im Umgang mit Messern und Beilen erfahrenen Aachener Metzger – und eben nicht ein einzelner Aachener Schmied.