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Im Wartesaal der Geschichte

Jülich und der erste Eisenbahnanschluss.

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Postkarte von 1898 mit der Ansicht des Jülicher Bahnhofs von der Bahntrasse aus und einem Blick in den Wartesaal | Foto: Stadtarchiv Jülich
Postkarte von 1898 mit der Ansicht des Jülicher Bahnhofs von der Bahntrasse aus und einem Blick in den Wartesaal | Foto: Stadtarchiv Jülich
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Im September 1860 begannen mit einer 14-tägigen Belagerungsübung die Schleifungsmaßnahmen an den Jülicher Festungsanlagen. Über 300 Jahre war die Stadt von mächtigen Wällen, Bastionen und Gräben umgeben gewesen. Nun bekam sie Raum, um sich ausdehnen zu können. Tatsächlich ging dieser Prozess sehr schleppend voran, da es an der wirtschaftlichen Potenz fehlte, um eine größere Stadterweiterung in Angriff zu nehmen. Dies hatte unmittelbar damit zu tun, dass es Jülich an einem Eisenbahnanschluss fehlte, der im 19. Jh. eine Grundvoraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung war. Als in den 1830er-Jahren die Anlage der Strecke Köln–Aachen als Teil des so genannten Eisernen Rheins, der Köln mit Antwerpen verbinden sollte, diskutiert wurde, hatte man auf eine Streckenführung über Jülich gehofft. In entsprechenden Eingaben an die preußische Regierung hatte die Stadt darauf verwiesen, dass sie der Postroute verlustig gegangen war und nun auf eine entsprechende Kompensation hoffte. Das Militär stand diesem Ansinnen weniger positiv gegenüber, da man die Festung nicht an ein überregionales Schienennetz angeschlossen sehen wollte.

Aus Sicht der sich damals formierenden Rheinischen Eisenbahngesellschaft dürfte dies aber nur eine eher randständige Diskussion gewesen sein. Schon in den ersten Vorgaben des preußischen Staates für die Planung war eine Trasse über Düren und Stolberg vorgegeben worden. Auch wenn die Stadt Köln aus technischen Gründen die Streckenführung lieber nördlich an Aachen und damit auch an Düren vorbei geführt hätte – in dieser Planung war ein Bahnhof in Pier vorgesehen – einigte man sich schließlich auf die bis heute genutzte Trasse. 1841 begann damit für Düren eine neue Epoche, die die Stadt tatsächlich aufblühen ließ. Die Jahrzehnte vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs nennt man in Düren die „Goldenen Jahre“.

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Für Jülich dagegen begann das Zeitalter der Eisenbahn erst am 20. Juli 1873. An diesem Tag fuhr der erste Zug von Düren nach Jülich auf der von der Bergisch-Märkischen Eisenbahn (später Königlich-Preußische Staatsbahn) betriebenen Strecke. Das lange Warten hatte nun ein Ende. In der Folgezeit entwickelte sich Jülich zu einem regionalen Eisenbahnknotenpunkt. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Anlage des Eisenbahnausbesserungswerks Jülich-Süd während des Ersten Weltkriegs.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, während dem das erste Bahnhofsgebäude von 1873 zerstört wurde, verlor die Eisenbahn an Bedeutung. Die Mobilisierung durch Autos verstärkte dies. 1971 stellte beispielsweise die Jülicher Kreisbahn, die seit 1911 die Strecke Jülich–Puffendorf betrieb, ihren Verkehr ein. Anfang der 1990er-Jahre beendete die Deutsche Bundesbahn den Betrieb der Strecke Düren–Jülich. Glücklicherweise übernahm die Dürener Kreisbahn die Strecke, die heute das Kreisgebiet von Nord nach Süd ungefähr entlang der Rur von Linnich bis Heimbach verbindet. Das Jülicher Bahnhofsgebäude wurde Eigentum der Stadt Jülich, die hier den „KuBa“, den Kulturbahnhof einrichtete, der sich in Trägerschaft eines Vereins befindet. In der ehemaligen Wartehalle warten Besucherinnen und Besucher nun nicht mehr auf den nächsten Zug, sondern auf den nächsten Auftritt oder den nächsten Film. Wenn das Licht im Saal ausgeht und die Bühne sich belebt, hat das Warten ein Ende.

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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