Start Magazin Geschichte/n Der tiefe Blick in die Seele

Der tiefe Blick in die Seele

In Wort und Bild erzählte Wolfgang Oelsner im Mittwochsclub in seinem Vortrag „1823 – 200 Jahre vom organisierten Karneval. Der Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht ist seit Jahrzehnten im rheinischen Karneval aktiv.

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Gastgeber Guido von Büren mit dem "Karnevals-Referenten" Wolfgang Oelsner. Foto: Sonja Neukirchen
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Bunt geschmückte Prunkwagen, stramme Rote Funken, tobende Säle, das edle Dreigestirn im Ornat, aber auch grölend schwankende Menschen, alkoholgetränkte Liebesschwüre und Ausschweifungen am Elften im Elften – all das ist Kölner Karneval. Gerade jetzt sind die Feierlichkeiten wieder in vollem Gange. „Doch was muss ein Fest haben, das es so lange existieren konnte“ und „was ist eigentlich der richtige Karneval“? Fragen, denen Referent Wolfgang Oelsner beim ersten Mittwochsclub des Jahres in der Jülicher Schlosskapelle der Zitadelle nachging: „200 Jahre organisierter Karneval. Eine Achterbahn zwischen Aufbegehren und Anpassen“, lautete die Veranstaltung in der Reihe „Marksteine der Deutschen Geschichte“, die hybrid angeboten wurde.

Sein tiefenpsychologischer Blick machte den Vortrag zu einem informationsdichten, hintergründigen Ritt durch die glanzvollen und weniger glanzvollen Zeiten dieses Kölner Brauchtums, bei dem schwierige historische Ereignisse und nicht zuletzt die Corona-Pandemie dafür gesorgt hatten, dass Karnevalisten immer wieder informell Strukturen zusammenhalten mussten. Dass das immer wieder erfolgreich gelungen war, erklärt Oelsner so: Der Karneval sei ein „Muster unseres Menschseins“ – eine Art „Archetypus und anthropologische Konstante“, das zum Menschsein dazu gehöre, so Oelsner, der damit einen tiefen Blick in die Seele des Menschen tat. Zumindest in die des Rheinländers, möchte man hier ergänzen.

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In seiner Präsentation ging es ihm um das dialektische Annähern an ein Phänomen: „Karneval ist sehr vielschichtig“, fasst Oelsner zusammen. Er stehe zwischen Tradition und dem Sprengen vom Grenzen, dem Vulgären und dem Eleganten, der Sehnsucht nach Heimat und dem Exotischen. Zwischen politischem Statement einerseits und dem disziplinierten Exerzieren der Prinzengarde andererseits. Besonders anschaulich erläuterte er dieses gegensätzliche Spannungsfeld anhand der „zwei Psychologen Tünnes und Schäl“, Figuren aus dem Kölsche Hänneschen-Puppentheater. „Schäl“: ganz großstädtisch, Kölsch met Knubelle schwadend, und auch intrigant. Auf der anderen Seite „Tünnes“, dem man die „latente Suchtstruktur schon ansehen kann“, scherzte Oelsner über die Gegensätze. Und auch der Lappenclown, das Logo des Kölner Karnevalsmuseums, zeige diese Gegensätzlichkeit: Eigentlich das Kostüm der armen Leute, trage er aber dennoch die Halskrause als Requisit des Adels und die goldenen, aber viel zu großen Schuhe. „Symbole verdichten“, so Oelsner. Es habe damals keine Psychotherapien gegeben, sondern es seien verdichtete Weisheiten transportiert worden. “Weisheit im Narrenkleid bringt uns die goldene Zeit“ so lautete auch das Motto des ersten Karnevalsordens von 1838.

Die eigentliche Historie des Karneval habe bereits vor 1823 begonnen, aber so ganz offiziell startete sie eben in diesem Jahr: Das „Festordnende Comité“ wurde gegründet und auch der erste Kölner Rosenmontagszug mit den Roten Funken zog durch die Stadt. Hier zeigte sich, dass es auch damals schon ein Fest der großen Namen war: Der erste Prinz oder „Held Karneval“ war Kölnisch-Wasser Fabrikant Emanuel Ciolina Zanoli, gezügelt und mahnend flankiert durch den „Hofnarr“, der ihm auf einem Gemälde im Nacken saß. Zu den großen prägenden Namen des Karneval zählte auch Johann Wolfgang von Goethe, der de, bis dahin eher kindischen Treiben eine Art „intellektuellen Überbau“ gegeben habe. 1825 hatte er das „Gedicht „Der Cölner Mummenschanz“ geschrieben und den Kölnern mit diesem metaphernreichen Gedicht, ein sehr wertvolles Geschenk gemacht, so Oelsner.

Die historischen Ereignisse wie Besatzungen, Krieg und Nachkriegszeit, sowie weltlichen und kirchlichen Machthaber sorgten für ein Auf und Ab und der Rosenmontagszug musste oft ausfallen. Die Kirche habe den Karneval und seine Narrheit jedoch gefördert, um diese letztendlich dialektisch zu überwinden, so Oelsner. Aber das Brauchtum gefiel nicht jeder politischen Macht: Von den Franzosen, die „das Spiel mit dem Feuer ohnehin verboten hatten“ war es in die Preußenzeit gegangen. Köln wollte sich gegenüber den Herrschern in Berlin wehrhaft und nicht unterwürfig präsentieren. Symbol hierfür sei der Bauer mit seinen machtvollen Insignien, als Teil des späteren Dreigestirns. Die Jungfrau habe symbolisch für die Unversehrtheit der Stadt gestanden – „die erste MeToo“-Figur“, so Oelsner scherzhaft. Die alten Kölner Funken ließ man wieder auferstehen und machten aus den ehemaligen Antihelden, die als wenig mutig galten, eine Art Helden des Karneval: „Wo Körperkraft nicht helfe, da hilft nur der Spott“ erläuterte Oelsner das Prinzip, das sich im Grund gegen die Machthaber in Preußen gerichtet habe, hier besonders ironisch überspitzt im Stippeföttche Tanz.

Luc Rey übergab Referenten Wolfgang Oelsner den Orden der KG Ulk, die in diesem Jahr ihr 11 x 11. Jubiläum feiert. Foto: Sonja Neukirchen
1871 war aus dem „Held Karneval“ der „Prinz im Karneval“ geworden, aber das Dreigestirn sei erst in der Nazizeit entstanden: 1936 habe es die erste festliche Proklamation eines Dreigestirns in den Kölner Messehallen gegeben. Die NSDAP habe sich als Förderer des Karneval aufgeschwungen. Das habe auch wirtschaftlich gut getan: dem Fremdenverkehr, den Arbeitsplätzen durch die Karnevalsindustrie und damit auch den Hilfsgroschen für die Armen – alles auch nützlich für die Nazis. Nach dem Krieg war Köln zu 90 Prozent zerstört. Aber Oelsner zeigte Bilder von Umzügen in Trümmern: „Solange Kleidung und Nahrung stimmen, lebt der Mensch nicht von Brot allein“, erklärt er. Als zu Beginn der 70er Jahre plötzlich eine Beat-Gruppe mit nackten Füssen auf der Bühne stand, war die Ära des Karneval in der heutigen Zeit angekommen: „Die Bläck Fööss“ waren die neuen Stars, die zwar erneuerten, aber dennoch die „Kirche im Dorf ließen: „Mer losse der Dom in Kölle“ – so ihr berühmtes Lied, kam genauso an wie die Gruppe selbst.

Für seinen „hervorragenden“ Vortrag, so Luc Rey von der KG Ulk Jülich 1902 e.V., überreichte dieser Oelsner den Orden der Gesellschaft, die ebenfalls im Vortrag gewürdigt worden war. Und auch Heribert Kaptein vom Regionalverband Düren e.V. überreichte den RVD Orden, der ein kleines „c“ für Corona enthielt, und für besondere Leistungen für den Karneval in dieser schwierigen Zeit verliehen wird.

Zum Mittwochsclub laden allmonatlich der Jülicher Geschichtsverein 1923 e.V. und das Museum Zitadelle. Historiker Guido von Büren verriet in seiner Begrüßung, dass es gar nicht so leicht gewesen sei, zu dem geplanten Thema einen passenden Referenten zu finden. Karnevalisten gäbe es viele, aber wenige, die dieses Brauchtum aus volkskundlicher Sicht erläutern könnten. Da war der in 1949 in Opladen gebürtige Oelsner, selbst Karnevalist und außerdem Pädagoge, Psychotherapeut sowie ehemaliger Rektor der Schule in der Uniklinik Köln, genau der Richtige.


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