Basta. Genug jetzt. Das berühmte Machtwort sprechen und seinen Standpunkt deutlich machen. Aber jeder Standpunkt braucht auch eine Reichweite und wenn die nicht hinreicht, wenn das Machtwort weder Wort mächtig noch ein Wort der Macht ist, dann werde ich den Standpunkt irgendwann korrigieren müssen. Mehr oder weniger öffentlich, denn mit dem Basta bin ich aus meiner Deckung gegangen…
Ein Basta braucht also Mut und Realismus oder aber die Fähigkeit zum Spiel mit dem Bluff. Und so ist manches tönende Basta nichts weiter als ein Theaterdonner, doch die gebluffte Welt nimmt es für wahr und fügt sich. Auffällig wird das oft erst aus der Distanz einer historischen Betrachtung.
In der Anlage historischer Festungsstädte wie Jülich konnte man sich auf den Bluff allein nicht verlassen und so finden sich dort eine Menge von Standpunkten mit klar definierten Reichweiten. Erhöhte Standpunkte, von denen von den Mündungen der Kanonen über das deckungsfreie Gelände der Glacis hinweg eine eindeutige Grenze gezogen wurde: die Einschläge der Geschosse. Ihr bis hierhin und nicht weiter, eine nicht nur sprichwörtlich rote Linie.
Leider wirkt jedes System von Standpunkten immer auch auf sich selbst zurück und ein Leben innerhalb von Festungsmauern erzeugt leicht das Gefühl einer Paranoia von permanentem Belagerungszustand. Man gräbt sich noch tiefer ein und neue Standpunkte werden dann vielleicht erst auf Ruinen errichtet. Denn: schlechte Angewohnheiten kann man nicht einfach aus dem Fenster werfen, man muss sie Stufe für Stufe die Treppe hinunter boxen, das wusste schon Mark Twain, und Stufe für Stufe, das dauert. Und wenn dann einmal ein neuer Standpunkt zur Diskussion steht, stellt sich die Frage, ob man darin erneut der Befestigung oder doch lieber einmal der Beweglichkeit den Vorrang einräumt.
Das Verhältnis von Befestigung und Beweglichkeit entspricht im Geistigen dem von Kompetenz und Neugier und ohne eine gewisse Kompetenz ist das Neue letztlich gar nicht zu erkennen. Nur veranlasst sie uns auch gerne zu einem Schuster bleib bei deinen Leisten… Trotzdem zollen wir dem klaren Standpunkt unseren Respekt, sogar einem uns fremden, denn das Basta hat seinen eigenen Glanz. Und dieser Glanz ist das Agens aller bekannten Bluffs und ein Schuster in einer Offiziersuniform kann damit zum Hauptmann von Köpenick avancieren, wenn er genügend persönliche Reichweite besitzt.
Auch in der Malerei ist die Linie ein aus der Deckung treten, lieber ein bisschen mit den Farben spielen. In der Moderne, wo die virtuose Linie zum ersten Mal ohne die Einbindung in Farbe und Atmosphäre auftaucht, offenbaren sich durch diese Befreiung auch ihre Meister: Matisse, Beckmann oder Picasso und sie brillieren mit Linien, die bei genialen Zeichnern wie Raffael vom Auge erst mühsam aus dem Dreidimensionalen heraus gelöst werden müssen.
Im Film „Das Mysterium Picasso“ zeichnet dieser für den Betrachter unsichtbar auf der Rückseite eines blinden, aber transparenten Trägers und die Zeichnung erscheint darauf wie ein Menetekel. Der versinnbildlichte, geistige Prozess, ganz Idee, reine, immaterielle, schöpferische Substanz. Ein Menetekel, das alle Befestigungen unserer Vorbehalte überwindend auf der innersten Wand der Zitadelle erscheint.
Aber gerade am Beispiel Picassos wird auch ein allen Linien typisches Defizit deutlich: mit der kleinsten Veränderung des Standpunkts ergibt sich eine neue Linie, Standpunkt und Linie sind aneinander gefesselt, wie das Objekt und sein Schatten. Vor diesem Dilemma steht der 25 jährige Picasso, der alles zeichnen kann, nichts mehr zu lernen hat und gerade dadurch vor dieses Problem geführt wird.
Sein Lösungsversuch ist der analytische Kubismus. Also eine Simultandarstellung von zwei verschiedenen Standpunkten aus und damit der Einbruch von Relativität in die Welt unseres vom Standpunkt her bestimmten Sehens. Für die Malerei ist das von ähnlicher Bedeutung wie Einsteins Theorie für die Physik. Das hat natürlich eine Vorgeschichte und Rimbaud verkündigte einige Jahre früher sein Manifest des Relativen, sein Ich ist ein anderer. Cézanne führt die Malerei in die Analyse, van Gogh führt sie in die Emotion, Picasso bedient sich bei beiden, mit Erfolg. Wenig später aber malt er üppige Holländerinnen, die in Zentralperspektive über die Polder springen. Er hatte nicht den Standpunkt sondern die Frau gewechselt. Das war auch kein Bluff, das war Picasso. Herrschende Standpunkte bilden historisch eine spezifische Kultur des Denkens heraus. Das Abendland ist der Ort des möglichen tätigen Eingriffs, das Morgenland der duldenden Einsicht. Aber im Köln der 80er Jahre färbten sich ganze Straßenzüge von Orange über Rot bis Rosa mit den Jüngern einer Indischen Heilslehre, sie gaben das Ego auf und dienten, während ihr Guru sich gerade den soundsovielten Cadillac vor seine Villa im Ashram stellte. Ein gekonnter Bluff.
Im ostasiatischen Museum hingegen konnte ich beim Besuch der Ausstellung „Der chinesische Holzschnitt nach der Kulturrevolution“ Gegenteiliges erleben. Dort waren es die in Holz geschnittenen, lachenden Bäuerinnen mit der Maschinenpistole über der Schulter statt anmutig badender Kraniche, jubelnde Aufmärsche unter dem roten Stern statt der Meditation im Bambushain, die Phalanx rollender Traktoren gegen die aufgehende rote Sonne, in denen sich orientalisches Kismet gegen okzidentales Basta tauschte.
Bluff und Basta, sie haben keinen anderen Ort als uns und so sägen wir munter an dem Ast, auf dem wir sitzen, bis wir endlich auf der Erde angekommen sind. Die Schlange ringelt sich vom Baum der Erkenntnis, aber wir sind noch unreif und der Apfel ist es auch, wie Ernst Bloch das so schön sagt…
Und überhaupt, wozu auf einmal diese ganze Aufregung, Basta, neue Standpunkte? Ach ja, das Jahr nähert sich dem Ende, Zeit für einen Rückblick, ich hatte mir doch so viel vorgenommen. Also beim nächsten Mal… Wir erheben das Glas und trinken auf die guten Vorsätze – weniger Trinken war wohl auch darunter.