80 Jahre Novemberpogrome in Jülich
Aus diesem Anlass hat sich in Jülich ein breites Bündnis zusammengefunden um eine ganze Veranstaltungsreihe zu organisieren. Schon im Frühling 2018 traf sich, auf meine Einladung hin, eine erste Runde im Rathaus. Beteiligt waren die Jülicher Kirchen, die Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz, Schulen, Vereine, Archiv und Museum. Bewährte Veranstaltungen, insbesondere die vor vielen Jahren von Frau Swalve und den Kirchen initiierte Gedenkveranstaltung An der Synagoge und am Mahnmal sollten selbstverständlich auch an diesem besonderen Jahrestag stattfinden. Die Runde war sich schnell einig, dass diesmal eine ganze Veranstaltungsreihe auf die Novemberpogrome aufmerksam machen sollte. Mir, als Bürgermeister, war es von Anfang an besonders wichtig, die Verantwortung der Politik damals, wie heute, deutlich zu machen, indem auch Veranstaltungen im Ratssaal stattfinden.
In dieser ersten Runde waren wir uns ebenso schnell einig, dass wir vor allem junge Menschen in dieses Projekt einbinden wollen und müssen. Schnell wurde dieser Gedanke konkreter. Möglichst alle weiterführenden Schulen sollten zu dem Jahrestag ein Projekt durchführen. Angeregt von Herrn Emunds, reifte der Plan die Ergebnisse in einer gemeinsamen Ausstellung zu präsentieren und in Zeitkapseln, rund um einen gemeinsam gepflanzten Baum, für die kommenden Generationen zu vergraben.
Der „Arbeitstitel“ des Projektes entstand:
Nie wieder!
Was wir heute von gestern für morgen lernen
2018 1938 2068
Das Besondere ist, dass alle weiterführenden Schulen an diesem Projekt mitgewirkt haben. Alle aus dem gleichen Anlass, mit der gleichen Grundfrage und doch jede auf Ihre eigene Weise.
Schirmerschule
Schulleiterin (kommissarisch): Gudula Bockholt
Projekt: Frau Schwarz
Herrn Gramberg
An der Schirmerschule, haben sich die Schülerinnen und Schüler über den Zweiten Weltkrieg informiert und sich intensiv mit der Geschichte der Weißen Rose auseinandergesetzt. Mit dieser im Kern studentischen Gruppe um die Geschwister Sophie und Hans Scholl und Alexander Schmorell zeigen die Schülerinnen und Schüler ein Beispiel für aktiven Widerstand während des zweiten Weltkrieges.
Ihr Blick in das Jahr 1938 zeigt, dass Juden in Deutschland unerwünscht waren und dass Adolf Hitler unverhohlen deren Vernichtung wollte.
Die Ausgrenzung Andersdenkender und Diskriminierung bestimmter Personengruppen haben die Schülerinnen und Schüler auch in der heutigen Zeit festgestellt und hierfür Beispiele benannt.
In Ihren Wünschen für die Zukunft sprechen Sie sich gegen Rassismus und Mobbing aus. Sie wünschen sich vor allem gleiche Chancen für alle Menschen.
Stephanus-Schule
Schulleiter: Dieter Joußen
Projekt: Daniela Balagon
Sandra Bußmann
Auch die Schülerinnen und Schüler der Stephanus-Schule haben Informationen über den Zweiten Weltkrieg gesammelt und die Verfolgung der Juden thematisiert. Sie haben die Lebensgeschichte von Elisabeth Kalinowski aufgezeichnet, die 1921 geboren wurde und damals in Huchem-Stammeln wohnte. Sie hat den Krieg als junge Frau miterlebt. Bei einem persönlichen Treffen konnte Sie den Schülerinnen und Schülern aus eigenem Erleben aus dieser Zeit berichten. Bei diesem Treffen hat sie zahlreiche Fragen der Kinder beantwortet.
Wie ich erfahren habe, ist Frau Kalinowski im Dezember verstorben. Mein herzliches Beileid gilt den Angehörigen.
Dies macht in trauriger Weise deutlich, wie wichtig es ist, dass junge und alte Menschen jetzt miteinander über diese Zeit sprechen und Erlebnisse weitererzählt werden.
Sekundarschule
Schulleiterin: Angelika Lafos
Projekt: Schulseelsorger Ralph Loevenich
Laura Wother
Leonie Paar
Auch in der Sekundarschule ist unser Schulseelsorger Ralph Loevenich aktiv. Gemeinsam mit den Lehrerinnen Laura Wother und Leonie Paar haben sich zwei sechste und eine neunte Klasse mit dem Thema beschäftigt. Die Schülerinnen und Schüler setzten sich mit den historischen Ereignissen von 1938 auseinander. Mit Blick auf diese Erkenntnisse benannten Sie aktuelle Formen von Ausgrenzung, Diskriminierung und Intoleranz. Sie stellten sich die Frage: Was kann ich ganz persönlich dazu beitragen, dass in der heutigen Gesellschaft ein friedvolles Zusammenleben von Menschen in gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Wertschätzung möglich ist?
Die Antworten ergaben eine, wie ich finde beeindruckende, Sammlung von „Ich-Botschaften“ der Schülerinnen und Schüler. Sie schrieben ihre positiven Gedanken auf Sterne, die dem Stern nachempfunden sind, den die Juden in der Zeit des Nationalsozialismus auf ihrer Kleidung tragen mussten. Mit dem so gestalteten Sternenhimmel stellen sie sich zeichenhaft an die Seite der Opfer von damals und zeigen zugleich Wege für gemeinschaftliches Leben heute und morgen auf.
Beispiele:
„Ich informiere mich über Sachverhalte und rede nicht einfach drauf los.“
„Jeder Mensch ist anders. Ich auch!“
„Ich verletze niemanden durch Worte oder Taten.“
Berufskolleg
Schulleiterin: Heike Schwarzbauer
Projekt: Christiane Kraus
Am Berufskolleg haben sich mehrere Kurse an dem Projekt beteiligt. Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums, der Höheren Berufsfachschule und Kaufleute für Büromanagement haben sich die Frage gestellt: „Warum sollte man sich immer an die Reichspogromnacht 1938 als Symbol für die Menschenfeindlichkeit des Nationalsozialismus erinnern?“
Dabei haben sie die Etappen der Judenverfolgung erarbeitet und auf Plakaten anschaulich dargestellt. (Diskriminierung – Entrechtung – Verfolgung – Vertreibung – Vernichtung). Sie haben Parallelen zu Entwicklungen in unserer Zeit gefunden und deutlich benannt. In Form von Texten, Zeichnungen und Gedichten haben die Schülerinnen und Schüler z.B. Gleichberechtigung und Gerechtigkeit thematisiert oder sich mit dem Zitat von Franz Josef Strauß, „ Es ist Zeit, aus dem Schatten der Geschichte herauszutreten.“ Kritisch auseinandergesetzt. In beeindruckender Weise zeigen sie mit Ihren Arbeiten, wie wichtig Respekt und Toleranz sind und sprechen sich deutlich gegen Ausgrenzung aus. Denn gerade die Ausgrenzung von Menschen, die nicht in ein vorgefertigtes Bild passen haben sie als verbindendes Element zwischen Vergangenheit und Gegenwart identifiziert.
Mädchengymnasium Jülich – MGJ
Schulleiterin: Christiane Clemens
Projekt: Lutz Terodde
Andreas Wergen
Zahlreiche Schülerinnen des Mädchengymnasiums haben sich ebenfalls intensiv mit der Geschichte beschäftigt. In einem Zeitstrahl haben sie die Entwicklungen vom Januar 1933, als Hitler zum Reichskanzler wurde über die Novemberpogrome 1938, die Errichtung und den Ausbau des Vernichtungslagers Ausschwitz bis hin zum Ende des Krieges im Mai 1945 dargestellt. Die Zeitleiste endet, jedenfalls vorläufig, mit dem Zitat Alexander Gaulands, der im Jahr 2018 eben diese Geschichte als „Vogelschiss“ bezeichnete. Vielleicht sollte Herr Gauland sich dieses Plakat einmal anschauen um zu begreifen, wie falsch er liegt.
Aus verschiedenen Quellen haben Schülerinnen die Jüdische Geschichte am MGJ erarbeitet. Der handgeschriebene Lebenslauf der Schülerin Ilse Herz aus Linnich ist hier zu finden. Ebenso sind detailliert Ereignisse aufgeführt, welche die Schule und die Franziskanerinnen betrafen.
Nicht fehlen darf hier natürlich auch das von der 9a erstellte Buch mit Briefen an Anne Frank.
Den weltweiten Antisemitismus in der Gegenwart zeigt anschaulich eine Weltkarte mit zahlreichen Hinweisen auf Ereignisse aus der ganzen Welt. Hier wird zum Beispiel das im März in Polen erlassene Holocaustgesetz thematisiert oder einzelne Anschläge auf Juden in Deutschland, Italien, Frankreich und vielen anderen Ländern. Das macht erschreckend deutlich, wie weit verbreitet der Antisemitismus heute immer noch – oder wieder – ist.
Gymnasium Haus Overbach
Schulleiter: Thorsten Vogelsang
Projekt: Marco Maria Emunds
Im Gymnasium Haus Overbach haben sich zwölf Schülerinnen und Schüler in einer freiwilligen Arbeitsgruppe zusammengefunden. Gemeinsam haben sie sich Gedanken gemacht, welche Botschaft sie als Lehre aus den Ereignissen vom 9. November 1938 den kommenden Generationen übermitteln wollen. Heraus kam ein selbstgeschriebenes Lied, das in seinen drei Strophen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet und von den Jugendlichen eingesungen und als Video zusammengestellt wurde. Eine interessante und eigentlich auch naheliegende Art mit dem Thema umzugehen. Schließlich spielt Musik am Gymnasium Haus Overbach eine wichtige Rolle.
Aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte erwuchs die Erkenntnis, dass Friede, Freiheit und Menschlichkeit die Grundlagen unseres Zusammenlebens sind und wie ein Licht in der Nacht immer wieder neu entzündet werden müssen. Mit dem Lied tragen die Schülerinnen und Schüler diese, wie ich finde sehr weise, Erkenntnis, in die Zukunft. Verbunden mit der Hoffnung, dass man auch im Jahr 2068 die Bedeutung von Idealen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Mitbestimmung noch kennt, schätzt und lebt.
Gymnasium Zitadelle
Schulleiterin: Dr. Edith Körver
Projekt: Dirk Neumann
Bernhard Wille
Die Schülerinnen und Schüler der Q2- Zusatzkurse Geschichte arbeiteten gemeinsam mit ihren Lehrern Herrn Wille und Herrn Neumann an dem Projekt. Sie beschäftigten sich zunächst mit der Vorgeschichte der Judenverfolgung im Dritten Reich sowie mit der Ermordung von ca. 6 Mio. Juden im Holocaust. Anschließend haben sich die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen an selbst gewählten Themen eingehender mit historischen Aspekten und deren Bedeutung für heute beschäftigt. Mit großer Motivation wurde an unterschiedlichen Themen und Ergebnisformen gearbeitet. Lara Fuchs fasste das für sich folgendermaßen zusammen: „Alle Menschen sollen heute verstehen, dass jedem Menschen, egal welchen Glaubens, welcher Hautfarbe, welcher Sexualität oder welcher Staatsangehörigkeit, ein würdevolles Leben zusteht.“
Heraus kam ein Sammelsurium spannender Ergebnisse, ob z.B. als Gedicht, als Interview zum jüdischen Friedhof in Jülich, als Plakate zur Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkender, als Power-Point-Präsentationen oder als schriftliche Ausarbeitungen zum Pogrom in Jülich oder zur NS-Ideologie. „Was können wir aus Dietrich Bonhoeffers Taten lernen?“ ist da zum Beispiel zu lesen. Die Verfolgung der Sinti und Roma wird ebenso thematisiert wie die Verfolgung von Behinderten. Videos und Audios sind in diesem Projekt entstanden. Interessanterweise hat auch die Schülerinnen und Schüler der Zitadelle ein aktuelles Zitat eines AfD-Politikers besonders beschäftigt, Björn Höcke: „Denkmal der Schande“. Die dargestellten Fakten und Aussagen anderer Menschen über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas lassen seine Aussage absurd erscheinen.
Der 80. Jahrestag war der Anlass, ein herausragendes Schulprojekt habt Ihr, die Schülerinnen und Schüler aus Jülich daraus gemacht. Alle acht weiterführenden Schulen in Jülich haben sich an dem Projekt beteiligt. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben.
In ganz unterschiedlichen Formen haben sich Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersklassen mit dieser Fragestellung beschäftigt.
Eine wichtige Erkenntnis habe ich von allen Seiten gehört:
Wir müssen uns erinnern und wir müssen aus der Geschichte lernen, damit so etwas nie wieder geschieht!
Mit diesem Projekt, das heute von der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz mit dem Preis für Zivilcourage, Solidarität und Toleranz geehrt wird, ist es gelungen eine große Zahl junger Menschen in die Erinnerungskultur in unserer Stadt einzubinden.
Schülerinnen und Schüler nahmen auch an anderen Veranstaltungen der Reihe teil. Bei der Podiumsdiskussion im KuBa zum Thema „Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus in Jülich“ ergaben sich interessante Diskussionen zwischen Jung und Alt.
Am 8. November, bei der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht im Jülicher Rathaus, sorgten Mitglieder des schulischen Kammerorchesters des Gymnasiums Zitadelle und der Chor des Mädchengymnasiums Jülich für die musikalische Gestaltung.
Mehrere Jugendliche kamen auch mit ihren Lehrern zu den Veranstaltungen vor der ehemaligen Synagoge, am Mahnmal für die ermordeten Juden des Jülicher Landes oder im Dietrich-Bonhoeffer-Haus.
Beeindruckender Abschluss dieses Projektes und der gesamten Veranstaltungsreihe waren die gemeinsame Pflanzaktion auf dem Propst-Bechte-Platz und die anschließende Eröffnung der Ausstellung im Neuen Rathaus.
Neben den beteiligten Schülerinnen und Schülern mit Ihren Lehrerinnen und Lehrern waren auch zahlreiche ältere Menschen an diesem Tag zum Propst-Bechte-Platz gekommen. Sie würdigten damit eindrucksvoll die Anstrengungen, die von den jungen Menschen in unserer Stadt unternommen wurden um die Erinnerung in die Zukunft zu tragen.
Mit einem gleichwertigen Sonderpreis wird heute außerdem das Engagement des Projektkurses „Villa Buth“ des Heilig-Geist-Gymnasiums Würselen geehrt. Zusammen mit zahlreichen Unterstützern haben die Schülerinnen und Schüler sich ein Jahr lang mit der Geschichte der Villa Buth in Kirchberg beschäftigt. Sie befragten Zeitzeugen wie Friederike Goertz, die den Schrecken der Internierung jüdischer Menschen in der Villa als junges Mädchen selbst erlebte. Oder auch Heinrich Jumpertz, der als Achtjähriger in der Nähe wohnte und mit Kinderaugen die Geschehnisse rund um die Villa beobachtete.
Ihrem Lehrer, Herrn Ohrndorf, der in Jülich wohnt, kam im Rahmen einer Bewerbung für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Idee, die Geschichte der Villa Buth in Jülich zu untersuchen. Hellmuth Eichhorn, Eigentümer des Anwesens erklärte sich bereit, an der Aufarbeitung der Vergangenheit des Gebäudes mitzuwirken. Eine sehr bemerkenswerte und vor allem lobenswerte Entscheidung, wie ich finde. Herr Eichhorn, Respekt!
Karl Beumers und Heinz Spelthahn möchte ich als wichtige Begleiter dieses Projektes ebenfalls nennen.
Aus dem Artikel in der Jülicher Zeitung 09.01.2019:
„Goertz teilte auf Anfrage mit, dass ihr an einem Erhalt des Gebäudes wenig liegen würde. Das Interesse an seiner Historie sei ob des Gebäudezustandes anscheinend schon sehr in den Hintergrund getreten. Vielmehr seien es Werke wie das der Schüler, das den Schrecken als Mahnmal konserviere. Die Jugendlichen selbst betonten, dass ihre Arbeit in Bezug auf die Villa nicht mit dem Auslaufen des Projekts geendet habe – vielmehr wolle man sich weiter nachhaltig der Thematik widmen.
Ein Vorschlag wurde in der Runde besonders begrüßt. Die jetzige Bushaltestelle „Papierfabrik“ unweit der Villa könne beispielsweise in „Haltestelle Villa Buth“ umbenannt werden. Entsprechende Schilder könnten die Wartenden über die Hintergrundgeschichte informieren. Um diese und weitere Vorschläge auszuarbeiten, wurde der Projektkurs auch gleich in den Jülicher Stadtteil Kirchberg eingeladen um die Projektergebnisse auch den Bürgern vor Ort vorzustellen.
Jumpertz machte sich stark für einen Erhalt der Villa und wies darauf hin, dass leider mit Ausnahme des jüdischen Friedhofs in Jülich kein Gebäude mehr existiere, das an den Holocaust erinnere. Die 1938 geschändete Synagoge in Jülich wurde bereits in der 1950er-Jahren abgerissen. Einig waren sich alle, dass gerade heute die Thematisierung in der Öffentlichkeit wichtig ist.“
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