„Bei uns laufen ein Stück weit die Fäden zusammen. Wir sind Vordenker. Wir wollen die Menschen und Akteure unterstützen – auch bei der Projektentwicklung“, sagt Bodo Middeldorf. Der ZRR-Geschäftsführer, der Mitte April seine neue Position eingenommen hat, scheint wie ein „Coach“, der mitten in der Saison zur Mannschaft gestoßen ist und die Meisterschaft gewinnen soll. Die Erkenntnis: Es ist höchste Zeit zum Handeln. „Jetzt haben wir die drei großen Löcher noch. Wir wissen: Hambach und Inden werden 2029 enden. Das ist im Grunde übermorgen – von heute an gesehen.“
Dabei hat die Zukunftsagentur das große Ganze im Blick: Ihre Aufgaben sind identitätsstiftend, landschaftsbildend, netzwerkend und energiewirtschaftlich relevant. Niedergeschrieben hat sie die ZRR zusammen mit den sogenannten Revierknoten und vielen weiteren Akteuren zwischen dem Rhein-Erft-Kreis, der Städteregion Aachen, den Kreisen Düren, Heinsberg und Euskirchen, dem Rheinkreis Neuss und der Stadt Mönchengladbach in einem 200 Seiten starken „Hausaufgabenheft“: dem Wirtschafts- und Strukturprogramm. „Das muss keiner komplett lesen, ist aber so ein bisschen die Bibel für das, was wir uns in den nächsten Jahren vornehmen wollen. Wir haben Zukunftsfelder definiert, auf denen wir uns in den nächsten Jahren entwickeln wollen.“ Konkret sind das Energie und Industrie, Ressourcen und Agrobusiness, Innovation und Bildung sowie Raum und Infrastruktur.
Um die abstrakten Begriffe mit Leben zu füllen, nennt Bodo Middeldorf Beispiele. Für den Bereich Energie gilt: „Wir wollen Wasserstoff-Modellregion werden.“ Diese Entscheidung hat nicht nur Auswirkungen auf die Nutzer, sondern bringt auch Herausforderungen in Fragen der Energie-Speicherung mit sich. Unternehmen müssen die Produktionsprozesse bei industrieller Fertigung beispielsweise auf Wasserstoff umbauen. „Das ist eine Herkulesaufgabe.“
Während Wasserstoff im Jülicher Land inzwischen ein feststehender Begriff ist, ist der Gigawatt-Pakt noch nicht so geläufig. Ein weiterer Baustein für die Zukunfts-
agentur: Er zielt darauf ab, die Lücke durch den Wegfall an bislang günstiger und ständig verfügbarer Braunkohleverstromung zu füllen. „Das Thema Wind und Photovoltaik ist noch viel zu wenig beachtet“, sagt der ZRR-Geschäftsführer. Mit Partnern sei man hier schon unterwegs in der Erkenntnis: „Zur Sicherstellung der Energieversorgung müssen wir doppelt so viel Anstrengungen unternehmen wie in anderen Regionen.“
Stolz auf die Energieregion
Dass die Menschen in der Region die Veränderungen und den gelingenden Strukturwandel auch wahrnehmen wollen, ist Bodo Middeldorf bewusst. Gelingen soll dies durch Projekte, die interessante Freizeitgestaltung möglich machen, aber auch durch eine Identifikation mit der Landschaft – sichtbares Beispiel schon heute: der Indemann. „Ich glaube, dass wir hier eine ganz tolle, attraktive Landschaft bekommen werden, einen attraktiven Standort für Freizeit, Wohnen, aber eben auch fürs Arbeiten.“ Dazu gehört verbindlich, die Menschen in der Region im Blick zu behalten. „Sie haben über Jahrzehnte Braunkohle abgebaut, haben davon gelebt, hatten aber auch immer das Gefühl, sie können stolz darauf sein, weil sie mit der Braunkohleverstromung zur Energieversorgungssicherheit des Landes beigetragen haben und es bis zum heutigen Tag tun. Und plötzlich soll das nicht mehr gut, sondern schlecht sein. Bei aller Notwendigkeit der Energiewende halte ich das persönlich für falsch.“ Klar ist: Auch perspektivisch bleibt das Rheinische Revier eine Energie-Region. Wichtig sei nun, dass für „Kumpel“ neue, qualitative Arbeitsplätze geschaffen würden und damit das Selbstbewusstsein zurückkehren kann, „eine neue und dann sogar noch klimaneutrale Energie zu produzieren“.
Zum Zug kommen
Unabdingbar mit der Raumbildung verbunden ist die Infrastruktur. Lachend erzählt Bodo Middeldorf, dass er von seinem neuen Wohnort im Norden von Erkelenz versucht habe, per ÖPNV eine Verbindung zum Arbeitsplatz in Jülich zu finden. „Die App hat mir mitgeteilt, dass ich über Köln oder Aachen fahren müsste. Da ist mir klar geworden, wo die Lücken sind.“ Es geht konkret um den Bau einer Revier-S-Bahn von Düsseldorf durchs Revier bis nach Aachen. Weil bekannt ist, wie langwierig Planungsprozesse sind – beim Rhein-Ruhr-Express brauchte es von der Planung bis zur Umsetzung 30 Jahre, müsse jetzt begonnen werden. Ist es nicht eigentlich schon fast ein bisschen spät dafür? „Ich hätte auch den Anspruch, dass wir mal zeigen, wie man Abläufe beschleunigen kann“, verbreitet Bodo Middeldorf Aufbruchstimmung. Es gelte nicht, den Rechtsrahmen zu verändern, was zeitintensiv wäre, sondern gezielt die Möglichkeiten des Rechtsrahmens auszunutzen. „Warum nicht auch mal lernen von der schnellen Tesla-Ansiedlung in Brandenburg? Wenn wir uns doch schon verständigt haben auf die Ausweisung bestimmter Gewerbegebiete, und zwar interessenübergreifend, dann können wir doch nicht akzeptieren, dass es noch zehn Jahre dauert, bis wir diese umgesetzt haben. Wir müssen es schaffen, schneller zu sein, weil jetzt Arbeitsplätze wegfallen und jetzt neue geschaffen werden müssen.“ Hierauf wird künftig auch ein Fokus der ZRR liegen: Konkret sollen Unternehmen in Projekten gefördert und für Unterstützung und Vernetzung gesorgt werden. „Das wollen wir nicht zufällig geschehen lassen, sondern aktiv gestalten.“
Deswegen Jülich
Auch das ist Teil des Selbstverständnisses der Zukunftsagentur: Sie sind Wegbereiter und Projektentwickler – wenn auch nicht die Umsetzer. „Wir sind Stimme der Region, wenn Sie so wollen.“ Gehört wird sie in Land und Bund. „15 Milliarden Euro in sinnvolle Projekte einzusetzen, ist nicht einfach“, gibt Bodo Middeldorf zu bedenken. „Sie so einzusetzen, dass sie schnell Wirkung entfalten und nachhaltig wirken, ist entscheidend.“ Diese Aufgabe erstrecke sich auf das gesamte Revier. Warum ist der Standort Jülich ideal? Die Antwort kommt ohne Zögern von Bodo Middeldorf: „Wir sind mittendrin. Wir sind zwischen den beiden größten Tagebauen. Wir haben hier die Nähe zum Forschungszentrum und zu Hochschulen – auch das ist symbolisch. Wir freuen uns sehr, und das sage ich nicht nur so, wenn wir in den Brainergy Park umziehen. Wir verbinden uns ganz hautnah, auch als Unternehmen selbst, mit dieser Region, mit dem Strukturwandel und auch den Projekten des Strukturwandels. Deswegen Jülich.“