Das Bild, das Sascha Römer und Franz Meuthrath zeichnen ist ein düsteres. Das stundenlange Konsumieren der Kurzfilmchen auf dem Handy schadet der Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit. Längeren Gesprächen mit Informationsgehalt könnte nur noch schwer oder gar nicht mehr gefolgt werden. Körperliche Folgen sind Fettleibigkeit bei gleichzeitig abnehmenden motorischen Fähigkeiten – was sich schon beim einfachen Tischfußballspielen zeigen würde. Dazu komme, dass durch das Gucken der Videos immer wieder Dopamin ausgeschüttet wird, bekannt auch als „Botenstoff des Glücks“, der eine wichtige Rolle bei Suchterkrankungen zugeschrieben wird. „Es kommt zu Bewusstseinsveränderungen“, stellen sie fest. Das sind die gesundheitlichen Aspekte.
Dazu kommen die Beeinflussung durch fragwürdigen Inhalte, die von den „Kids“ konsumiert werden. Für sie ist TikTok die Informationsquelle Nummer 1 ob es um Sport, aktuelle Naturkatastrophen, Nachrichten oder Politik geht bis zur Filmkritik und Kochrezepten. „Social Media und allgemein Smartphones gehören zur Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen. Sie wachen mit Smartphones auf, sie gehen mit Smartphones schlafen. Das Smartphone ist ein Teil von ihnen geworden“, so schildert es Franz Meuthrath vom B.Haus. Die Folge: Kinder und Jugendliche würden nicht mehr zwischen der analogen Realität und der digitalen Realität unterscheiden. „Das führt dazu, dass sie über digitale Medien sehr stark beeinflussbar und sogar indoktrinierbar sind.“ Politik und die Gesellschaft der Erwachsene würden die Nutzung des Mobiltelfons und seiner Apps so einschätzen, als wäre es die Leidenschaft für eine Musikrichtung, die sich mit zunehmendem Alter wieder verliert. „Sie verstehen nicht, das es gesellschaftlich komplett verändernd sein wird“, blickt Franz Meuthrath kritisch in die Zukunft.
Für die Reißleine, die vielzitierte, die zu ziehen ist, ist es längst zu spät. Da sind sich die Sozialpädagogen einig. Untätig zusehen ist aber auch nicht die Lösung. Was also ist zu tun?
Die erste Überlegung, eine Aufklärungsveranstaltung für Eltern und Jugendliche anzubieten, wurde wieder verworfen. Der Grund: Es bestehen Zweifel an der Nachhaltigkeit. Im Klartext: Der Effekt der Information würde zu schnell verpuffen. „Wir haben schon einmal eine große Aktion zum Thema Mobbing mit Karsten Stahl gehabt. Das war gut, aber das Thema ist inzwischen wieder aus den Köpfen verschwunden“, erklärt Sascha Römer. Das ist aber nicht das Ziel. Die Mediennutzung und ihre Folgen soll ein Teil in der Jugendarbeit der beiden Einrichtungen werden. „Wir wollen im Gespräch bleiben über die aktuelle Trends und auch die Gefahren, so dass eine Art ,Mischwirkung’ erreicht wird“, ergänzt Frank Meuthrath.
So fiel die Entscheidung, die Teamer, also die jungen Erwachsenen als Begleiter der Kinder und Jugendlichen im Roncallihaus und Bhaus, zu schulen. Auf diesem Weg werden Multiplikatoren befähigt, den „Kids“ über die Schulter zu gucken und sie auch anzusprechen: „ Was du dir da anguckst, hast du da mal irgendwie nach gegoogelt? Das hat eine andere Beziehungsebene“, meint Sascha Römer lächelnd. Die Termine stehen: Im Dezember und Januar sind die Workshops terminiert. „Wir bieten im Dezember eine Teamschulung von uns Fachkräften und unseren Teamern an und wir werden an diesem Tag direkt die Basis legen für ein Konzept im den Einrichtungen für medienpädagogische Arbeit“, erklärt Sascha Römer. So soll ein Fundament gelegt werden, für die alltägliche Arbeit. „Wir wollen die sozialen Medien nicht nur verteufeln. Das führt in eine Sackgasse. Es bieten sich ja auch viele Möglichkeiten.“ Der Plan ist, ein Social Media Team aufzubauen, in dem die Jugendlichen aktiv mitarbeiten können. Profis die Jugendliche in die Techniken des Filmes und Filmschnitts einführen, und so eine „Werkzeugkiste“ entstehen, die dann auch für andere Apps in den Sozialen Medien genutzt werden kann. Im Team können beispielsweise für die Einrichtungen TikTok-Beiträge erstellt werden. Bestens vorbereitet ist das Roncallihaus, in dem ein Tonstudio zur festen Einrichtung gehört.
Ein weiterer Effekt des Konzepts soll sein, dass gleichzeitig erklärt wird, welche Methoden Extremisten nutzen, um ihre Propaganda gezielt zu platzieren und welche Informationen – oder Indoktrinationen – ganz bewusst unterschwellig mitgegeben werden. So können Wissen und Hintergrundwissen sich ergänzen.
Für die Umsetzung haben sich die Sozialpädagogen auf die Suche nach einer Fachstelle gemacht, die eine Schulung anbieten können. Sascha Römer hat die erste „Runde“ in einer Online-Fortbildung bereits absolviert und war überzeugt. „Das Thema wird uns ein länger begleiten.“ Die beiden denken auch schon darüber nach, sich perspektivisch Kooperationspartner in den ortsansässigen Schulen zu suchen. Aufklärungsveranstaltungen für Eltern mit unterschiedlichen Fachkräften, zu denen auch Medizinern gehören sollten, wären ebenso denkbar. „Aber das ist noch Zukunftsmusik.“