Denk‘ ich an Blüten an der Rur, habe ich zuerst die Kastanienallee auf dem Rurdamm vor Augen, von Hesselmann aus betrachtet, groß und leuchtend, rote und weiße Blütenstände abwechselnd an den Bäumen, ein prächtiges Bild. Blühende Blumen sind eher außerhalb zu finden, besonders auffällig und gar nicht gesund, die Herkulesstaude.
Blütenpflanzen kann man auch pressen, zwischen Löschpapier, da bleiben die Blüten an den Stielen auf Dauer erhalten. Ob solche Stil-Blüten von der Rur meinem Großvater im Sinn stand, als er einen Namen für seine Heimatbeilage suchte?
Vor einhundert Jahren war es, als Adolf Fischer, der Verleger und Redakteur des Jülicher Kreisblattes, eine neue Beilage für seine Tageszeitung schuf. Eine Motivation ist sicher auch in der damaligen belgischen Besatzung begründet, einerseits wegen deren starker Zensur, anderseits, weil der Heimatgedanke gerade jetzt populär wurde. Die größte Ansammlung von Wissen über die Jülicher Geschichte, die vier Bände von Joseph Kuhl, waren schon fast dreißig Jahre alt, die Nachfrage nach weiteren Informationen musste anders gestillt werden.
Die erste Nummer dieser „RUR-Blumen“ erschien am 3. Juli 1921. Fast 25 Jahrgänge sind anschließend zusammengekommen. Vier- oder achtseitig, immer freitags zur Lektüre am Wochenende. Viele Themen fanden hier ihren Platz zur Heimatgeschichte des Jülicher Landes. Heimatdichter wie Wilhelm Tilgenkamp verfassten Gedichte und Anekdoten in der hiesigen Mundart. Der Lehrer Heinrich Tichlers trug Sagen, Legenden und Überlieferungen aus fast allen Orten zusammen, wobei er auch über die früheren Kreisgrenzen hinaus schaute. Es wurden Erinnerungen aus den Dörfern niedergeschrieben, in Fortsetzungen ergaben sich ganze Serien zu einem Thema wie „Bauernleben des Jülicher Landes“ im Jahr 1929. Die RUR-Blumen waren auch das Medium zur Veröffentlichung alter Quellen, z.B. der Chronik des Präzeptors Krantz, der die Franzosenzeit in Jülich erlebte und z.B. den Besuch Napoleons beschrieb. Die Tagebucheinträge der Jülicher Familie Tilleßen schilderten den Alltag aus bereits damals vergangenen Jahrhunderten. In den RUR-Blumen finden sich Erinnerungen an große und kleine Ereignisse, an die Belagerungsübung an der Zitadelle im Jahr 1860 im Beisein der Vertreter des europäischen Hochadels wie an die Beobachtung von Fischen in und Vögeln an der Rur. Zu jedem der Dörfer und Weiler zwischen Bettenhoven und Bettendorf, zwischen Rurdorf und Geuenich, von Aldenhoven bis Zieverich kann man Interessantes finden.
Das Kaleidoskop der vielen beschriebenen Aspekte ist bunt und vielfältig. Das Wort Heimat und die Zeit, in der die RUR-Blumen geschrieben wurden, brachte die Dominanz der Farbe Braun mit sich. Auch in den RUR-Blumen begrüßten manche Autoren ab Mitte der 30er Jahre die Politik des „Führers“ Adolf Hitler, die Vorzüge des deutschen Bodens und des Blutes der deutschen Rasse. Das brachte den Begriff „Heimat“ später in Verruf. Aber viele Artikel aus den RUR-Blumen sind heute eine Quelle für unser Wissen über die Geschicke unserer Region, da vieles dokumentiert ist, was später verloren ging: Dokumente durch Zerstörungen und Erinnerungen durch ansonsten fehlende Weitergabe. Dadurch sind die 6641 Seiten der 1182 Ausgaben der RUR-Blumen eine beliebte Lektüre. Nie wieder ist so regelmäßig, in diesem Umfang und von so vielen verschiedenen Autoren dazu geschrieben und veröffentlicht worden. In der Hochphase der Zeitung, des Jülicher Kreisblattes, um das Jahr 1930 wurden 7.000 Exemplare täglich hergestellt. Durch die Repressalien der NSDAP ging die Auflage auf 1.500 Stück zurück.
Adolf Fischer hat viele Artikel selber geschrieben, andere hat er motiviert, in seiner Beilage zu veröffentlichen. Einige Ausgaben im Jahr 1923 sind als Publikation des frisch gegründeten Jülicher Geschichtsvereins gekennzeichnet, diese gemeinsame Herausgeberschaft hielt aber nicht lange. Nach dem Tod von Adolf Fischer im Jahr 1937 übernahm Schulrektor Franz Peters die Herausgabe der Beilage. In den Kriegsjahren konnten viele private Tageszeitungen nicht mehr erscheinen, sie mussten nicht verboten werden, sie erhielten einfach keine Papierzuteilung. Der Familie Fischer gelang es mit Hinweis auf die RUR-Blumen, weiterhin Papier zur Zeitungsproduktion zu erhalten. War das gut? Zumindest für die damals in der Druckerei Beschäftigten war es gut, sie mussten keinen Kriegsdienst leisten. Und auch in diesen letzten Jahren erschienen Artikel, die auch heute noch lesenswert sind. Die allerletzten RUR-Blumen wurden am 2. September 1944 gedruckt, Anfang Oktober zerstörten Bomben die Verlagsgebäude.
Wer einen Blick in die RUR-Blumen werfen will, mag ins Stadtarchiv gehen, sobald Corona es zulässt.
Ein Inhaltsverzeichnis kann man auch online finden: http://www.wgff.de/aachen/download/IV_Rurblumen_1921-1944.pdf
Viel Spaß mit diesen „Blättern für Heimatgeschichte, Unterhaltung und Belehrung“, wie der Untertitel verheißt.