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Nicht-Herrschaft

An den Anfang stelle ich gerne die Begriffsklärung, damit man wenigstens weiß, worum man sich am Ende trotzdem streitet:

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Zeichnung: Zara Schmittgall
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An den Anfang stelle ich gerne die Begriffsklärung, damit man wenigstens weiß, worum man sich am Ende trotzdem streitet: Anarchie kommt aus dem Altgriechischen: „an“ = nicht und „arche“ = Herrschaft. Also ein gesellschaftlicher Zustand, in dem keiner „das Sagen“ hat und somit jeder sagt und macht, was er will, auch ohne zu wissen, warum und / oder was ihm gerade in den Kopf kommt. Hmm… Erinnert mich gerade irgendwie ans Internet… Na, egal, dieses Wort ist nicht umsonst ein Synonym für interhumanes Chaos. Das Interessante ist, dass (von einigen Einzeltätern abgesehen) auch Anarchisten sich organisieren und somit eine strukturelle Hierarchie aufbauen, also genau das machen, was sie eigentlich verweigern. „Keine Macht für niemand“ sangen sehr griffig vor ca. 50 Jahren Ton Steine Scherben – und ich gestehe: ich habe gelegentlich mitgesungen in meinem jugendlichen Nicht-zu-Ende-Denken (das habe ich allerdings bis heute nicht geschafft, immer nur zeitlich begrenzte Denkergebnisse)… Wer die Macht des (bei uns immerhin mehrheitlich gewählten) Staates abschafft, wird eher nicht in einer Gemeinschaft der friedlich Vernünftigen landen, sondern es wird sich unkontrolliert das Recht des Stärkeren durchsetzen. Das des pekuniär Stärkeren gilt ja in manchen Bereichen sowieso.

Wenn’s nicht so tragisch wäre, wäre es lustig – und da sind wir bei meiner Frage an das Herzog-Team: Wie seid Ihr denn auf diesen Aufhänger gestoßen? Na – Karneval! Ist endlich (nach 2 Jahren !) mal wieder angesagt und in seiner üblichen Art möglich. Aha, dachte ich: Und was hat das eine mit dem anderen zu tun?

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Lang, lang ist’s her, dass Karneval wirklich anarchistische Züge hatte. Da wurden Esel mit Papstkrone in die Kirche getrieben, und der Klerus hat mitgesoffen und -gelacht. Wohlwissend, dass er die Esel und Schäfchen am Aschermittwoch verkatert wieder im Griff hatte. Ende der pseudo-anarchistischen Vorstellung. Aschekreuz, Beichte – und „zurück ins Glied!“, das man mal kurzfristig heraushängen lassen durfte – nicht nur metaphorisch gesprochen…

Brot und Spiele, panem et circenses, das funktioniert seit mindestens zwei Jahrtausenden und hält sich weiterhin für kultivierbar. Ob es auch Kultur ist oder eher eine massentaugliche Unterhaltungserscheinung, mögen Soziologen oder jeder für sich beurteilen.

Als Mitglied zweier Karnevalsvereine in einem südlichen Jülicher Stadtteil (Selgersdorf) weiß ich um die Freude an der Lustigkeit. Und um die gelegentliche Verbissenheit, mit der sie behauptet und verlangt wird. Anarchie? Pustekuchen. Aus der Reihe wird nicht getanzt – schon gar nicht vom Mariechen. Dat hätt Spitzebötzje aan und lässt sisch net draan fummele. Gut so. Sonst hätten wir ja, was man spontan gerne täte, aber von dem zumindest einige wissen, dass es nicht zu dem führt, was man letztendlich vielleicht doch lieber hätte. Schließlich ist Karneval außer für Anfänger eine bekanntermaßen ernste Sache. Und wie vieles mit katholischem Hintergrund ist auch der Karneval weniger eine Glaubensfrage, sondern folkloristische Notwendigkeit – in den protestantisch geprägten Ländern auch unter Zuhilfenahme von Alkohol entsprechend eher nüchtern. Da halten wir uns doch lieber an den einigermaßen geregelten Unfug in Rheinkultur. Beschränkte sessionale Anarchie (auch wenn das eigentlich ein Widerspruch in sich ist) hat einen menschlich herrlich angenehmen Aspekt: Was Anarchisten niemals machen: lachen. Schon gar nicht über sich selbst. Und Selbstironie hat etwas sehr Entspannendes – für den sie Besitzenden wie für sein Umfeld. Aber man kann und darf auch über blöde Witze lachen, selbst wenn man sie nach dem 15. Kölsch nicht mehr oder falsch versteht.

Und wer den einen oder anderen Beitrag für frauen-, männer- oder sonstwasfeindlich hält, sollte es in dieser Zeit bei einem Naserümpfen bewenden lassen und nicht gleich einen Shitstorm im Bierglas produzieren. Am Aschermittwoch ist zwar nicht alles vorbei, doch man kann vieles auch nur einfach abhaken. Eine „anarchische“ Auszeit von politischer und sonstiger Korrektheit tut bzw. täte gerade denen gut, die über solche im Übermaß verfügen. Die sind nämlich leider von einem dauerhaften Virus befallen und nicht nur von einem kurzfristigen, das laut Ron Kritzfeld „die Betroffenen am Morgen müde, am Abend tatendurstig und am Aschermittwoch arbeitsunfähig macht“.

Und so grüße ich alle „Narren“ mit „Alaaf“, „Helau“ und auch mit dem seltsamen „Ahoi“. Denn der größte Narr ist der, sagt Miguel de Unamuno, der in seinem Leben noch nie eine Torheit begangen hat.

Vor dieser Art Größe hat mich eher nicht der Karneval bewahrt, sondern wahrscheinlich der in mir veranlagte Anarchismus…


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