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Närrisch now

Vom Aufwachsen, Leben und Überleben in karnevalistischen Zeiten oder Willkommen im Rheinland.

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Als ich diesen Text schreibe, ist Tag eins der zweiten Amtszeit von Präsident Trump in Amerika, und ich fühle mich verkatert und unzufrieden und ich habe auch Angst, was das für unser aller Zukunft bedeuten kann. Weil ich schon heute Morgen so viele Dinge gelesen habe, was beschlossen oder zurückgenommen wurde, und welche Ideen die Regierung beziehungsweise Trump in Amerika für die Zukunft hat. Und dabei fühle ich mich närrisch. Ein bisschen kurz vorm Durchdrehen. Ist die Welt verrückt geworden? Das frage ich mich in letzter Zeit öfter mal.

Egal ob ich online oder offline unterwegs bin, was ich lese und wo ich Kommentare finde. Es macht mir Angst, was das bedeuten könnte für die Wahlen Ende Februar in Deutschland. Die Menschen müssen sich erinnern: Nie wieder ist jetzt. Dass Nazis unwählbar sind und es hoffentlich auch bleiben, immer und egal in welcher Verkleidung sie auftreten. Apropos Verkleidung: Eigentlich ist der Februar ja vor allem der Karnevalsmonat. Der erste fröhliche Monat des Jahres, der Frühling fast zum Greifen nahe. Dieses Jahr liegt Karneval spät – ich habe fast Geburtstag an Karneval. Leider ist es nur Aschermittwoch geworden. Mist. Gibt es wohl Fisch.

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In meiner Zeit im Nicht-Rheinland musste ich oft diskutieren, was Karneval bedeutet für die Menschen und wie wir Karneval verstehen hier im Rheinland. Es hieß immer, wir feiern auch Karneval. Nur dass dieses Karneval dort Fasching heißt und gefühlt ausschließlich am Veilchendienstag stattfindet. Die ganze Zeit ist nichts, und dienstags geht plötzlich ein Faschingszug durch die Stadt. Dann ist der Zug durch, Straßen sauber und zack, damit ist dann auch Karneval beziehungsweise Fasching vorbei. Wie gesagt, ein persönliches Gefühl aus meiner Zeit in Karlsruhe, und wir reden hier immerhin von einem der größten Umzüge außerhalb des Rheinlands. Meine rheinische Seele kann nicht akzeptieren, dass das Karneval sein soll. Denn in meiner Sozialisierung ist Karneval etwas ganz Anderes. Karneval ist ein Lebensgefühl. Das nicht erst Karnevalsdienstag oder Veilchendienstag startet. Es startet am 11.11. um 11.11 Uhr und zieht sich ab da eine ganze Session durch. Schon als Kind war ich viel unterwegs. Denn ich habe getanzt in verschiedenen Tanzgruppen, bin mitgenommen worden auf Kindersitzungen und andere karnevalistische Veranstaltungen. Denn auch das ist Karneval: ein Fest für die ganze Familie!

Meine Eltern waren schon immer sehr viel im Karneval unterwegs. In unserem Dorf war mein Vater in der KG, meine Mutter für die Katholische Frauengemeinschaft aktiv. Den Verein dort unterstützte mein Vater im Elferrat und bei den Sitzungen in der Planung und Organisation, und meine Mutter hat jahrelang unter anderem bei den Frauensitzungen der Frauengemeinschaft die Moderation übernommen und natürlich auch sonst das Programm auf der Bühne mitgestaltet. Ich als Kind oft dabei mit Auftritten mit der Tanzgruppe. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich meinen ersten Auftritt hatte. Den Bildern nach schätzungsweise mit vier oder fünf. Dorfleben ist oft ja auch Vereinsleben. Mal sind es die Schützen, in meinem Heimatdorf in meiner Erinnerung eben der Karneval und der Maiclub. Auch den Karnevalszug haben meine Eltern und ich mitbegründet: Die Clique meiner Eltern ist einfach im Jahr 1981 nur durch ein Plakat beim am Vorabend stattfindenden Maskenball um 11.11 Uhr morgens mit einem Karnevalswagen, Musik, Eiern und Schnaps durchs Dorf gezogen und hat den ein oder anderen Dorfbewohner aus dem Schlaf gerissen. Die Kinder allesamt auf dem Wagen mit im Gepäck. Denn so läuft das eben Karneval – mittendrin statt nur dabei.

Die eigentlichen Karnevalstage hat man aber natürlich auch gefeiert. In meiner Generation als Halbwüchsige noch Karnevalsdonnerstag, also Weiberfastnacht bei den nachher verrufenen, weil ausufernden und eher spontanen Zusammentreffen auf dem Jülicher Marktplatz. Zu meiner Zeit auf jeden Fall der Place to be!

Wie viele Paare und Ehen sich Karneval wohl gefunden haben? Und wie viele ein Ende fanden – keiner weiß es. Bleiben wir aber bei den positiven Seiten: Meine Eltern zum Beispiel lernten sich beim legendären „Kanalvoll-Ball“ in der damals noch KFA kennen und sind seitdem seit 58 Jahren zusammen. Ich nehme an, offiziell hieß die ganze Veranstaltung wohl anders. Und auch mein Mann und ich lernten uns an einem Karnevalstag im Zelt kennen… Vor nicht ganz so vielen Jahren.

Ich erinnere mich vor allem an gute Zeiten. Das ist auch das, was Karneval für mich persönlich bedeutet, ein Zusammenkommen. Geselliges Miteinandersein, Menschen treffen, feiern und tanzen und singen. Ein sehr großer Teil der rheinischen Kultur, die sich auch in all den Liedern findet, die es gibt. Die lustig sind, manchmal frivol, manchmal auch traurig. Man kann hüpfen oder schunkeln, beides nacheinander oder ganz jeck gleichzeitig. Aber es zählt halt wirklich die Gemeinschaft! Auch wenn der Blick von außen oft nur den Alkoholkonsum in den Fokus stellt, weil das leider, glaube ich, ein Zeichen unserer Zeit ist, das Negative in den Vordergrund zu stellen. Aber es ist nicht das, was Karneval ausmacht. Karneval bedeutet schon auch verrückt sein, närrisch sein, jeck sein. Deshalb habe ich auch früher nie verstanden, dass jeck für viele Menschen, die nicht im Rheinland sozialisiert worden sind, eine Beleidigung sein soll. So ist der Rheinländer halt: bisschen jeck im Kopp. Das ist schon fast eine Auszeichnung, eine Liebesbekundung.

Karneval muss auch laut sein, sollte es doch früher die bösen Geister des Winters vertreiben. Von der Kirche geduldet als Ausschweifung vor dem Beginn der Fastenzeit, auch um ganz nachhaltig die Vorräte zu verbrauchen, die dann in den folgenden Wochen tabu sein würden wie etwa Eier und Fett. Klassische Zutaten also für die bekannten karnevalistischen Gebäckarten wie Berliner oder Mutzen. Allen voran aber auch Fleisch, woher sich sehr wahrscheinlich die Bezeichnung Karneval ableiten lässt, nämlich vom mittellateinischen carnem levare, „Fleisch wegnehmen“. Und ja, ich zittere innerlich etwas, ob unser HERZOG Geschichtsexperte Guido von Büren mir dafür nicht einen auf die Mütze geben wird, weil dies doch sehr kurz zusammengefasst ist. Wo wir schon bei Nachhaltigkeit und aus dem Zusammenhang gerissen sind: Es gibt eine Theorie, die besagt, dass Konfetti schon von den Römern erfunden wurde, weil man sich an den Saturnalien, die zu Ehren des Gottes Saturnus gefeiert wurden, und in denen alle gleichgestellt miteinander tranken, tanzten und redeten, mit kleinen Rosen überschüttet hat. Vielleicht könnten wir an der Stelle ebenfalls ganz nachhaltig zurück zu den Wurzeln, Saatkonfetti benutzen, das man tatsächlich heute kaufen kann, und uns wieder nicht nur sprichwörtlich mit Blumen überschütten.

Kommen wir am Ende aber noch mal zu einer wirklich wichtigen Sache: Damit wir nicht alle auch noch bekloppt werden müssen. Am 23. Februar ist Bundestagswahl. Geht alle hin! Wirklich! Das Wichtigste überhaupt ist hinzugehen und zu wählen. Denn nur wer hingeht, hat die Wahl und kann entscheiden, wie es mit unserem Land weitergeht. Damit Deutschland bunt und fröhlich bleibt statt braun und blau. Dann gibt’s auch Grund zum Feiern – Alaaf!

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Andrea Eßer
In Jülich geboren und dann nach der Schule ab in den Süden zum Studium der Wortjonglage. Nach einer abwechslungsreichen Lehrzeit mit den Prominenten dieser Welt, überwog das Heimweh nach dem schönen Rheinland und Jülich im Speziellen. Deckname Lottofee, liebt ihre Familie, Süßigkeiten, Kaffee, alles Geschriebene und Torsten Sträter. Anfällig für sämtliche Suchtmittel (nur die legalen natürlich). Hat schon mal eine Ehrenurkunde gewonnen und ihre erste Zeitung bereits mit zehn Jahren herausgegeben. Hauptberuflich strenger Händchenhalter eines Haufens vornehmlich junger Männer. Der Tag hat notorisch zu wenige Stunden für alle Pläne und kreativen Vorhaben, die meiste Zeit etwas verwirrt.

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