An seine Flucht aus seinem Geburtsland Libanon kann sich Mo Khomassi nicht mehr genau erinnern. Nur, dass Bürgerkrieg herrschte und er fünf Jahre alt war. Wie sie nach Deutschland kamen? Ob auf direktem Weg? Das weiß er nicht mehr. Nur die Ankunft ist ihm sehr präsent: Der Schleuser hatte die Familie 1989 kurz vor der Wende in Berlin abgesetzt. Mit Kopftuch verweigerte der entscheidende Zollbeamte seiner Mutter den Übertritt nach West-Berlin. Das war der erste Eindruck von Deutschland. In Berlin-Ost standen sie dann erst einmal vor „der Mauer“… Aber da schon alle Soldaten und VoPos abgezogen worden waren und da gab es einen kleinen Durchlass…. „Wir sind dann durch die Mauer – da war ein kleiner Spalt“ erzählt Mo Khomassi mit Lächeln in den Augen und ganz spitzbübischem Grinsen. Als illegale Grenzgänger gelangten die fünf Khomassis auf westdeutschen Boden.
Heimat, das ist heute für Mo Khomassi Jülich. Hier ist er zur Promenadenschule gegangen, hat seinen Hauptschulabschluss gemacht, die Lehre zum Verpackungsmittelmechaniker bei der Firma Eichhorn, hat geheiratet und eine Familie gegründet. „Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben“, sagt der 37-jährige zweifache Familienvater.
Was heute smart klingt war ein beschwerlicher Weg. „Ich kann mich noch gut erinnern: Wir sind damals in Selgersdorf begrüßt worden mit ,Ausländer raus‘-Sprüchen.“ Er sei außerdem kein einfaches Kind gewesen, räumt Mo Khomassi ein. Der Start auf der Katholischen Grundschule misslang dann auch, auch auf der Promenadenschule war es nur wenig besser, sagt er rückblickend. „Ab der fünften Klasse ging es bei mir aufwärts.“ Und warum: Weil die „super Klassenlehrerin Frau Schneeweiß“ ihn richtig zu nehmen wusste. „Sie hat mich am Anfang völlig fertig gemacht und das hat mir noch mehr Ansporn gegeben. Dann wurde ich in der 7. Klasse Klassensprecher, in Klasse 8 Schülersprecher und dann hat sich mein Weg komplett geändert. Ich hatte Verantwortung…“
Verantwortung und Unterstützung – das sind die zwei Säulen, auf die er sein weiteres Leben bauten konnte: Nachdem die Familie – noch ohne Aufenthaltstitel und ständig durch Abschiebung bedroht – in Koslar eine Wohnung beziehen konnte, freundete sich Mo Khomassi mit Nachbarssohn Marco an. Dessen Mutter lehrte ihn nicht nur Deutsch und arbeitete mit ihm Unterrichtsstoff auf, „sie hat mir beigebracht wie man mit den Menschen umgeht, wie man sich richtig verhält“, sagt er dankbar. Weitere Ankerfrau: Sybille Hausmann, damals Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirchengemeinden der Region Jülich. Erst kürzlich traf er die heutige Leiterin der Stabsstelle für Migrationsangelegenheiten im Kreis Düren bei einem Fußballplatz-„Spiel gegen rechts“ in Düren wieder. Auf das gegenseitige Wiedererkennen folgte die Anerkennung für seinen Lebensweg habe er geantwortet: „Das habt ihr mit zu verantworten .“ Darin eingeschlossen ist Sozialdezernentin Doris Vogel. Sie hat ihm eine berufliche Neuorientierung ermöglicht. „Die Frau geht mir ihren Klamotten ins Paradies, sag ich immer“, sagt Mo Khomassi und meint damit nicht nur die Unterstützung für ihn, sondern die Anerkennung für den Einsatz „seiner Dezernentin“, die alles „menschenmögliche“ mache.
Und so arbeitet das ganze Team in der Asylberatung der Stadt Jülich, in dem sich Mo Khomassi so wohlfühlt. Hier wird auf Augenhöhe gearbeitet. „Die Menschen brauchen uns“, sagt er, der übrigens auch das soziale im Parteibuch signalisiert, sich aber nicht scheut, SPD-Bundestagsabgeordneten Nietan ins Boot zu holen, wenn es notwendig ist und der Sache dient. Da gibt es derzeit eine Familie in der Türkei, deren Zusammenführung nur mit vielen Telefonaten auch nach Dienstschluss zu bewerkstelligen war.
Mo Khomassi macht man nichts vor: Er sagt geradeaus was er denkt. Auch wenn das unbequem ist – auch den Flüchtlingen, die heute viel bessere Bedingungen haben: 1989 gab kein Integrationskurse oder VHS-Deutschkurse, keine Schulsozialarbeit und das Hilfsnetzwerk von Kleiderlädchen über Kleine Hände und Asylberatung war erst in den Kinderschuhen.Das seien deutlich erschwerte Startbedingungen gewesen. „Ich habe es selbst erlebt.“ Das ist die Qualifikation, mit der er punktet. Einerseits in der Forderung an die Flüchtlinge, sich zu bemühen. „Erzählt mir nix – Ihr könnt hier alles erreichen!“, ist seine Aufforderung. Andererseits ist er aus demselben Grund Mittler: „Ihr könnt nicht erwarten, dass es schnell geht. Es ist ein Prozess und dieser Prozess muss begleitet werden.“
Und so begleitet Mo Khomassi – beruflich und im Ehrenamt. Seine Erkenntnis: „Wir müssen etwas machen, das die Leute verbindet, sie ablenkt von ihren Gedanken wie ,Abschiebung‘. Was ist das beste dafür? Sport!“ Der engagierte Fußballer holte sich junge Flüchtlinge auf den Platz des SV Jülich 12. Anfangsschwierigkeiten waren bald überwunden. Neben dem Sport wurde gemeinsam gegrillt, Gespräche beim Bierchen geführt. So saßen zwei Spieler aus Ghana nebeneinander, aßen, lachten…Der eine Moslem, der andere Christ. Mo Khomassi sprach sie darauf an. „In dem Moment haben sie es gecheckt, wie sie hier zusammen sitzen und wie es in der Heimat wäre, wo sie Krieg gegeneinander führen würden. Das sind so kleine Dinge“, spricht‘s, lächelt und ergänzt: „Ich mache das echt mit Leib und Seele.“
Das haben auch andere Menschen gemerkt und so hat Mo Khomassi mit seiner Mannschaft für seine Integrationsarbeit in diesem Jahr bereits zwei Preise bekommen: Den Ehrenpreis für soziales Engagement des Kreises Düren und in Aachen den bronzenen „Stern des Sports“. Das ist aber Nebensache, danach muss man ausdrücklich fragen, damit Mo Khomassi davon erzählt. Als ehemaliger Flüchtling ist es für ihn – wörtlich – „Ehrensache“ jetzt selbst Flüchtlinge zu unterstützen. Auch wenn ihn inzwischen die Erkenntnis eingeholt hat. „Du kannst nicht für alle da sein.“