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Heiter weiter

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Zeichnung: Jens Dummer
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Der Blick auf die Zukunft? Heiter bis wolkig, regional mit Chance auf etwas Fallout und nuklearen Winter. Um die Klimaerwärmung brauchen wir uns dann wenigstens keine Sorgen mehr zu machen. Und auch so manche fundamentale Diskussion über Gendersternchen wird in Bruchteilen von Sekunden verglühen, feministische Außenpolitik hin oder her. Sie merken: Heute wollen wir mal uneingeschränkt optimistisch sein! Ja, 2024 war kacke. Warum sollte also 2025 nicht noch bescheidener werden? Huch, Entschuldigung, 2025 wird natürlich ein Burner! Bin aus Versehen im falschen Skript gelandet. Welche weltpolitischen, europapolitischen, bundespolitischen oder gar lokalpolitischen Ereignisse sollten diesen Optimismus denn auch infrage stellen?

Heiter weiter! Spätestens zur Amtseinführung von Donald Trump am 20. Januar darf sich die Welt auf eine fulminante Vorstellung von Team America gefasst machen. Eine Wahnsinns-Reality-Doku, die erst gar nicht vorgibt, sich an Fakten und Vernunft zu orientieren und einfach den Grundlagen folgt, die Amerika einst stark (oder great, whatever) gemacht haben: rücksichtsloser Egoismus, das Recht des Stärkeren und maximale Ausbeutung von Ressourcen. Dieses Mal aber ohne so kommunistische Gedanken wie „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“. Zumindest für große Teile des Volkes, die nicht die Dollars haben, sich ihre Freiheiten erkaufen zu können. Wenn man hingegen das Glück hatte, bereits als Millionär das Licht der Welt erblickt zu haben, oder sein Geld mit schonungsloser Selbstvermarktung gemacht hat: Happy new Year!

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Aktuell läuft sich die Trump-Truppe noch warm. Doch ein designierter Energieminister, der mit Fracking seine Kohle verdient hat, ein Gesundheitsminister, der wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und lieber Verschwörungstheorien verbreitet, und ein „Grenz-Zar“, der vermutlich Emma Lazarus‘ Sonett „The New Colossus“ vom Sockel der Freiheitsstatue kloppen wird, versprechen Sternstunden gelebter Demokratie. Dafür wird ein Hochvolt-Großindustrieller im Handumdrehen die Bürokratie entschlacken: Gewerkschaften verbieten, Wettbewerbshüter abschaffen, Überprüfung von Produktsicherheit aussetzen. Nicht nur ein US-Flugzeugbauer, dessen Maschinen schon einmal Türen im Flug verlieren, wird aufatmen. Die Börse jubelt schon heute. Wer einen Clown wählt, darf einen Zirkus erwarten. Offen bleibt, welcher Akt der Zurschaustellung eines demokratisch-liberalen Grundverständnisses zuerst zur Aufführung kommt: Die Begnadigung von mehr als 900 „Kapitolstürmern“, also Freiheitskämpfern in der neuen Sprachregelung, oder die größte Abschiebungsaktion in der Geschichte der USA. Cliffhanger garantiert! Geile Show. Schon vor dem Start ist klar, dass es mehrere nachfolgende Staffeln geben wird. Auch das könnte Bürokratie-Entschlackung sein: Bald muss am Wahltag vielleicht niemand mehr seinen Allerwertesten von der Couch hieven.

Warum steht das jetzt hier, wo wir doch optimistisch sein wollen? Weil das kommende Jahr super wird. Ganz anders als beispielsweise der 6. November 2024, der sozusagen die Initialzündung für die vorangegangenen Absätze war. Das war kein schöner Tag. Morgens kam die Bestätigung, dass der nächste (letzte?) Präsident der USA Donald Trump heißt, abends erklärte die Berliner Schultheater-AG „Die Ampel“ ein erwartetes und dennoch (zumindest für einige naive Wählerinnen und Wähler) überraschendes Ende. Danach ging es gefühlt so weiter. Weiter Krieg in der Ukraine, weiter Säbelrasseln an den Grenzen von Nordkorea und Taiwan. Weiter Populismus über alles. Neu hingegen: Nach elf Jahren Bürgerkrieg dauerte es nicht einmal eine Woche, die Terrorherrschaft Assads in Syrien zu beenden und durch neue Machthaber zu ersetzen, von denen einige weltweit als Terroristen eingestuft werden. Dem syrischen Volk bleibt zu wünschen, dass es wirklich ein Ende des Terrors bedeutet. Die sofort in Deutschland einsetzende Abschiebe-Debatte lässt derweil befürchten, dass Donald Trump nur noch ein oder zwei Wahlen entfernt ist.

Dritter Anlauf: Heiter weiter! Ich könnte das übrigens 365 Tage im Jahr tun. Pessimistisch sein, den ungezügelten Zynismus zu Papier bringen, Thesen des Niedergangs formulieren. Das Schlimme daran: Vermutlich läge man in der Rückschau gar nicht falsch mit vielen Annahmen und Befürchtungen. Cui bono? Doch wem nützt es? Mir nicht, Ihnen nicht, uns nicht.

Ja, die Welt, wie wir sie alle vielleicht ein wenig zu lange als selbstverständlich hingenommen haben, steht offenbar kurz davor, sich zu entzünden – oder die Feuer brennen bereits. Was also tun? Chipstüte aufreißen und auf dem 100-Zoll-Monitor werbefrei das Ende mitverfolgen und durch Hasskommentare im Netz noch etwas Brandbeschleuniger hinzufügen, während der Paketbote die Black-Friday-Deals in die Mülltonne der Nachbarn zustellt? „Wenn es keine Hoffnung mehr gibt, gibt es nur noch Tod und Erstarrung“, hat Pater Anselm Grün in einem Interview gesagt, das diese Woche gedruckt wird. Ein Satz, der mich, den Verfasser der vorangegangenen Zeilen und den
Fragensteller an Anselm Grün, nachdenklich gestimmt hat.

Ohne Hoffnung gibt es kein Leben. Ein Leben ohne Hoffnung wäre sinnlos. Dabei geht es gar nicht darum, ob die Hoffnung berechtigt oder unberechtigt ist. Diese Kategorien kennt Hoffnung nicht, diese Kategorien sind irrelevant für Hoffende. Nicht nur meine Generation, die in diesen Breiten aufwachsen durfte, musste zum Glück nie diese Erfahrungen machen: Wie es ist, zu Tag- und Nachtzeiten in einen Luftschutzkeller zu laufen; wie es ist, Hunger zu haben, der nicht umgehend gestillt werden kann; wie es ist, ohne Schule und medizinische Versorgung aufzuwachsen. Da verschieben sich die Ansichten, was wirklich wichtig und nötig im Leben ist. Was wir brauchen, um glücklich zu sein. Was Hoffnung bedeutet, welche Kraft Hoffnung für das Weiterleben stiften kann, auch für den täglichen Kampf ums Überleben, für den Einsatz für eine bessere, hoffnungsvollere Welt.

Es fällt mir wesentlich leichter zu meckern, als etwas ernsthaft selbst in die Hand zu nehmen, um es zu verändern, vielleicht sogar zu verbessern. Es beginnt mit der eigenen Einstellung, vielleicht sogar mit einem Lächeln auf den Lippen, mit einer freundlichen Geste im Alltag. Wenn alle die Zeit, die wir meist nach wie vor aus der Position einer Sicherheit heraus motzend und kritisierend verbringen, in etwas Konstruktives ummünzen würden, könnte dies schon etwas bewirken, was nicht nur reine Theorie ist. Es geht immer weiterer, aber gerne etwas heiterer. Esoterischer Mist, denken Sie?

Ja dann, ab auf die Couch, Team America einschalten. Vielleicht gibt es spätestens ab Februar auch die deutsche Ausgabe. Ich hoffe nicht.

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Stephan Johnen
Kein Muttkrat, aber im Besitz einer Landkarte. Misanthrop aus Leidenschaft, der im Kampf für Gerechtigkeit aus Prinzip gerne auch mal gegen Windmühlen anreitet. Ist sich für keinen blöden Spruch zu schade. Besucht gerne Kinderveranstaltungen, weil es da Schokino-Kuchen gibt, kann sich aber auch mit Opern arrangieren.

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