Start featured Heißer Feldversuch

Heißer Feldversuch

Jeder weiß: Das Sommerwetter mit zum Teil über 30 Grad Celsius hat nicht nur positive Seiten. Wie sich Hitzewellen auf die Umwelt und das Klima auswirken, untersuchen derzeit Jülicher Klima- und Bodenforscher und ihre Kollegen aus Potsdam, Leipzig und Garmisch-Partenkirchen. Eine erste Testkampagne findet zurzeit auf einem Versuchsfeld und den angrenzenden landwirtschaftlichen Ackerflächen in Selhausen statt, nur wenige Kilometer vom Forschungszentrum Jülich entfernt. Jülicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen dort gemeinsam mit Kollegen aus drei Helmholtz-Zentren unterschiedliche Messungen durch. Bodenforscher Prof. Nicolas Brüggemann und Atmosphärenforscher Dr. Ralf Tillmann erklären im Interview, warum die Forschung so wichtig ist.

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Feldversuch nahe Jülich: Mit MOSES soll eine Forschungslücke geschlossen werden. Copyright: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach
Feldversuch 2018 nahe Jülich: Mit MOSES soll eine Forschungslücke geschlossen werden. Jetzt sind die "Feldforscher" wieder unterwegs. Copyright: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach
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Herr Prof. Brüggemann, Herr Dr. Tillmann, was ist am MOSES-Projekt so relevant?

Brüggemann: Egal ob Hitzewellen oder Überschwemmungen, anhaltende Trockenheit oder besonders starke Niederschläge – die Klimaforschung zeigt, dass es weltweit immer mehr extreme Wetterereignisse gibt. Um dies besser zu verstehen, müssen wir das globale Klima als Gesamtsystem betrachten – denn Land, Ozeane, Luft, und Pflanzenwelt sind in ihren klimatischen Prozessen eng miteinander verbunden.

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Bislang hat sich die Klimaforschung vor allem auf klimatische Langzeittrends konzentriert und den Blick auf kurzfristige, extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen eher vernachlässigt. Diese Forschungslücke wollen wir nun füllen. Denn selbst wenn solche Wetterphänomene nur wenige Tage oder Wochen andauern und regional stattfinden, haben sie große und langfristige Auswirkungen auf das weltweite Klima.

Tillmann: Mit MOSES wollen wir im Helmholtz-Forschungsbereich Erde und Umwelt nun ein modular aufgebautes Erdbeobachtungssystem aufbauen, das von allen acht beteiligten Forschungsorganisationen immer genau dort einsetzbar ist, wo extreme Wetterverhältnisse kurzfristig auftreten. Konkret kann man sich das wie eine wissenschaftliche „Eingreiftruppe“ vorstellen, die dorthin gehen, wo das Wetter gerade verrücktspielt.

In Jülich führen wir dazu aktuell mit unseren Helmholtz-Kollegen eine Testkampagne unter Realbedingungen durch. Wichtig ist zunächst, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Forschergruppen mit ihren ganz unterschiedlichen, teils einzigartigen Messinstrumenten bestens funktioniert. Aber auch aus unseren dabei in Jülich entstehenden Messdaten können wir für unsere Forschung schon einiges lernen!

Brüggemann: Am IBG-3 und IEK-8 untersuchen wir im Projekt nun konkret Hitzewellen und ihre Auswirkungen – zum Beispiel auf die Treibhausgase und den Feinstaub in der Luft. So hat beispielsweise die Hitzewelle 2003 europaweit dazu geführt, dass Landökosysteme plötzlich mehr Kohlenstoff freigesetzt als aufgenommen haben. Gleichzeitig wollen wir besser verstehen, wie sich Hitzewellen durch ausgetrocknete Böden und zugleich trockengestresste Pflanzen selber verstärken und zu weiterem Kohlenstoffdioxid-Ausstoß führen. Deshalb ist es wichtig, verlässliche Werte zur Bodenfeuchte gewinnen zu können.

Was tun Sie da aktuell auf und nahe dem Campus?

Brüggemann: Um mehr über das Entstehen von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgas zu verstehen, haben wir auf dem Versuchsfeld in Selhausen mobile Messsysteme des IBG-3 mit verschiedenen Messinstrumenten vor Ort. Dazu gehören Lasermessgeräte im Infrarot-Bereich – denn Gase wie Kohlenstoffdioxid absorbieren im Infrarotbereich und sind hier gut messbar. Hinzu kommt ein Anhänger, von dem sich ein 30 Meter hoher Messturm ausfahren lässt. Hiermit können wir die Konzentration von Treibhausgasen und 3D-Windgeschwindigkeiten messen, um daraus vertikale Flüsse von Treibhausgasen auf einer Fläche von bis zu mehreren Quadratkilometern zu errechnen.

Mein Kollege Dr. Heye Bogena und sein Team untersuchen wiederum die Bodenfeuchte. Diese ist jedoch ziemlich variabel und mit Einzelmessungen kaum auf größeren Flächen zu erfassen. Wir nutzen deshalb den Cosmic-ray Rover, einen Sprinter-Kleinbus, der mit zahlreichen Neutronen-Detektoren – so eine Art optimierter Geigerzähler – ausgerüstet ist. Damit fahren wir über die Wege des Versuchsfelds und messen über eine größere Fläche hinweg, wie hoch die Neutronendichte in der bodennahen Luftschicht ist.

Das liefert uns Daten, wie feucht die Böden sind und wie viel Wasser die darauf stehende Vegetation enthält. Zugleich verifizieren wir die Werte der neuen Messtechnik mit zahlreichen händischen Bodenproben und Messdaten aus mehreren Überflügen mit Forschungsflugzeugen.

Tillmann: Wir lassen Starrflüglerdrohnen vom IEK-8 in der Nähe des Wetterturms über dem Stetternicher Forst bis zu 1.200 Meter hoch aufsteigen. Die Drohnen sind mit spezieller Messtechnik ausgestattet, um dort die Menge von Feinstaub in Kombination mit meteorologischen Parametern wie Temperatur, Feuchte, Windstärke und Luftdruck zu bestimmen. Der spiralförmige Aufstieg dauert etwa zehn Minuten – da haben wir genügend Zeit, um unsere Messungen durchzuführen. Auch wir vergleichen unsere Ergebnisse mit den Werten anderer Messgeräte. Diese befinden sich zum Beispiel auf dem Dach unseres IEK-Gebäudes und auf dem Wetterturm – die Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologie haben außerdem ein Aerosolfernerkundungsgerät für die Testkampagne mitgebracht und aufgestellt. Zugleich fließen Daten eines Vorhersagemodells zur Luftqualität vom IEK-8 mit ein.

Kurz gesagt: Wir vergleichen uns alle gegenseitig – um unsere Messtechnik und Modelle zu verbessern und die klimatischen Prozesse von Hitzewellen besser zu verstehen. So können wir letztendlich herausfinden, wie wir die Auswirkungen von Hitzewellen abmindern können. Denn auch das ist ein Ziel von MOSES.

Was wollen Sie mit Ihren Messungen konkret herausfinden?

Brüggemann: Wir wollen wissen, wie stark die Treibhausgasflüsse zwischen der Landoberfläche und der Atmosphäre durch Hitzewellen beeinflusst werden. Bereits aus kleinen Änderungen in der Treibhausgaszusammensetzung der Atmosphäre kann man interessante Rückschlüsse auf wichtige Prozesse in Landökosystemen ziehen, die auch stark durch Klimaveränderungen beeinflusst werden.
Ein Beispiel: Gibt es zwei Wochen lang extreme Hitze, kann dies eine Kettenreaktion auslösen. Pflanzen sind gestresst und stellen schließlich ihre Fotosynthese ein – und damit auch die Aufnahme von Kohlenstoffdioxid. Gleichzeitig atmen sie weiter und geben somit zusätzlich Kohlenstoffdioxid ab – und tragen zugleich zur weiteren Erwärmung bei. An dem gemessenen Kohlenstoffdioxid können wir also ablesen, wie gut es den Pflanzen und dem gesamten Ökosystem geht. Bei den Treibhausgasen Methan und Lachgas verstehen wir die Abläufe noch deutlich weniger – auch hier versuchen wir, mit MOSES die Prozesse besser zu erforschen.

In Sachen Bodenfeuchte wissen wir: Je feuchter der Boden ist, desto weniger Neutronen können wir in der bodennahen Luftschicht messen. Denn Neutronen, die von kosmischen Strahlen in der Atmosphäre produziert werden und nach unten fliegen, werden von den Atomen im Boden zurück in die Luft reflektiert. Ist der Boden feuchter, gibt es im Boden mehr Wasserstoffatome, die die Neutronen bremsen und weniger reflektieren. Hier setzen wir mit unserer Forschung an – und wir sind gespannt auf die ersten Ergebnisse und auf neue Erkenntnisse, wie wir unsere wissenschaftlichen Geräte und Messmethoden noch verbessern können.

Die unterschiedlichen mobilen Forschungsgeräte gemeinsam auf den Prüfstand zu stellen, ist ein wichtiges Ziel der aktuellen Testkampagne. Copyright: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach
Die unterschiedlichen mobilen Forschungsgeräte gemeinsam auf den Prüfstand zu stellen, ist ein wichtiges Ziel der aktuellen Testkampagne. Copyright: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Tillmann: Mit unseren Drohnenmessungen vom IEK-8 wollen wir etwa herausfinden, in welcher Höhe sich wie viel Feinstaub befindet. Wichtig ist dabei, mehr über die sogenannte Mischungsschicht der Atmosphäre in Bodennähe zu erfahren. Durch die Sonneneinstrahlung nimmt die Erwärmung des Bodens im Tagesverlauf zu, so dass vermehrt aufsteigende warme Luft diese Mischungsschicht weiter nach oben hin dehnt – und Feinstaub in diesem größeren Luftvolumen verdünnt werden kann. Dies verändert über den Tag hinweg wiederum die Qualität der Luft, die wir atmen. Welche Auswirkung die extrem hohen Temperaturen von Hitzewellen auf diesen Prozess wiederum haben, wollen wir in der MOSES-Kampagne herausfinden. Außerdem ist noch längst nicht klar, welche Rolle Feinstaub bei der Erwärmung der Erdatmosphäre spielt – hier wollen wir einen Beitrag leisten.

Inwiefern Emissionen von Pflanzen in Feinstaub umgewandelt werden und welche Auswirkung das auf die Atmosphäre hat, gehört ebenfalls zu unseren Forschungsfragen. Hier wird besonders deutlich, wieso das IEK und das IBG-3 auch bei MOSES bestens zusammenarbeiten können. Wir ergänzen und unterstützen uns in den Messungen gegenseitig, um das komplexe klimatische Gesamtsystem zu begreifen, bei dem Pflanzen, Atmosphäre und viele andere Faktoren eng miteinander verbunden sind.


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