Es muss im Frühjahr 2010 gewesen sein, an einem ganz normalen Nachmittag im Forschungszentrum Jülich. Wie so oft saßen dort, im Institut für Systemische Mikrobiologie, ein paar Doktoranden mit ihrem Mentor zusammen. Das Gespräch kreiste um die Forschung mit Bakterien und die Frage, wie man sie am besten zur Produktion von Rohstoffen einspannen kann. Im Prinzip lässt sich für fast jeden Stoff ein mikrobieller Hersteller finden. Dann aber genau die Zellen herauszufischen, die besonders produktiv sind, sei viel schwerer, sagte der Mentor. Leider sehe man den Einzellern ihr besonderes Talent nicht an.
„Mit diesem Satz beginnt die Geschichte unserer Firma“, sagt Stephan Binder, der an jenem Nachmittag zusammen mit Georg Schaumann unter den Doktoranden saß. Das Problem, das ihr Betreuer Lothar Eggeling auf den Punkt gebracht hatte, ließ die beiden nicht mehr los. Wie bringt man Bakterien dazu, uns Menschen mitzuteilen, was sie können? Eine knifflige Frage, aber nach einigem Grübeln und Experimentieren kamen die Nachwuchswissenschaftler, die sich schon aus Studientagen kennen, auf die Antwort. Sie hat ihnen nicht nur den Doktortitel eingebracht, sondern auch Patente und die Geschäftsidee für eine eigene Firma.
Es geht, kurz gesagt, um leuchtende Bakterien. Je heller sie strahlen, umso mehr von der gewünschten Substanz produzieren die Mikroorganismen. Das gelingt, weil sie vorher im Labor eine besondere genetische Zusatzausstattung erhalten haben. Sie sorgt dafür, dass die Mikrobe einen besonderen Biosensor entwickelt. Der aktiviert ein optisches Signal, sobald das Bakterium eine bestimmte Menge der Zielsubstanz gebildet hat. Mit steigender Konzentration, und das ist ein besonderer Clou des Verfahrens, nimmt die Signalstärke zu.
Im nächsten Schritt werden die leistungsfähigsten Bakterien unter Millionen Artgenossen herausgefischt – mit einem Zellsortierer, der normalerweise zur Analyse von Blut verwendet wird. Anschließend müssen die ausgewählten Bakterien einige Tests meistern. Erst dann steht möglicherweise ein neuer Produktionsstamm für die industrielle Biotechnologie bereit.
Der Bedarf an solchen Stämmen ist groß. Mit ihnen lassen sich nämlich Herstellungsverfahren auf Erdölbasis durch Prozesse auf der Basis nachwachsender Rohstoffe ersetzen. Dabei verwandeln die Mikroorganismen im Innern großer Fermenter Biomasse in wertvolle Produkte, etwa in Aminosäuren. Dazu zählt Lysin und an diesem Stoff konnten Stephan Binder und Georg Schaumann demonstrieren, wie gut ihr Verfahren funktioniert.
„Es klappte gleich beim ersten Versuch, wir trauten unseren Augen kaum“, erinnert sich Georg Schaumann. Aus zehn Millionen Mikroorganismen der Art Corynebacterium glutamicum – sie enthielten alle das Signalgen – hatte das Analysegerät einige Hundert aussortiert, die tatsächlich besonders viel Lysin produzierten. Was mit herkömmlichen Verfahren mehrere Tage gedauert hätte, war den Leuchtbakterien in wenigen Stunden gelungen. Das versprach enorme Kostenvorteile für die industrielle Anwendung. Stephan Binder: „Wir haben den Test dreimal wiederholt, immer mit gleich gutem Ergebnis – erst dann konnten wir es glauben.“
Von da an schmiedeten die Biologen ernsthaft Pläne für das eigene Unternehmen. Sie waren Ende zwanzig und strebten beide keine akademische Karriere an. Und sie hatten Vertrauen zueinander, auch weil sie sich lange genug kannten. „Was wir noch nicht voneinander wussten, haben wir in den fünf gemeinsamen Jahren im Labor mitbekommen“, sagt Stephan Binder und lacht.
Fortan entwickelten die Gründer in spe ihre Technologie weiter und knüpften erste Kontakte zu Unternehmen. Bald war auch der passende Name gefunden: SenseUp ist ein Fantasiewort, in dem das englische Wort „sense“ (deutsch: aufspüren) das neue Verfahren charakterisiert. Seit September 2015 gibt es die SenseUp GmbH. Binder und Schaumann sind die Geschäftsführer der Firma. Mittlerweile haben die Gründer die Idee zur Marktreife gebracht. In der nächsten Phase soll das Verfahren vom Labor in den industriellen Maßstab gebracht werden. Dazu konnten sie weitere Investorengelder und Fördermittel einwerben.
„In der molekularbiologischen Forschung hantiert man mit wenigen Millilitern“, sagt Schaumann, „in den Bioreaktoren der Industrie laufen die Prozesse in bis zu 100.000 Litern Flüssigkeit ab.“ Das führe zu völlig unterschiedlichen Bedingungen für die Mikroorganismen, zum Beispiel bei der Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff.
Künftig werden sie es mit vielen Wettbewerbern in einem globalen, von großen Konzernen beherrschten Markt zu tun haben. Georg Schaumann ist für Marketing und Kundenbetreuung zuständig und damit gewissermaßen der Außenminister von SenseUp. Verantwortlich für die inneren Angelegenheiten, für Forschung, Entwicklung und Laborleitung, ist Stephan Binder. In der mikrobiellen Stammentwicklung arbeite keine andere Firma mit optischen Sensoren, sagt er. „Letztlich müssen wir bei Schnelligkeit und Genauigkeit punkten, das wird über den Erfolg entscheiden.“