Start featured Ein PEERsönlicher Rückblick

Ein PEERsönlicher Rückblick

Die aus Aldenhoven stammende Aachener Musikerin Viola Kramer schickt mir eine PN: „Du kanntest doch Uli Tillmann, oder?“ Die Vergangenheitsform lässt mich Schlimmes befürchten. „Ja, in der zweiten Hälfte der 70er Jahre haben wir in der Kölner Hochstadenstraße zusammen gewohnt. Was ist mit ihm?“ Meine Befürchtung findet leider Bestätigung.

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In „N.N. Pablo Gruber“ mimt Bettinas Vater, der Mister photokina Fritz Gruber den berühmten Maler mit Hut. Die Bilder von Ulrich Tillmann sind Bestandteil des erfundenen
In „N.N. Pablo Gruber“ mimt Bettinas Vater, der Mister photokina Fritz Gruber den berühmten Maler mit Hut. Die Bilder von Ulrich Tillmann sind Bestandteil des erfundenen "Klaus Peter Schnüttger-Webs-Museums". Fotos von Fotos: Peer Kling
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Ulrich Tillmann ist an einer schweren Nerven-Krankheit im Alter von nicht ganz 68 Jahren gestorben. Uns verband die Zahl vier. Er war vier Jahre älter, aber ich hatte vier Tage vor ihm Geburtstag. Violas und Ulis Eltern, die Kramers und die Tillmanns waren befreundete Familien, die Väter beide Musiker und Organisten im Dienste der Gottesdienste in einer Welt, die zumindest Uli dann irgendwann als etwas zu eng empfunden hat.

Violas Vater war mein Klavierlehrer bis er dieses Verhältnis (zurecht) mit dem Satz beendete: „Da kommt nix bei rum.“ Aber die Freundschaft hält noch immer. Bei den Kramers zu Hause hing ein bestechend schönes Schwarz-Weiß Foto, Violas Schwester Gudrun schwebt in einem wehenden Spitzenkleid, vielleicht war es auch nur in einem Nachthemd deren geschwungene Teakholz-Treppe hinunter. „Wer hat das denn gemacht?“ frage ich. „Der Uli.“ Ich habe das Foto nun rund 40 Jahre nicht mehr gesehen, aber es hat sich eingebrannt. Den Uli habe ich im Zug nach Düren kennengelernt. Wir sind täglich gependelt. Er reiste stets mit einem kleinen Doktorköfferchen und versteckte seinen Kopf für gewöhnlich hinter den „Nachrichten“. Über Politik und Weltgeschehen war er immer informiert. Durch ihn hatte ich 1974 meine Zivildienststelle gefunden als sein Nachfolger sozusagen. Danach kam ich dann auch nach Köln.

So zitiert "Jungbauern auf dem Weg zum Tanz" wörtlich August Sander. Der Herr mit Spazierstock ganz links ist Ulrich Tillmann selbst, wie auch der Herr mit der Armscheibe in der Hand. Bei den Aufnahmen hat sich Ulrich Tillmann gerne eines Selbstauslösers bedient oder sie entstanden in Zusammenarbeit mit Wolfgang Vollmer. Ganz rechts mit Spazierstock: Bettina Gruber.
So zitiert „Jungbauern auf dem Weg zum Tanz“ wörtlich August Sander. Der Herr mit Spazierstock ganz links ist Ulrich Tillmann selbst, wie auch der Herr mit der Armscheibe in der Hand. Bei den Aufnahmen hat sich Ulrich Tillmann gerne eines Selbstauslösers bedient oder sie entstanden in Zusammenarbeit mit Wolfgang Vollmer. Ganz rechts mit Spazierstock: Bettina Gruber.
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Uli stand kurz vor dem Abschluss seines Fotografie-Studiums an der Ingenieurschule. So hieß sie damals noch. Er hatte auch eine Prüfung in Chemie vor sich, nicht gerade sein Hobby. Ich begann gerade mein Chemie-Studium. Das passte ganz gut zusammen. Er stand wie Gert Fröbe (der als junger Schauspieler mit Steinen im Mund übte, um sich von der sächsischen Mundart zu befreien) vor dem Spiegel und repetierte: „Diamminsilber(I)chlorid, Natriumdi(thiosulfato)argentat(I)“. Es ist ihm gelungen, seinen Professor mit seinem Wissen über die fotografischen Vorgänge beim Entwickeln in Erstaunen zu versetzen. Danach bin ich bei ihm eingezogen, in das Zimmer von Rosi. Es war ein Altbau mit hohen Decken. Ich hatte Rosi den Propan/Butan Heizer abgekauft und zum Spaß ausgerechnet, wieviel Liter Kondenswasser denn so täglich die Tapete runterläuft. Im Bad hatten wir einen hoch oben aufgehängten Spülkasten mit einem schmucken Porzellan-Griff zum Auslösen des Wasserfalls. Ich hatte eine Karikatur an die Wand „genadelt“: Jemand zog am Griff und das ganze Klo stürzte in die Tiefe. Wir haben uns sehr wohl gefühlt in dieser Wohnung, mischten Reis und Erbsen und freuten uns an dem Namen Risi-Bisi.

Ulis Welt hat mich magnetisch angezogen und war mir ein willkommener Kontrast zu den Ammoniumchlorid-Nebeln im Labor und den vielen Vorlesungen. Wir haben viel erlebt und waren mittendrin. Unser Viertel entwickelte sich gerade zum Quartier Latin von Köln. Zeltinger trat im Peppermint auf und die Bläck Fööss in der Kneipe gegenüber dem Schraubengeschäft, dessen einmaligen Charakter Bettina Gruber mit einem Bildband würdigte. Mich würde interessieren, ob das mehrere Quadratmeter große Bild in der Mensa noch hängt. Ulrich Tillmann hatte es als Kursleiter zusammen mit seiner Foto-Gruppe aus vielen Einzelfotos von Gesichtspartien zu einem Portrait eines Mannes mit vielen interessanten Falten zusammengesetzt. Durch Uli konnte ich eine Woche in Chalon-sur-Saône, der Geburtsstadt der Fotografie, verbringen, bei einem Seminar der Arbeitsgemeinschaft der europäischen Berufsfotografen EUROPHOT. Kollegen von ihm gaben sich der Tabletop-Fotografie hin oder verdienten sich einen 911er mit an den David Hamilton Film „Bilitis“ angelehnten femininen Weichzeichner-Fotos. Uli dagegen ging seinen Weg als Künstler und fuhr wie ich weiter Käfer. Ich habe ihn bewundert und ich mag die schelmische Ironie in seinem Werk, die sich schon damals abzeichnete.

Eine Spezialität im fotografischen Werk Ulrich Tillmanns ist es, berühmte Fotos von berühmten Fotografen wie etwa von Man Ray, Edward Steichen oder August Sander nachzustellen.
Eine Spezialität im fotografischen Werk Ulrich Tillmanns ist es, berühmte Fotos von berühmten Fotografen wie etwa von Man Ray, Edward Steichen oder August Sander nachzustellen.

Von Anfang an waren Bettina Gruber und Maria Vedder enge Vertraute und Weggefährten. Zusammen gründeten sie die „Gallery without a Gallerist“, und was mit dem „Au Backe Verlag“ begann, kulminierte in der 1980 von Ulrich Tillmann erfundenen Kunst- figur des „Kunst-Professors Klaus Peter Schnüttger-Webs“. 1986 richteten die drei in der Kölner SIMULTANHALLE – Raum für zeitgenössische Kunst das „Schnüttger-Webs-Museum“ mit eigenen Fotografien ein. Das Gebäude war von der Stadt Köln vor Baubeginn des Museum Ludwig er- richtet worden, um die Sheddächer zu erproben. Das Museum mit „Werken und Archivalien des Professors“ eröffnete am 6. September 1986 seine Pforten, am selben Tag wie der Neubau des Museum Ludwig. Einen Tag später wurde das „Schnüttger-Webs-Museum“ „wegen der enormen Folgekosten“ wieder geschlossen. Das Video einer vorab aufgezeichneten Eröffnungsfeier ist noch oder wieder als vermeintliche Live-Übertragung der Eröffnung zugänglich. Das Auftreten von real existierenden Kölner Persönlichkeiten mit bedeutungsvoller Miene lassen den Spuk glaubhaft wirken. Professor Elmar Buck und der Mister Photokina (Vater von Bettina) Fritz Gruber sind voll des Lobes:

ZUM VIDEO

Und somit kommen wir zum Schauspieler Ulrich Tillmann, der schon in den Siebzigern eine enge Verbindung zur Studiobühne im Dunstkreis von Dirk Bach und Hella von Sinnen pflegte und Seminare für Theater- Film- und Fernsehwissenschaft (bei Prof. Buck) belegte. An der Seite der „ersten Vorsitzenden des Fördervereins“ Bettina Gruber und der „Kuratorin“ Maria Vedder mimt er überzeugend den „Museums-Direktor“. Nett, dass das Museum Ludwig der Parodie auf sich selbst bis Ende März einen eigenen Ausstellungsraum widmete und Tillmann, den ehemaligen Mitarbeiter zugleich als das „Gedächtnis des Museums Ludwig“ würdigt. Von 1986 bis 2000 war er Kurator für fotografische Techniken und Geräte am Agfa Foto-His- torama im Museum Ludwig. Von 2000 bis 2016 war er wissenschaftlicher Dokumentar am Museum. Eigentlich war seine Ausstellung als Abschied in die Rente gedacht … Mein Mitgefühl gilt seiner Ehefrau Prof. Barbara Potthast, seiner Tochter Dulana und allen, die an dem langen Trauerzug auf dem Kölner Südfriedhof teilnehmen konnten oder auch nicht.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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