Die Maigesellschaft Broich 1934 e.V. eröffnet den Reigen der Maifeste jeweils mit ihrem „Tanz in den Mai“, dieses Jahr mit der holländischen Coverband Heartbeat. Im Anschluss an ihr eigenes Fest haben die jungen Broicher Mai-Paare dann ein strammes Programm: Fast jeden Freitag und Samstag im Mai seien sie dann in anderen Dörfern unterwegs, erklärt der amtierende Maikönig Henning Schall mit Königin Anna Lehner an seiner Seite. Der Brauch ist sehr lebendig in dem 1100 Einwohner zählenden Dorf, wo er von Generation zu Generation weitergegeben wird: „Das Vereinswesen ist an Familien gebunden“, erklärt Arnold Jumpertz, der 1970 mit seiner jetzigen Frau Anneliese erstmals eine auswärtige Maikönigin an seiner Seite hatte und damit die feste Traditionen der Gesellschaft ein wenig gelockert hatte.
Jumpertz scheint immer zu einem Späßchen aufgelegt. Doch wenn drei Generationen von Maiköniginnen und Maikönigen aus zwei „Traditionsfamilien“ an einem Tisch sitzen, wird es nicht nur lustig, sondern auch ein wenig ernst: Schnell wird in den angeregten Gesprächen der beiden Familien klar, wie bedeutsam das Maifest für die Broicher Jugend nach wie vor ist. Wie sich Freundschaften darüber finden, wie sie gemeinsam das Fest organisieren und natürlich auch feiern, und wie sie sich mit anderen Maigesellschaften in den umliegenden Orten vernetzen.
Hubert Leipertz und Elisabeth Franken sitzen stellvertretend für die „Erste Generation“ der Königspaare mit am Tisch. Sie erinnern sich an „ihr“ Königsjahr 1956. Am 1. Mai sind sie 67 Jahre zusammen und seit 1962 verheiratet. Sie hätten damals nur 100 Meter auseinander gewohnt, erklärt der mittlerweile 88 Jahre „alte König“. Er habe irgendwann bereits vor der Maisaison ein Auge auf Elisabeth geworfen. Als er sie später dann im Kleid gesehen hatte, „da war ich hin und weg“, sagt Hubert schelmisch. Sie antwortet pragmatischer: „Es hatte sich so ergeben.“ Und weiß noch: „Ich habe damals 36 Mark gekostet“, spricht die einstige Königin über den zentralen Aspekt des Brauchtums: die Versteigerung der unverheirateten jungen Mädchen.
Für Zugezogene mutet dieser Brauch vielleicht etwas unzeitgemäß an: Junge Mädchen, meist ab 16 Jahren, werden an Junggesellen des Ortes „versteigert“. Der junge Mann – ebenfalls ab einem Alter von 16 – bastelt seiner Auserkorenen dann ein Gesteck, den sogenannten „Mai“, den die Gruppe der Maigesellen nachts an ihrer Häuserwand anbringt. An jedem so geschmückten Haus wird der Mai kräftig besungen. Das geschieht in diesem Jahr genau 19 Mal, erklärt Präsident Mark Leipertz, Enkel des ehemaligen Königspaares Hubert und Elisabeth. Das Kreppröschendrehen geschehe gemeinsam in den Familien, die sich dafür zusammensetzen. „Ende Februar wird angefangen“, erklärt Anneliese Jumpertz diesen sehr geselligen Teil.
„Am 30. April wird der Baum aufgestellt, anschließend in den Mai getanzt und dann nachts die Maigestecke aufgehangen. Am ersten Mai ist dann der Umzug mit dem anschließenden Königswalzer“, erklärt Jonas Tholen, Sohn von Arnold und Anneliese Jumpertz und ebenfalls ehemaliger König, den zeitlich straffen Ablauf des Festes. Beim Umzug gingen – anders als in manch anderen Orten – alle Maipaare mit. Besonders stolz sind die Broicher auf ihre stark ausgeprägte Walzer-Tradition, die mehrfach geübt werde. „Die amtierenden Königin und König tanzen sich durch alle Maipaare durch, also 19 Mal.“ Das ist einzigartig, erklärt Mark Leipertz. König Schaller trainiert mit den Paaren vorher intensiv, denn er hat früher selbst an Tanzturnieren teilgenommen. Und Jumpertz freut sich, dass beim Maiumzug nun auch wieder Pferde dabei sind. Wie das geklappt habe? Eine Netzwerk-Tour nach Mützenich, so verrät er schmunzelnd.
Traditionen sind im Wandel. Das gilt nicht nur für das Öffnen für Partner aus anderen Orten. Das „Alt-Königspaar“ Leipertz hört sich vom Enkel und seiner Königin interessiert an, wie es heute so zugeht: Geändert hat sich zum Beispiel dass der strenge Ablauf am Tage des Maifestes viel stärker in der Gruppe geschieht. Damals habe auch noch jeder alleine seinen Mai aufgehangen. Auch ein Besuch der Maifeste in den umliegenden Dörfern habe es nicht gegeben, so Elisabeht Leipertz. Die Mädchen seien heute viel stärker eingebunden: „Wir organisieren uns in den Maifrauen und haben auch ein eigenes T-Shirt“, erklärt die amtierende Königin Anna Lehner. Eine eigene Bollerwagen-Tour haben sie auch schon gemacht. Mitgliederwerbung funktioniert heute so: „Wir laden alle Jungen und Mädchen, die 16 sind, aktiv zur Weihnachtsfeier ein“, erklärt Tholen. So viele Feiern über den Mai hinaus, auch das habe es damals nicht gegeben, erinnert sich Leipertz.
Bei den Begriffen rund um den Maibrauch gilt es auf Feinheiten zu achten. Besonders markant ist der Unterschied zwischen Mai-Club und Maigesellschaft, wie sie in Broich heißt: Bei den Clubs seien die Ehemaligen, also mittlerweile verheirateten Erwachsenen, in der Maigesellschaft noch stärker eingebunden, erklärt Heinz Leipertz, Sohn des „alten Königspaares – ebenfalls ehemaliger Maikönig und mehrfach Präsident. „Die Alten sind hier bei uns nur geduldetes Publikum“, erklärt er den Unterschied. Aber dennoch könnten auch sie nur schwer davon lassen: „Das Blut ist grün weiß wie die Maiglöckchen.“ Sinnhaft sei jedoch, dass die Jugend wirklich selbst organisiere und Verantwortung übernehme. Das bereite auch auf das spätere Leben vor, weiß der heute in der Wirtschaft erfolgreiche ehemalige Maigeselle.
Das Maifest ist ein lokales Phänomen, das unterschiedlich verbreitet ist, aber dennoch in jedem Ort ein wenig anders zelebriert wird. „Alle zwölf aktiven Vereine in Altkreis Jülich sind aktuell sehr belebt und erfolgreich“, schreibt der Jülicher Historiker Guido von Büren in einem Buch aus dem Jahr 2018 über die Maibräuche. Der Brauch wird darin im Altkreis Jülich auf das 19. und 20. Jahrhundert datiert. Ursprung des Geschehens war der Gedanke, dass die Jugend im gleichen Ort heiraten sollte. Ackerland für den Ort zu erhalten und die Partnerwahl „im Einklang mit dem dörflichen Moralcodex“ zu halten, hatte für die allerersten Junggesellenverbünde laut Volkskundler Alois Döring eine Rolle gespielt. So steht es in dem Buch über den Brauch. Heute gehe es um Identität und Wir-Gefühl. Unterbrochen vom Krieg, fand 1946 bereits wieder ein Maifest in Broich statt – trotz Trümmer, vieler Verluste und Entbehrungen bot das Maifest offenbar ein Stück Glanz, ein „Heile-Welt-Gefühl“. Damals habe man beim Maibaum-Aufstellen noch auf die englische Patrouille achtgeben müssen, heißt es in der Festschrift der Broicher Maigesellschaft zum 60. Jubiläum. Heute ist alles einfacher und auch der Kern einfacher erklärt: „Es trifft sich die Jugend. Freundschaften die sich da bilden halten ein Leben lang“, weiß Heinz Leipertz, der klug vermittelnd die mittlere Generation am Tisch repräsentierte und sich heute noch für den Maibrauch stark macht.