Die Aufregung der letzten Tage liegt hinter ihr: Claudia Flucht, Grundschullehrerin am Standort Welldorf der Nordschule Jülich, kann entspannen, denn sie wird zum neuen Schuljahr hin „versetzt“ – und zwar in ein neues Amt. Eigentlich ist das nicht ganz die richtige Formulierung, doch zeigt diese Parallele, dass sich nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer noch Prüfungssituationen stellen müssen, wenn sie in ihrer Laufbahn weiterkommen möchten: Flucht hat eine so genannte Revision durchlaufen und sich damit für das Amt der Konrektorin qualifiziert. Ab August bildet sie gemeinsam mit Rektor Heinz Rombach das Schulleitungsteam der Nordschule. Kommissarisch hat die dynamische und sympathische Lehrerin diese Position bereits seit letztem August inne.
Flucht wirkt tatkräftig und nahbar. Hatte sie ernsthaft Zweifel, für das Amt geeignet zu sein? Rombach habe sie schon lange in der Position gesehen, erzählt sie. Erst eine entsprechende Fortbildung habe ihr gezeigt, dass sie das auch könne. Nun gehören auch Finanzmittel, Lehrerfortbildungen und Vertretungspläne zur Aufgabe der engagierten Lehrerin, die ihren Beruf liebe. Besonders gerne überschreite sie mit ihren Schülern auch mal Grenzen und versetze Berge, um den so genannten „Schritt nach draußen“ zu wagen, beispielsweise im Rahmen eines Schülerwettbewerbs. Das scheint von Erfolg gekrönt: Ihre letzte Klasse habe ihr geschrieben: „Danke, dass wir so oft in der Presse waren“, sagt sie schmunzelnd.
Der Gedanke an ihre letzte Klasse stimmt sie ein wenig wehmütig: Als Konrektorin bekomme sie nun aufgrund der neuen Aufgabenfülle keine eigene Klasse mehr zugeteilt, sondern mache stattdessen nur noch Fachunterricht. Ihre Schwerpunktfächer seien Kunst und Mathematik. Was für viele in der Erinnerung an die eigene Schulzeit eher ein Bauchweh-Fach war und höchstens durch den „Grafen Zahl“ aus der Sesamstraße eine gewisse Sympathie bekam – ist für sie eine echte Berufung: „Ich war immer gut in Mathe und ich versuche auch Kinder dazu zu bringen, dass Mathe Spaß machen kann und sich Knobeln lohnt“, sagt Flucht von sich. „Ich leite Kinder gerne an kreativ zu sein“, sagt sie und hatte das unter Beweis gestellt, als sie mit ihren Schülern am Corona-Quilt mitgewirkt hat – ein Mitmachprojekt des Museums Zitadelle, bei dem sich „ihre“ 20 Schüler mit bunten Filzquadraten verewigt haben.
Apropos Corona: Wie entspannt ist denn jetzt der Umgang mit diesem zurückliegenden Thema? „Jetzt genießen alle den Alltag. Es ist weit weg“, aber die jetzigen dritten Klassen hätten Home-Schooling in dieser sensiblen Phase gehabt, so Flucht. „Sozial sind die Kinder an unserem Standort gut rausgekommen“, findet sie. Ein wenig sei das auch der ländlichen Umgebung geschuldet, wo die Kinder raus gehen könnten, weiß die engagierte Wahl-Welldorferin, die dort bereits seit 2000 lebt und eigentlich in Herzogenrath aufgewachsen ist. „Wir haben uns hierhin verwurzelt“, sagt sie und fühle sich an ihrem Wohnort sehr wohl. Ist es kein Problem, dass sie da gleichzeitig lebt und als Lehrerin tätig ist? „Die Leute respektieren, dass ich mal Freizeit habe. Ich sehe es als Vorteil“, kommentiert sie eine für viele andere Lehrer eher problematisches Konstellation. Doch Flucht fühle sich durch das Arbeiten am Heimatort besonders verbunden mit der Schule. Das zeigt sie auch in ihrem Freizeit-Engagement, denn sie ist außerdem im Vorstand des Fördervereins der Grundschule in Welldorf. Engagement und Können sprechen sich allerdings auch schnell rum in einem Dorf. Und so kam es, dass Flucht bei der KG Schnapskännchen Güsten 1936 e.V. eine weitere Leidenschaft ausleben kann: Sie wurde dort schnell als Öffentlichkeitsarbeiterin „unter Vertrag“ genommen – und gehörte damit direkt zum Vorstand des Karnevalsvereins. Wie passt das bunte Karnevalstreiben zu ihren Herzogenrather Wurzeln und ihrem Gemüt? „Ich feiere total gerne Karneval und liebe Kölsche Musik“, sagt Flucht, die bei einschlägigen Konzerten auch mal im KuBa anzutreffen ist. Es hat sich für sie in ihrer Wahlheimat Welldorf also alles gut gefügt.
Gibt es auch Themen, mit denen sie hadert? Bei diesem Punkt meldet sich wieder die Lehrerin in ihr: „25 Schüler in einer Klasse seien eigentlich zu viel“, kritisiert sie die generell großen Klassen in Nordrhein-Westfalen. Auch der Fachkräftemangel schlage sich nieder: Die stattdessen eingesetzten Studenten seien engagiert und machten das wirklich gut. „Aber das kann es nicht sein“, kritisiert die Lehrerin die Schulpolitik.
Doch jetzt geht es erstmal auf die Sommerferien zu, Zeugniskonferenzen stehen an. Wie groß ist da die Angst mancher Schüler, nicht versetzt zu werden? „Dieses Nicht-Versetzen gibt es in der Grundschule nicht leichtfertig“, erklärt Flucht. Es sei kein großes Thema. Die so genannte Eingangsphase, in der die Schüler nicht „sitzen bleiben können“, wie es im Volksmund heißt, erleichtere vieles. Erst ab der dritten Klasse könne ein Schüler überhaupt sitzen bleiben. Innerhalb dieser Eingangsphase könne ein Wiederholen auch eine Erleichterung sein. Ein größeres schulisches Thema sei dagegen der spürbar höhere Bedarf an Integrationshelfern. Es käme jetzt an ihrer Schule das achte Kind hinzu, das sich von einer solchen Unterstützungskraft im schulischen Alltag begleiten lassen müsse. Da gehe es ganz oft auch einfach darum, dass Kinder sich schlecht selbst organisieren können. Auch Lerndefizite wie Leserechtschreibschwäche (LRS), Aufmerksamkeitsdefizite und Dyskalkulie hätten unter den Schülern insgesamt zugenommen. Doch neue Technologien böten da Unterstützung: So könne die Lehrkraft jetzt Texte auf den Computer einsprechen oder eine spezielle Anwendung (App) erfasse optisch den Texte und lese sie den Schülern mit LRS dann vor. Der Fortschritt – er macht auch vor dem Lehrerberuf nicht halt. Der Beruf des Lehrers habe sich verändert, besonders schnell durch Corona, so Flucht. Eltern brächten Lehrern jetzt aber auch zunehmend Wertschätzung entgegen. Sie hätten mit den Kindern im Home-Schooling die „Riesenanforderungen“ an diesen Beruf erlebt.
Und wie entspannt sich die Lehrerin und verheiratete Mutter zweier erwachsener Söhne davon? „Wir lieben die Sophienhöhe“, sagt sie. Die Frau, die gerne Berge versetzt, besteigt also auch gerne welche. Und wenn die Zeit es erlaubt, dann singe sie außerdem im offenen Chor in Overbach.