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Bling, Bling

„Bling, bling!“, hüpft das Münzgeld in die dafür vorgesehene Schale. „Stimmt so“, sagt der Kunde, der sich auch schon auf den Weg aus dem kleinen Ladengeschäft macht. „Wir dürfen kein Trinkgeld nehmen!“, ruft sie ihm noch nach, doch so schnell wie er verschwunden ist, kann sie nicht das Geld zusammenklauben und ihm nachlaufen. Links und rechts, auf Straße oder Gehweg ist er nicht mehr zu sehen.

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Grafik: Daniel Grasmeier
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Nachdenklich geht sie zurück zum Verkaufstresen. Wie geht man nun mit dem Geld um? Die Verkäuferin leert ihre Hände vor sich aus. Viel ist es nicht, was über den Kaufpreis hinaus vor ihr liegt. Sie nimmt eine der Kupfermünzen in die Hand und betrachtet sie genauer. Damals im Chemieunterricht, erinnert sie sich, gab es einmal ein Experiment, in dem solche Münzen golden eingefärbt wurden. „Ach, wenn es doch nur so einfach wäre“, seufzt sie. Dann könnte man aus dem bisschen Bling Bling wenigstens wertvolles Bling Bling machen. Schweigend beginnt sie, den Preis der soeben verkauften Zeitschrift in die Kasse zu sortieren. Die überzähligen Münzen bleiben daneben liegen.

Still ist es dabei, denn dass jemand in dem kleinen Laden vorbeikommt und etwas kauft, ist doch eher eine Seltenheit, gerade wenn es jemand Unbekanntes ist – was auch den Reiz des letzten Kunden und der Münzen vor ihr ausmacht. Der Supermarkt ist schließlich bequemer, und was gibt es hier schon, was es dort nicht auch gibt? Das Licht der Deckenlampe lässt die Münzen glänzen. „Sie sehen wirklich noch recht neu aus“, denkt sie sich, hebt wieder eine hoch und lässt das Licht sich in ihr fangen. „Sie funkeln fast schon.“ Der Begriff ‚Bling Bling‘ scheint ihr hier nicht nur in Bezug auf das Geräusch zu passen. Ihr kommt ein Gedanke. Vielleicht sind diese Münzen ja der Anfang für den richtigen Durchbruch?

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Allein bringen sie diese paar Cent zwar nicht weiter, aber vielleicht sind sie ein Symbol. Oder gut angelegt bringen sie schließlich den Ertrag ein, der den Laden rettet. Vielleicht käme eines Tages sogar so viel zusammen, dass sie dem billigen Schmuck in ihrer Schatulle echten hinzufügen kann. Besonders glitzernder und auffällig goldener Schmuck würde es wohl nicht werden. Ihr ist schon ein Rätsel, wieso dicke goldene Ketten und mit Diamanten besetzte nahezu blinkende Uhren plötzlich zu einer Art Erkennungszeichen der besser verdienenden Unterprivilegiertheit avanciert sind, wobei sie doch genau das Gegenteil implizieren. Etwas Unauffälligeres, Elegantes könnte es sein. Vielleicht mit einem kleinen Stein für den passenden Bling-Faktor. So träumt sie, doch sie schüttelt gleich den Kopf. Nein, so weit würde sie es sicherlich nicht bringen können. Schließlich sind ein paar Dutzend Cent immer noch bloß ein paar Dutzend Cent.

Grafik: Daniel Grasmeier

Dann kommt ihr eine neue Idee. Sie könnte eine Art Statement abgeben. Ein Gegenstück zu den Menschen mit golden geschmückten Häusern, die unter anderem auf Social Media-Plattformen zu finden sind. Schließlich glänzt virtueller Ruhm für die Betroffenen und ihre Anhänger wenigstens so sehr wie die golden verzierte Badewanne, in die sie am Ende des Tages ihr Schaumbad einlassen. Stattdessen könnte sie ja die paar Cents veröffentlichen. Wer den Cent nicht ehrt, ist des Euros nicht wert, könnte man sagen. Vielleicht wäre auch genau das ein viraler Hit. Und mal etwas anderes als das Posten von Goldbarren. Wobei – mittlerweile ist in dieser Form das Bling Bling auch gar nicht mehr so leuchtend. Heute ist es mehr grünlich. Oder gelb, lila ja nun offenbar nicht mehr. Wenn es überhaupt eine Farbe hat – bargeldlose Bezahlmethoden sind ja unweigerlich auf dem Vormarsch. Erst letztes Jahr hatte die Summe der digitalen Transaktionen die physische überholt. Einsen und Nullen statt glitzerndem Metall. Vielleicht würde ja irgendwann in Zukunft Trend, statt Geldscheinen seine Kreditkarte zu fotografieren und ins Netz zu stellen. Die Schlagzeilen über jene, die so auch Daten und Geheimnummer teilen lassen sich heute schon erahnen. Da können die paar roten und wenigen, immerhin, goldenen Münzen sicherlich nicht mithalten. Sie sind nicht bunt oder interessant genug. Das macht wesentlich weniger her beim schnellen Durchscrollen. Da wird auch ein bunterer Hintergrund nichts, zumal er vermutlich nicht zum Statement passen würde.

Statements. Wer braucht eigentlich heute Statements? Die halten doch höchstens für den einen Tag Viralität, das moderne Äquivalent zu den 15 Minuten Ruhm, ehe sie wieder unbeachtet wie ein neues Kinderspielzeug drei Wochen nach Heiligabend in der Ecke verschwinden, und niemand mehr an sie denkt. Gut für das Selbstwertgefühl auch jener, die sagen können: „So ist es!“ und „Endlich sagt es mal jemand!“ Aber nachdem man sein Gewissen genug aufpoliert hat, folgen dem selten Taten. Die Leute sind wie geblitzdingst. – Bling, Bling, schon ist der Gedanke wieder verschwunden.

Genau so macht auch ihr Handy „Bling, bling!“ So, wie sie den Ton ihres Weckers eingestellt hat. Sie blickt auf die Uhrzeit und stellt fest, dass es Zeit ist, das Geschäft zu schließen. Es soll ihr recht sein, das viele Nachdenken hat sie nämlich sehr missmutig werden lassen. Als sie schließlich ihre letzte Kontrollrunde durch den Laden dreht, sieht sie die Münzen auf dem Tresen liegen. Nun assoziiert sie mit ihnen schlechte Gedanken. „Warum bringen Geld und Ruhm eigentlich auch so viel Negatives mit sich?“, fragt sie sich im Stillen. Nach einer kurzen Sekunde des Abwägens steckt sie die Münzen schließlich aber in ihre Jackentasche. Im Lokal nützen sie nämlich auch niemandem, und zu Hause kann sie immer noch entscheiden, was mit ihnen passiert.

Die Tür wird abgeschlossen und der altbekannte Weg zur Wohnung angetreten. Wie immer setzt sie ihre Kopfhörer auf und denkt über die Route nicht mehr besonders nach. Die Füße bewegen sich schließlich schon so gut wie automatisch.

Als sie gerade um eine Ecke biegen will, fällt ihr auf, was ihr vorher nie aufgefallen ist. Ein alter Mann sitzt an die Hauswand gedrängt, ein Becher neben ihm. Hat sie ihn nie wahrgenommen, oder ist er erst seit kurzem hier? Diese Frage beschäftigt sie, seit er in ihrem Blickfeld aufgetaucht ist. Auf seiner Höhe bleibt sie kurz stehen. Noch einmal fährt sie mit den Fingern durch die von ihr gerade noch so verdammten Münzen in ihrer Tasche, ehe sie diese ergreift und in den Becher wirft. Als gerade das Lied umspringt, schaut sie ihm gerade heraus ins Gesicht. Er blickt zurück. Seine Augen machen bling bling und alles ist vergessen…


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