Start featured Hochspannungsfeld

Hochspannungsfeld

Mit Spannung erwartet wurde in Jülich vor 65 Jahren die Inbetriebnahme der Anlage des Kurzwellensenders Jülich, wie er im Heimatkalender 1957 des Kreises Düren bezeichnet wird. Weithin sichtbares Zeichen waren die Sendemaste, deren Erwähnung noch heute bei vielen Alt-Eingesessenen nostalgische Gefühle wecken.

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Die Sendetürme der Deutschen Welle bei Nacht. Foto: Paul Wirtz
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Die Grundsteinlegung erfolgte auf der Merscher Höhe bereits am 2. Juli 1955 – also vor 66 Jahren, ein vom Rheinländer geschätztes närrisches Jubiläum. Der Blick auf die gemeinhin als „Deutsche Welle“ bekannte Anlage auf der Merscher Höhe ist einmal historisch von Interesse, aber auch aktuell ein Spannungsfeld. Nachdem bereits im September 2010 der Gelsenkirchener Geschäftsmann Herbert Bollmann mit einer Investorengruppe das Areal „Merscher Höhe“ mit den Sendemasten erworben, die Masten abgebrochen und als 1200 Tonnen Stahl zu Geld gemacht hatte, waren zwischen Bäumen verborgen noch die Gebäude der Sendeanlage stehengeblieben. Das Gelände gehört heute der Brainergy Park GmbH.

Diese hat in der Juni-Aufsichtsratssitzung entschieden, die Parzelle „Alte Sendeanlage“ an ein Konsortium zu verkaufen, das dort einen Wasserstoff-Elektrolyseur als Kernzelle eines großen Solarparks bauen soll. Um Platz zu schaffen, würden die noch vorhandenen Gebäude der alten Sendeanlage einschließlich des sogenannten „Glashauses“ abgerissen. Die rundfunkhistorischen Objekte sollen jedoch konserviert und künftig in einem repräsentativen Pavillon zu sehen sein, der an prominenter Stelle im künftigen „Brainergy Village“ entstehen soll. So ist es der Pressemitteilung des Unternehmens zu entnehmen. Die Initiativgruppe Rundfunksendestelle im Jülicher Geschichtsverein hat dagegen erwartungsgemäß Einwände, äußerte in einem offenen Brief ihre Enttäuschung und Erwartung, dass „von den Entscheidungsträgern eine feste Vereinbarung, in der definitiv das Ziel einer der lokalen, der regionalen und der (welt)politisch-historischen Bedeutung angemessenen musealen Präsentation der Rundfunksendestelle im Rahmen der Brainergy-Park-Konzeption festgeschrieben wird“.

Foto: Paul Wirtz
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Die „Deutsche Welle“ sorgte schon immer für Emotionen. In der heutigen Zeit des Internets, der Smartphones und privatisierten Medienlandschaft mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, Kontakte und Informationen aus aller Welt zu (er)halten, ist es kaum vorstellbar, was diese Sendeanlage 1957 für die Menschen bedeutete – nicht nur für die Jülicher. 1934 wurde von Zeesen bei Künigswusterhausen nach Übersee gesendet. Mit Kriegsende 1945 kam das Aus: „Für unsere deutschen Landsleute im Ausland war die Brücke zur Heimat abgebrochen.“ So steht es im Heimatkalender 1957. 1953 wurde die Verbindung wieder aufgenommen – für drei Stunden täglich. „Die Freude unserer Landsleute in den einzelnen Erdteilen war groß“, steht weiter zu lesen. Aber schnell stellte die „Deutsche Welle“ fest, dass ein stärkerer Sender hermusste. Die Entscheidung für den Standort Jülich fiel.

Beschreibung aus der Gründerzeit
Auf dem 20 Hektar großen Gelände auf der Merscher Höhe startete die Anlage mit 21 Antennentürmen, die bis zu 90 Meter hoch waren. Im Laufe der Zeit sollten 15 weitere Türme errichtet werden. Für die Antennenanlage wurden 65 Kilometer Stahlkupfer- und 20 Kilometer Stahlseile verbraucht, 45 bis 50 Kilometer Stromversorgungs- und Steuerungskabel verlegt. „Zwischen den Türmen“, so die zeitgenössische Beschreibung, „hängen wie Vorhänge die Antennen. Je 7 Türme stehen in einer Reihe hintereinander und gehören zu einer Antennenwand. Die drei Wände wiederum sind sternförmig angeordnet, sodaß eine genau gerichtete Strahlung nach Fernost, Nahost, Afrika, Nordamerika und Südamerika möglich ist.“

Der Sendesaal 1964. Foto: Paul Wirtz

Wie ein Aussichtsturm sehe das Antennenschalthaus aus: Im zentralen Überwachungsraum dokumentiert der Heimatkalender 1957 eine „verwirrende Fülle“ von Messinstrumenten, Signallampen, Drehknöpfen und Handrädern. An den Wänden Verstärker, Überwachungsgeräte und das Antennenschaltfeld. Von dort aus konnten in zehn Sekunden jede der Antennen auf jeden Sender ferngeschaltet werden. 62 Motoren und über zehn Relais wurden dafür benötigt. 1957 waren zwei 100 kW-Sender in Betrieb, in einem dritten Hallenabschnitt war ein 20 kW-Sender eingebaut – die Ausbaustufe sah neun Sender vor. Die Rheinischen Licht- und Kraftwerke in Jülich versorgten über ein eigens verlegtes Hochspannungskabel von einer 35.000 Volt-Station die Anlage mit Strom. „Diese Sendeanlage kann als eine der modernsten Stationen Europas bezeichnet werden“, lautete das Fazit 1957.

Sendeschluss und neue Nutzung
Nach einer ersten Probesendung am 20. März 1956 ging die „Deutsche Welle“ am 1. April dauerhaft auf Sendung. Für 40 Jahre. 1996 wurde der Standort aufgegeben. Zehn Jahre lang nutzten 50 verschiedene internationale Rundfunkanbieter die Sendeanlage, um ihre Programme über Satellit zur Station und anschließend über die Kurzwelle in alle Welt zu senden. 2006 erwarb der britische Multimillionär Robert Edmiston das Areal. Grund für den Verkauf, schreibt der ehemalige Stationsleiter Günter Hirte, war die gesunkene Auslastung der anderen Kurzwellensendestellen der Telekom in Wertachtal, südlich von Augsburg, und Nauen in der Nähe von Berlin. „Die Aussendungen von Jülich wurden kurzerhand dorthin verlegt.“

Turm für Turm wurde ab 2010 zu Fall gebracht. Foto (Ausschnitt) Paul Wirtz

Edmiston ist der Gründer des Missionswerks Christian Vision (CVC). CVC setzte die Anlage für analoge und DRM-Ausstrahlungen in verschiedenen Sprachen für Hörer in Europa, Afrika, dem Mittleren Osten, Russland und Westasien ein. Nur ein Jahr, nachdem die Telekom-Tochter T-Systems 2008 die Anlage an CVC übergeben hatte, war endgültig Sendeschluss. Das Areal wurde „monetarisiert“, die Technik inklusive der Antennen verschrottet.

2015 war das Gelände noch für 1000 Kriegs-Flüchtlinge vor allem aus Syrien als Erstaufnahmeeinrichtung ertüchtigt worden. Schon 2013 waren sich die Bürgermeister von Jülich, Titz und Niederzier aber einig geworden, dass an dieser Stelle ein neuartiges, interkommunales Gewerbegebiet entstehen soll. Die Umsetzung hat begonnen. Derzeit werden die Details für die Erschließung des Geländes geplant, auf dem der Elektrolyseur gebaut werden soll. Brainergy-Geschäftsführer Frank Drewes sieht zahlreiche Vorteile für die weitere Entwicklung des Gewerbeparks der Energiewende. 1957 hieß es im Heimatkalender, wäre auf der Merscher Höhe Strom verbraucht worden, der der Hälfte des Verbrauchs der Stadt Jülich betragen hätte. Jetzt soll hier Strom erzeugt werden aus Wasserstoff und Solar. Ein neues Spannungsfeld.

Ein Blick auf den aktuellen Zustand der Räume gewährt Fotograf Fabio D’Orsaneo

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Dorothée Schenk
HERZOGin mit Leib und Seele. Mein HERZ schlägt Muttkrat, Redakteurin gelernt bei der Westdeutschen Zeitung in Neuss, Krefeld, Mönchengladbach und Magistra Atrium der Kunstgeschichte mit Abschluss in Würzburg. Versehen mit sauerländer Dickkopf und rheinischem Frohsinn.

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1 KOMMENTAR

  1. Die Sendeanlage fehlt mir! Wenn man in den Abendstunden nach Hause fuhr, konnte man schon aus großer Entfernung das „rote Leuchtfeuer“ sehen und man wusste „Gleich bin ich Zuhause!“

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