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Appetitlich

…habe ich schon mal im Osten unserer Republik gehört als erstaunten Ausdruck für eine nicht sofort lösbare Situation: Me, nü? – Und was jetzt? …kommt natürlich der Artikel zum Herzog-Thema des Monats.

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Illustration: Zara Schmittgall
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Zwei assoziative Dinge treffen sich da in meinem Hirn, die unterschiedlicher nicht sein könnten: der kulinarische Begriff – und der, den ich auf meinem PC, meinem Telefon, meiner Heizung – gottseidank noch nicht auf meinem Toaster – jedenfalls auf allem, was als intelligente Technologie bezeichnet wird und über ein Display verfügt, unvermeidbar ansteuern muss. Menü oder Menue oder Menju (IT / AiTi-entsprechend englisch ausgesprochen) – da soll, darf, muss ich mir dann unter einigen Begriffen das aussuchen, was ich gerne hätte, in der Hoffnung, dass ich dort lande, wo ich hinmöchte. Ich stoße zum Beispiel auf: „In neuem Prozess öffnen“ – oijoi, stehe ich hier etwa vor Gericht? Aber, klar, sogar die Speisekarte des kleinsten Dorfgasthofes bietet unter Menue nicht nur ein Gericht an… Spaß wie technikbezogenen Frust beiseite – Sie haben es bereits lesend bemerkt: Was unsere sich jedes Jahr als bereits wieder veraltet darstellende Technologie betrifft, bin ich ein DAU, ein Dümmster Anzunehmender User. Hmm, tja, so isses. Doch in dieser meiner zu einem (Bruch-)Teil selbstverschuldeten – und gewählten – Dummheit frage ich mich immer wieder: Sind wir das nicht alle? Juser (Benutzer) von Dingen, die wir weder verstehen, noch in diesem Ausmaß wirklich brauchen. Rolladen-App, Licht-App, Radio-App – do krisch isch ne Aap… Mache ich alles selbst – hoch / runter / an / aus. Das ist natürlicherweise mit etwas Bewegung verbunden, deren Effekte ich mir aber nicht an meinem Handgelenk rumtippend stolz oder mit schlechtem Gewissen und durchaus zweifelhafter Digitalangabe anzeigen lassen muss. Unser Verstand bräuchte mal statt ihm vieles abnehmender und noch mehr suggerierender Technik ein Update. Seit ein paar tausend Jahren hat sich da nicht viel getan, während die „technology“ immer weiter fortschreitet, auch weiter fort von uns, ihren Usern… Und unseren echten, lebensnotwendigen Bedürfnissen. Der Corona-Lockdown hat einiges offensichtlich gemacht, beispielsweise wie wichtig tatsächliche nahe soziale Kontakte sind, nicht per Likes vorgegaukelte „Freunde“. Trotzdem und deswegen lechzen so viele nach dieser „Normalität“ – um sich ohne Abstandsregeln wieder ihre Displays gegenseitig unter die Nase halten zu können, Belanglosigkeiten und bestenfalls „lustige“ Videos austauschend.

So ziemlich jedes Kind ab einem gewissen Alter kann sein Smartphone zügig bedienen, wie mir aus verlässlicher Quelle versichert wurde, bereits in Vorschuljahren. Äääh? Noch bevor es sich selbstständig ein einigermaßen gesundes Frühstück zubereiten kann, könnte es sich eines beim Breakfasthero bestellen? Faszinierend, erstaunlich und seltsam absurd. Irgendwie stimmt da für mich nicht die Reihenfolge sinnvoller Entwicklungsschritte. Doch derartiges haben „die Alten“ ja immer angeführt – ohne immer falsch zu liegen…

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Soo, gaaanz laangsam versuche ich zumindest verbal, die oben genannten gegensätzlichen Begriffe von Menue zu verbinden – das Schlüsselwort könnte sein: bedienen. Das Menue des Computers müssen wir bedienen, bestellen wir im Restaurant eines – werden wir bedient. Letzteres glauben viele, wenn nicht alle Alexa-Benutzer auch – nämlich, dass sie bedient werden. Und sind dabei selbst in erster Linie ein Daten-Lieferando. Und bekommen per ihrem Profil entsprechendem Algorithmus nicht unbedingt, was sie wollen, sondern was dieser für sie ausgesucht hat… Ja, auch ich lasse mich schon mal auf die Empfehlung der Restaurant-Bedienung ein, doch die kennt Speisekarte und Küche, nicht mich. Und auch als bekanntem Stammgast wird mir der Rest des Angebots nicht automatisch vorenthalten. Was als „typgerechte“ Auswahl erscheint, stellt sich bei genauerer Betrachtung als Bevormundung heraus: Was wir Dir nicht automatisch anbieten, hat Dich nicht zu interessieren. Wir wissen besser als Du selbst, was Du willst und somit zu wollen hast… Und wenn Du nicht auf „zustimmen“ klickst, gibt‘s eben nix. So einfach ist das. Und so bequem. Alles jederzeit erhältlich. Aber eben nicht bedingungs- und folgenlos. Vom zunehmenden Lieferverkehr in Zeiten des Klimawandels mal ganz abgesehen. Und wie anfällig dieses System ist, hat ja Corona auch aufgezeigt: Bricht nur ein Teil der Kette weg (ich schreibe nur mal: nach China outgesourcte Halbleitertechnologie), dann… Hat man zum Beispiel eine neue, tolle Waschmaschine, jedoch ohne Menue und Funktion, da der nötige Chip leider momentan nicht erhältlich ist. Und man hängt in der Warteschleife, die man allerdings bereits vom Kundendienst kennt…

Na, was soll‘s, davon geht die Welt nicht unter, ist bestimmt erst mal noch genug ungetragene Wäsche vorhanden. Der Touchscreen des Kleiderschrankes zeigt unter Menuepunkt „Unterhosen“ immerhin noch 12, leider nicht nach Marken gelistet… Muss ich mir die von Orang Utani eben selbst raussuchen.

Tja, lieber mir bis hierhin gefolgt habender Leser, nun kommt die wirklich bittere Wahrheit – und wie meist zum Schluss: Das ganze Leben ist ein Menue… Nix mit à la carte und wie hätten Sie‘s denn gern. Sobald Sie das Restaurant ihrer Existenz betreten haben (bei manchen ist es nicht mal eine Imbissbude) und die Vorspeise (mit etwas Glück wars Muttermilch) geschluckt haben, folgt der Rest unausweichlich. Während Sie noch hoffnungsvoll glauben, zumindest eine gewisse Wahl zu haben, haben die Chefköche Genetik und Sozialisation mit Hilfe des Zufalls ihr und Ihr Süppchen bereits gekocht. Serviert wird entsprechend aus der Goldschüssel oder im Pappbecher, was sich im Laufe der Lebenszeit durchaus umkehren kann, aber im Wesentlichen nichts am Geschmack ändert. Lieber genüsslich und zufrieden vom Blechlöffel schlürfen, als mit dem Edelstahlbesteck rumstochern und die teuer bezahlten 5 Sterne suchen. Und am besten nicht auf die angeblich süße Nachspeise warten – mit der ist es nämlich endgültig gegessen. Und die Frage Me, nü? abschließend für immer beantwortet.


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