Vereinsleben kann etwas wunderbar Bereicherndes sein – da sind sich viele Menschen einig. Man kennt sich, klönt und trinkt zusammen ein Bierchen, während man Gemeinsamkeiten im Verein pflegt. Doch wer baut den Pavillon fürs gemeinsame Grillen zusammen? Wer räumt hinterher auf? Und vor allem: Wer ist bereit, für die nächste Vorstandsperiode zu kandidieren und damit Verantwortung – und vor allem Arbeit – zu übernehmen? Fragen, die fast jeder Verein kennt und die für einige immer existenzieller werden. Gerade jetzt, wo das Gemeinschaftsleben nach der Coronapause von zwei Jahren wieder losgeht, ist es Zeit für eine Bilanz. Und da zeichnet sich ein eher düsteres Bild für die Zukunft ab.
Die gute Nachricht vorweg: „Es gibt aktuell kein dramatisches Vereinssterben bei uns“, versichert Achim Maris, Mitarbeiter im Amt für Kinder, Jugend, Schule und Sport. Auch die Zahlen des letzten Jahres im Vereinsregister des Amtsgerichtes Düren, die allerdings für den gesamten Kreis gelten, zeigen keinen auffälligen Trend nach unten, was Löschungen der Vereine betrifft. Doch Grund zum Jubeln sieht Maris trotzdem nicht: „Fragen sie die Vereine mal, wo sie sich in fünf Jahren sehen. Da bekommen sie ein anderes Bild.“
Die Sessionseröffnungen der Karnevalsgesellschaften sind absolviert, der Spaß ist wieder in unserer Mitte angekommen. Doch nicht für alle ist es ein schönes Erwachen. Der eine oder andere Verein hat sich aufgelöst oder steht kurz davor: In Kirchberg gibt es schon seit längerem keinen Karnevals- und in Bourheim demnächst auch keinen Fußballverein mehr. Hinzu kommt das Aus für den Tischtennis in Stetternich und einen Taekwondo Verein in Jülich. Was ist da passiert? Beim näheren Hinschauen zeigt sich: Corona war in keinem der hier genannten Beispiele der Grund. Die Antwort ist: Es fehlt an Nachwuchskräften und Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Da sind sich alle befragten Vereine einig. Und das begann schon lange vor Corona.
Für die heutige Jugend seien Vereinsstrukturen nicht mehr akzeptabel, vermutet Herbert Johnen, Vereinsgründungsmitglied und über Jahrzehnte im Vorstand und Präsident bei der Karnevalsgesellschaft Blau Weiß Kirchberg e.V. Auch er zeichnet ein düsteres Bild: „Mit den Vereinen wird es nicht besser“, ist er sich sicher. Die KG Blau Weiß Kirchberg gibt es schon seit 2018 nicht mehr, und deren glanzvolle Zeit ist verblasst. Doch die Pokale der drei Jugendgarden stehen noch in der Alten Schule als Beweis für die prunkvollen Jahre seit der Gründung.
Johnen erzählt begeistert von den Anfängen, damals 1987, als der Ort noch einen Kneipenbetrieb hatte. Keiner habe gedacht, dass es mit der Gründung des Karnevalsvereins etwas Ernstes würde, doch dann sei das rumgegangen wie ein Lauffeuer im Ort, und die Gremien seien schnell besetzt gewesen. Auch eine Tanzgarde mit drei Abteilungen konnte aufgebaut werden. Die drei Karnevalswagen wurden auch an andere Vereine vermietet und trugen so zur Finanzierung bei – goldene Zeiten im Nachhinein und heute unvorstellbar. Denn dann, 2012 / 2013, sei es rapide bergab gegangen: „Alle wollten feiern, aber keiner mitarbeiten“, erinnert sich Johnen. Insgesamt sei es jedoch ein schleichender Prozess gewesen, bis dann 2018 das endgültige Aus gekommen sei, so der Vereinsmensch und ehemalige Ortsvorsteher von Kirchberg. Als zentrale Ursache sieht er auch die andere Freizeitorientierung der Jugend: „Die Kinder sitzen zu Hause am PC.“ Dies sei ein wesentlicher Aspekt für den Mitgliederschwund. Allerdings seien die Gründe insgesamt vielfältig: In Kirchberg kam die Schließung der Bürgerhalle hinzu, um die sich die Stadt nicht ausreichend gekümmert habe, findet er. Auch die Kneipe, wo sich damals alle trafen, gibt es nicht mehr.
Im Fußball kommt oft noch etwas anderes hinzu: „Sie bekommen keine Menschen mehr zusammen ohne finanzielle Anreize. Wenn man einen Geldgeber hat, dann hat man auch eine Mannschaft“, weiß Olaf Becker, der seit seinem 18 Lebensjahr Trainer bei FC Alemannia Bourheim 1913 war. In der nächsten Hauptversammlung wird auch dieser Verein offiziell aufgelöst. Becker hatte die Jugend zunächst noch halten können und nochmal einen Sponsor gefunden. 2013 habe man noch hundertjähriges Bestehen feiern können. Doch dann habe der Sponsor aufgehört und damit war der finanzielle Anreiz weg. Die Jugend stieg am Ende in andere Vereine ein, die auch was zahlen konnten. Und in einem kleinen Dorf wie Bourheim komme dann auch nichts mehr nach, bilanziert er. „In jedem Verein gibt es zwei oder drei Bekloppte, die die Arbeit machen und sich die Kritik der anderen anhören müssen“, weiß Becker. Und die sterben eben aus. Dietmar Müller, Ortsvorsteher von Bourheim, ist sich sicher: „Das Thema betreffe sehr viele Dörfer, die kleinen noch viel mehr als die größeren.“
Kurt Schüller vom Tischtennisverein TTF Stetternich berichtet vom Ende „seines“ Vereins im April 2021. Natürlich suchten sich die guten Leute im Sport die Vereine, wo sie am besten gefördert würden, versteht er gerade die Ambitionen der Jugend, sportlich vom Heimatort wegzugehen. Aber es habe eben auch keine Ehrenamtler gegeben, die den Nachwuchs am Ort generiert hätten. Er habe hunderte Stetternicher Kinder dort gehabt. Am Ende sei der Verein gescheitert „mangels Masse“. Der „demografische Faktor“ käme auch noch hinzu und Schüller meint damit die Tatsache, dass die Menschen in den Dörfern immer älter werden.
Maris kennt noch ein paar weitere Gründe für das Vereinssterben: Die behördlichen Auflagen für Großveranstaltungen nähmen zu. „‚Et hät noch immer joot jejange’: Das gibt es so nicht mehr.“ Dies sei eine Folge auch der Love-Parade in Duisburg, die für viele Menschen tödlich geendet war. Und das Feiern werde insgesamt aus verschiedenen Gründen teurer. Aber insbesondere der Umstand, dass alle gerne feiern, aber nichts dafür tun möchten, sieht er als allgemeines Phänomen. Hinzu komme, dass Vereinsvorständen gerne das Negative vorgehalten werde und zu wenig Wertschätzung ihrer ehrenamtlichen Arbeit gezeigt werde, weiß er aus eigener Vorstandsarbeit.
Es sind konkret die Vereine im Dorf und weniger die in der Stadt, die vom Aussterben bedroht sind. Diesem Thema hat sich auch eine Studie des Forschungs- und Beratungsteams von ZiviZ gewidmet. Die Studie dieses „Think Tanks“ wertete die Zahlen über einen längeren Zeitraum aus und kommt zu dem Ergebnis: „15.547 Vereine in ländlichen Regionen haben sich im vergangenen Jahrzehnt aufgelöst.“ Fast jeder vierte Verein (22 %) verzeichne Rückgänge der Engagiertenzahlen – und zwar schon zwischen 2006 und 2016. Das sind nicht nur nackte bundesweite Zahlen. Der Trend kommt jetzt auch faktisch vor unserer Haustüre in Jülich an. Auch hier müssen sich Vereine der Zukunftsfrage stellen und neue Konzepte entwickeln, jüngere Menschen zu binden. Sonst geht in immer mehr Hallen und Vereinsräumen endgültig das Licht aus – mit Folgen für den dörflichen Zusammenhalt: Vereine seien unverzichtbar für die Dörfer als Motoren für den Zusammenhalt und müssten deshalb unbedingt erhalten werden, bilanziert die Studie von ZiviZ.
Die düstere Prognose gilt natürlich nicht für alle Vereine gleichermaßen. Deren Spektrum reicht von sportlicher Betätigung über Kunst und Kultur, Kreativität bis hin zur Organisation von Umwelt- und sozialen Themen. Manche Themen liegen heute mehr im Trend als andere. Das gilt auch für manche Sportarten. Dass es auch Vereine gibt, die mit gezielter Jugendarbeit auch Mitgliederzuwachs verzeichnen konnten, zeigt beispielhaft der Tennisverein TC Rot Weiß Jülich, wo es mittlerweile sogar eng werde bei den Hallenplätzen für die Jugend, prognostizierte der Vorsitzende Frank Büllersbach bereits im Sommer. Und auch Ralf Esser, Gründer des Korean Martial Arts Taekyon e.V. in Koslar, freut sich über enorme Nachfrage und gibt den Tip: „Man muss halt dran bleiben.“ Er gehört ganz offenbar zu den Menschen, die Herzblut und Zeit in „seinen“ Verein stecken. Grundsätzlich sieht aber auch er die ehrenamtliche Besetzung der Trainerposten als „kritischen Faktor“.
Claudia Noppen, die bei der Stadt Jülich die Vereinsliste im Internet pflegt, wünscht sich, dass Vereine sich zumindest in die städtische Liste eintragen oder die Daten aktualisieren, um auch gefunden zu werden. Doch das kann nur ein kleiner erster Schritt sein, damit es nicht bald für viele Vereine heißt: „Der Letzte macht das Licht aus!“