„Karpfen an Heiligabend ist Heiligabend“, sagt Claudia Kutsch, unsere herzögliche Kollegin, und klingt dabei so überzeugend, dass sich jede weitere Nachfrage erübrigt, ob sie an Weihnachten auch mal etwas anderes probiert habe. Ihre Mutter bereite den Karpfen jedes Jahr zu, und zwar im Rahmen einer speziellen fünf-Gänge-Menü Abfolge, alle Jahre wieder. Dann sitzen sie alle zusammen und schlemmen. Im Menü der Familie komme der Karpfen gleich in zwei Varianten vor: Einmal paniert, in der Pfanne gebraten, mit Kartoffeln und einer raffinierten Mischung aus mildem Sauerkraut sowie Erbsen und Pilzen. Und dann noch als Nachgang: der Karpfen in Aspik. Irgendwann wird auch Claudia anfangen, für ihre eigene Familie diese Weihnachtstradition zu kochen. Aber noch genieße sie es, dass die Mama das macht. Alles das macht Weihnachten für Claudia Kutsch aus – für sie ein Fest der Traditionen. Aber die Sache mit dem Karpfen sei mehr als das: Der Karpfen habe schon einen „einzigartigen Geschmack“, findet sie.
Das mit dem einzigartigen Geschmack bestätigt auch Seefischhändler Hans Vonderbank, der aber weiß, dass der Karpfen als Weihnachtsgericht aber eine eher aussterbende Tradition sei. „Karpfen können nur Leute machen, die sich wirklich damit auskennen“ findet der Fischhändler, der auch in Jülich regelmäßig auf dem Markt steht. Die Zubereitung, sei durchaus kompliziert. Denn der Karpfen habe eigenartige Gräten. Menschen aus Osteuropa, die könnten das noch, weiß der Mann aus der Lebensmittelindustrie, der dafür plädiert, Speisen noch mit Liebe und Mühe selber herzustellen und nicht den „fertigen Kram“ zu kaufen. Bei ihm gibt es übrigens keinen Karpfen zu Weihnachten. Was es gibt, bleibt sein Geheimnis. Er weiß aus früheren Zeiten, dass er vor 25 Jahren noch im LKW in Blutlachen gestanden habe, weil so viel Karpfen transportiert worden und der Karpfen ein echter Umsatzbringer gewesen sei. Doch sowohl beim Angebot als auch bei der Nachfrage gebe es Mangel – vieles sei eben nicht mehr wie früher. Karpfen müsse man daher rechtzeitig vorbestellen. Die Karpfen-Kunden hätten im Übrigen fast ausschließlich osteuropäische Herkunft
Damals habe man die Karpfen auch noch tagelang lebend in der Badewanne gewässert, bevor man sie verzehrt habe, weiß der Angler Tom Sander vom Angelsportverein Jülich 1923 e.V. Dies dürfe man nun nicht mehr, aus Tierschutzgründen. Genießbar seien diese so genannten Friedfische, die sich in Bodennähe aufhielten, und daher schlammig schmeckten, aus heimischen Gewässern jetzt nicht mehr. Für Angler hat der Karpfen allerdings noch eine große Bedeutung: Eine ganze Industrie produziere eigens Ausrüstung fürs Karpfen-Angeln weiß Sander, der seit seinem sechsten Lebensjahr schon angelt – damals mit dem Vater zusammen. Dazu gehören auch die Karpfen Köder, Eiweißkugeln, die Boilies genannt werden. Gerade sitzt er vor seinem Zelt am Pellini-Weiher in Kirchberg, aber die Fische beißen nicht recht. Da ist viel Zeit zum Erzählen und Bücher lesen. Wenn doch ein Fisch anbeißen sollte, wird es elektronisch piepsen. Und zwar an den speziell auf Karpfen ausgerichteten Angeln mit gespannten Schnüren. Doch es bleibt gerade alles ruhig. Es herrscht also Karpfen-Mangel auch an der Angel.
„Dass die Karpfen nicht mehr schmecken, liegt daran, dass die fressen, was hier so drin ist in den Seen: Schnecken, Muscheln, alles was so am schlammigen Grund ist. Und eben Boilies“, weiß Sander. Genießbare Karpfen seien dagegen nicht schwerer als 2 Kilogramm und kämen nicht aus heimischen Gewässern. Was Sander hier aber empfiehlt: Zander! Der habe ein festes, grätenarmes Fleisch. Aber auch Forelle, Hecht und Barsch aus hiesigen Gewässern seien schmackhaft.
Die Zeit der Mythen, die sich um den Weihnachtskarpfen drehten, so romantisch sie klingen, sind vorbei. Heute glaubt wohl niemand mehr daran, dass das Aufbewahren einer Karpfenschuppe Geld und Wohlstand bringe. Der Verzehr des Weihnachtskarpfens ist also reine Genuss-Sache. Traditionen sind toll, und wer die Zubereitung beherrscht, tut gut daran, an ihnen festzuhalten. Für alle anderen gilt: Vielleicht ist es Zeit, mal etwas Neues auszuprobieren, wenn es Weihnachten Fisch geben soll. Die Autorin dieses Artikels hat die Tatsache genutzt, dass kein Karpfen mehr zu bekommen war auf dem Markt, ein eigenes Rezept zu kreieren, abgeleitet aus dem vorhandenen Rezepte-Repertoire für den „Zander“. So viel sei verraten: Es hat hervorragend geschmeckt!
Rezept „Zander mediterran“
- Backofen auf 200 Grad Ober- und Unterhitze vorheizen.
- Zwei Zanderfilets (oder einen ganzen Zander, eingeschnitten) mit kaltem Wasser abspülen und trocken tupfen.
- Von beiden Seiten mit Meersalz würzen.
- Basilikum waschen.
- Ins Innere des Fisches oder zwischen die Filets, (evtl. selbstgemachte) rote Pesto und reichlich Basilikum füllen.
- Bei einem „Doppeldecker“, (so wie ich es gemacht habe), oben drauf nochmal rote Pesto verteilen.
- Das Backblech auf die mittlere Schiene in den Backofen geben und den Zander garen.
- Nach 15 Minuten die Backofen-Temperatur auf 175 Grad verringern und den Zander ca. weitere 20 Minuten garen.