Ein Friedhof weckt Erinnerungen! An geliebte Menschen, Eltern, Kinder, Freunde, Erinnerungen auch an vergangenes Zeitgeschehen und an Leute, die dieses Geschehen mitgestaltet haben, an Kriege, in denen Menschen gelitten haben und gestorben sind. Der Besucher liest Namen auf alten und neuen Gedenksteinen und denkt vielleicht an gemeinsame Freuden und an Schicksalsschläge. An manchen Stellen greift ein Friedhof tief hinein in die Geschichte und die sich wandelnde Kultur eines Ortes, einer Stadt.
Schon im Jahre 1909 hatte die Stadt Jülich nach und nach Gelände zwischen der Merscher Landstraße (später B1, heute Neusser/Str. L241) und dem Patterner Weg (heute Haubourdinstraße) angekauft, auf dem ab 1920 der heutige Friedhof entstehen sollte. Hier war genug Platz – auch für Erweiterungen. Jetzt, nach hundert Jahren und zweimaliger Vergrößerung, reicht der Friedhof bis zum Von Schöfer-Ring, den es damals noch nicht gab.
Ein neuer Friedhof war nötig, weil der alte kommunale, katholische auf dem Parkplatz gegenüber dem Schwanenteich an der heutigen Bahnhofstraße viel zu klein geworden war. Er war am 01.12.1784 eingeweiht worden, nachdem Karl Theodor, der letzte Herzog von Jülich-Berg mit Datum vom 04. Mai 1784, den wohl mehr als tausend Jahre alten katholischen Friedhof an der Pfarrkirche St. Mariae Himmelfahrt in Jülich „wegen der aus den Toden Gräbern aufsteigenden Ausdünstungen, und daher auf das menschliche Leben, und Gesundheit entstehenden schädlichen Folgen“ vor die Festungsmauern hatte verlegen lassen.
Mindestens „6 Fuß“ – rund 1,80 bis 2,00 m – tief mussten die Gräber sein. Das Archiv der Stadt Jülich bewahrt den herzoglichen Befehl wie auch ein Friedhofsbuch auf, in dem wohl alle dort auch heute noch Ruhenden verzeichnet sind. In den »Rur-Blumen Heimatwochenschrift zum Jülicher Kreisblatt« vom 02.11.1935, vom 31.10.1936 und vom 10.07.1937 finden sich umfangreiche redaktionelle Artikel zu den Jülicher Friedhöfen, die auch wegen ihres Bildmaterials heute Quellenwert besitzen. Im Jahre 1922 wurde der alte Friedhof stillgelegt. Die letzte Beerdigung erfolgte am 16.07.1929, und nach vierzig Jahren hätte der Friedhof den gesetzlichen Bestimmungen zufolge im Jahre 1962 aufgehoben werden dürfen. Solange aber sollte es nicht dauern. Da nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs „eine Wiederherstellung des früheren Zustandes […] aussichtslos war“, wurden Schließung und Aufhebung des Friedhofs schon 1951 beschlossen, genehmigt und durchgeführt. So steht es im »Verwaltungsbericht der Stadt Jülich 1945-1955«. Auf dem heutigen Parkplatz brannten an Allerheiligen und Allerseelen noch viele Jahre lang zahlreiche rote Lämpchen, hingestellt von Angehörigen in liebender Erinnerung an hier begrabene Verwandte und Freunde.
Drei Eingänge hat der große kommunale Friedhof für alle Konfessionen und Religionen heute, an denen man vieles ablesen kann zum Wandel der Gesellschaft und ihrer Friedhofskultur in den vergangene einhundert Jahren. Der erste, südlich Eingang, der im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, war 1922 der Haupteingang. Er liegt gleich an der Straße, ohne PKW-Parkplätze. Die Gesellschaft war noch nicht mobilisiert. Der zweite gegenüber dem Ginsterweg erhielt in den 1970er Jahren einige Parkplätze. An ihm steht die Trauerhalle. Mit den dahinterliegenden Gräberfeldern entstand hier die erste Friedhofserweiterung in den 1970er und zu Beginn der 1980 Jahre.
Eine Leichenhalle hatte der Friedhof bis dahin nicht. Die Toten wurden entweder von zuhause oder von einer Aufbahrungshalle im Krankenhaus an der Neusserstraße aus beerdigt. Sie lag da, wo sich heute die Einfahrt für Rettungsfahrzeuge befindet. Hinter dem dritten Eingang schließlich befinden sich große Felder mit anonymen Bestattungen, die mit Rasen bedeckt, eine persönliche Erinnerung kaum noch möglich machen. Es gibt nur eine kleine Erinnerungs-Ecke an einer Seite dieses Gräberfeldes, die auf die unbekannten Toten hinweist. Während der erste Teil des Friedhofs gerade, rechteckig aufeinanderstoßende Wege mit überwiegend Körpergräbern und auch noch altem Baumbestand aufweist, gibt es im zweiten und im dritten Friedhofsteil vielgestaltige Wege und zunehmend mehr Urnengräber, vor allem seit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) auch Katholiken die Feuerbestattung in Urnen erlaubt ist.
Auf dem Jülicher Friedhof gibt es noch keinen Bereich, auf dem die Asche nur verstreut wird. Aber es gibt nur mit einem kleinen, flachen Stein gekennzeichnete Rasenreihengräber. Sie werden gegen Entgelt während der Ruhefrist von der Stadt Jülich gepflegt. Grabpflege war und ist eng verbunden mit Erinnerungskultur. Die Namen der Verstorbenen stehen auf einem einfachen oder kunstvollen Grabstein, nicht selten geschmückt mit christlichen Symbolen, einer Madonna, einem Engel oder einem Kreuz, dem christlichen Zeichen der Auferstehung. Da moderne Menschen sehr mobil in der Wahl ihrer Wohn- und Arbeitsplätze sein müssen, fehlt ihnen nicht selten die Möglichkeit der Grabpflege ihrer nächsten Verwandten. Da sind Rasenreihengräber eine gute Möglichkeit, die Bestatteten nicht einfach dem völligen Vergessen zu überlassen.
Von Anfang an hatte die Stadt Jülich vor, den neuen Friedhof „in Anbetracht des ideellen und kulturellen Wertes einer Friedhofsanlage“ nach einem „künstlerisch einwandfreien Plan“ erstellen zu lassen. „Die neue Begräbnisstätte sollte einen feierlichen Ernst und eine erhabene Ruhe zum Ausdruck bringen und dabei den freundlichen Charakter keineswegs vermissen lassen.“ So beauftragte man den Düsseldorfer Gartenarchitekten Josef Buerbaum mit der Erstellung eines Planes, der sich heute im Jülicher Stadtarchiv befindet. Die Realisierung dieses als Elipse ausgebildeten Plans mit vielen Elementen des Jugendstils und ebenso vielen nicht geraden Wegen und einer umfangreichen Bepflanzung aber wäre zu teuer geworden. Er wurde also von den Mitarbeitern der Stadt Jülich grundsätzlich abgeändert und mit geraden Wegen versehen. Es blieb bis heute die große Freifläche in der Mitte des ersten Friedhofsabschnitts.
Am 3. März 1922 genehmigte die Stadtverordnetenversammlung den neuen Plan, in dem die Grabfelder in vier Rechtecken angelegt waren, die durch zwei breite sich kreuzförmig schneidende Achsen entstanden waren. Eine Kapelle mit Leichenhalle sollte an der Spitze einer der Wegeachsen entstehen und als Schmuck war an ein Hochkreuz im Zentrum des Friedhofs gedacht. Zum Bau der Kapelle kam es nie, und das Hochkreuz wurde im Zweiten Weltkrieg wie viele schöne Bäume und wertvolle Grabmäler zerstört. Ein besonderer Schmuck des Friedhofs war ein Engel, der alle Zeichen hochmoderner, avantgardistische Kunst trug.
Die erste Beerdigung auf diesem Friedhof fand am 19.07.1922 statt. Begraben wurde ein siebzehnjähriger junger Mann mit Namen Theodor Brehm. Das Stadtarchiv bewahrt einen großen Plan im Maßstab 1:1 seines Grabkreuzes, auf dessen unteren Teil die Stadt Jülich in Großbuchstaben festhalten ließ: Dem ersten auf diesem Friedhofe bestatteten Mitbürg[e]r die Stadtgemeinde Jülich. Nach freundlicher Auskunft des Friedhofsamtes der Stadt Jülich folgten diesem Ersten bis heute mindestens 13.500 Tote. Aber die Zahl wird viel zu klein sein, da sie nur die nennt, die im Computer erfasst sind und bisher erfasst werden konnten. In einhundert Jahren sind aber viele anders Erfasste irgendwie und irgendwo verlorengegangen. Jährlich kommen rund 240 bis 250 dazu. Da sind aber die Friedhöfe auf den Dörfern mitgezählt. 2.900 Grabstellen sind derzeit belegt. 1.488 wurden anonym bestattet und 897 in Rasenreihengräbern.
Am ersten, dem südlichsten Friedhofseingang kann man in einem Glaskasten einen schönen Plan des vom »Bürgerbeirat Historische Festungsstadt« herausgegebenen gesamten Friedhofs sehen mit nummerierten Gräberfeldern, mit Sonderbereichen und mit Hinweisen auf Verstorbene, die der Stadt in besonderer Weise gedient haben. Der Plan stammt aus dem Jahre 2020 und müsste mindestens alle fünf Jahre geändert werden. Denn die Erinnerung an Manchen und Manche schwindet, deren Stelle neue Tote einnehmen. Der Plan zeigt auch einige besondere Bestattungsfelder: Im nördlichen Friedhofsteil finden sich die Gräber des in den 1980er Jahren nach Jülich umgesiedelten und im Zuge des Braukohletagebaus abgebaggerten Ortes Lich-Steinstraß. Dort können auch heute noch Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils in Wahlgräbern beigesetzt werden. In der Nähe der Leichenhalle auf dem ersten Friedhofsteil an der Haubourdinstraße befindet sich die Ehrengrabanlage des »Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge« für die Franziskanerinnen aus Olpe, die von seit 1883-1957 in Jülich das Krankenhaus und von 1891-1971 das Mädchengymnasium betrieben. Dreizehn Ordensangehörige starben am 08.10.1944 bei einem Bombenangriff auf das in ihrer Schule untergebrachte Reserve-Lazarett.. Eine ähnliche Ehrengrabanlage des »Volksbundes« erinnert an Kriegsopfer aus Jülich, zumeist Zivilisten, die in den Kriegswirren im Herbst und Winter 1944/45 ihr Leben verloren. Besondere Gräberfelder gibt es auch für Muslime, die hier nach eigenem Ritus begraben werden können und für Totgeborene und menschliche Körperteile, die im Krankenhaus bei Operationen angefallen sind.
Ein letzter Hinweis sei dem Engel gewidmet, der 1936 auf dem Friedhof aufgestellt wurde, ein Engel, der nicht von jedem als solcher erkannt wurde. Geschaffen hatte ihm Jupp Rübsam (1886-1976) aus Düsseldorf, ein moderner Künstler seiner Zeit, dem die Wikipedia im Internet viel Raum widmet. Engel, und besonders die auf Friedhöfen, waren bis dahin edlen Menschen nachgebildet und hatten als Zeichen ihrer Geistigkeit Flügel. In Jülich wurde eine Figur aufgestellt, deren Arme, Hände und Flügel glatt am Körper anlagen und deren Gesicht unirdisch gewirkt haben muss, eher einem toten als einem geistigen Wesen ähnlich, jemandem, der den Ersten Weltkrieg in all seiner Grausamkeit erlitten hat. Stadtbaumeister war in Jülich seit 1920 Carl Andereya (1890-1973). Ihm lag daran, aus Jülich eine moderne Stadt mit Zeichen moderner Kunst zu machen. Es ist anzunehmen, dass er die Verbindung zu Rübsam hergestellt hatte, der sich freiwillig in den Krieg gemeldet hatte und dessen Werke im öffentlichen Raum weit bekannt waren. Den Nationalsozialisten gefiel dieser Künstler nicht. Acht seiner Werke wurden als »entartete Kunst« aus deutschen Museen entfernt.
Rübsam und sein Engel, der den zweiten Krieg nicht überlebte, ist ein Beispiel dafür, wie ein Friedhof Zeugnis ablegen kann für den Wandel der Zeiten, der Menschen und der Geschichte.
Eine Übersicht
über die Friedhöfe in Jülich und die Stadtteile
Innenstadt
- Jüdischer Friedhof an der Aachener Straße. Letzte Beerdigung 1941; begründet 1864
- Evangelischer Friedhof an der Linnicher Straße; begründet 1422; geschlossen 1975, mit einem unter Denkmalschutz gestellten Tor der evangelischen Kirche von 1745, die 1910 erneuert wurde. Das Tor der Kirche kam damals an den Friedhof. Heute Reste des Friedhofs rund um das Verwaltungsgebäude des evangelischen Kirchenkreises Jülich auf dem Gelände des alten Friedhofs.
- Kommunalfriedhof für alle Konfessionen und Religionen an der Haubourdinstraße eröffnet 1922.
- Alter kommunaler katholischer Friedhof an der Bahnhofstraße, nicht mehr belegt seit 1929, aufgehoben 1951.
- Barmen-Merzenhausen: Reste des alten Friedhofs an der Kirche mit Kriegsgräberstätte und alter Begräbnisstätte der Patres aus Overbach. Neuer Friedof an der Kirchgracht mit Grablege de Patres aus Overbach , entstanden nach dem 2. Weltkrieg, erweitert 2010.
- Bourheim: Ursprünglicher Friedhof an der Kirche, neuer Friedhof etwas abgerückt.
- Broich: Ehrenmal an der Kirche, neuer Friedhof an der Merscher Grach,t errichtet nach 1945.
- Güsten ehemaliger Friedhof an der Kirche, ganz wenig Reste, neuer Friedhof am Serrester Kirchweg.
- Kirchberg: Alter Friedhof an der Kirche, neuer Friedhof am Lohberg mit Leichenhalle von 1972 und künstlerisch gestalteter Front; spätere Erweiterung ebendort, ebenda größerer Ehrenfriedhof.
- Koslar: Ein modern gestalteter Kreuzweg auf dem alten Friedhof an der Kirche und Steine in der Kirchhofsmauer. Altes Friedhofskreuz mit Hinweis auf die Schließung des Friedhofs 1905. Neuer Friedhof an der Friedhofstraße seit 1905 und nach dem 2. Weltkrief erweitert.
- Lich-Steinstraß: Gräberfeld auf dem Friedhof an der Haubourdinstraße seit 1988 mit den aus Alt-Lich-Steinstraß umgebetteten Toten
- Mersch-Pattern: Geringe Reste eines alten Friedhofs an der Kirche; neuer Friedhof am Schwarzen Weg
- Selgersdorf, Altenburg, Daubenrath: Geringe Reste des alten um 1920 geschlossenen Friedhofs an der alten 1922 abgebrochenen Kirche. Eröffnung des Neuen Friedhofs am Stephanusweg 1922. Der Friedhof war von der heutigen Altenburger -Straße aus über eine lange Linden-Allee, die auch längs durch den Fiedhof führte und bis heute mit Kriegs- und Sturmschäden erhalten ist
Stetternich Reste des alten Friedhofs an der Kirche, neuer Friedhof seit 1937 an der Wendelinusstraße - Welldorf Reste eines alten Friedhof an der Kirche, neuer Friedhof ebenda, erweitert am Kasparsweg
- Friedhof der Familie des Reichsgrafen von und zu Hoensbroich im Kellenberger Wald zwischen Kellenberg und Flossdorf. Letzte Beerdigung: Reichsgräfin Immaculata von Hoensbroich 2022.
- Friedhof der Familie Eichhorn hinter der Villa Buth in Kirchberg.
Stadtteile
Privatfriedhöfe