Wie ist das eigentlich, wenn man sein Leben auf Null setzen will und es plötzlich doch wieder Kopf steht? Das muss die Protagonistin dieses Spiels erfahren und sich in einer Kleinstadt zurechtfinden, in der vielleicht nicht alles ganz so ist, wie es der Schein vorgeben soll.
Die „Life is Strange“-Videospielserie besteht aus Spielen, die jeweils die Geschichte eines jungen Erwachsenen erzählen. Gemischt mit etwas Mystery, Übersinnlichkeit, „Ermittlungen“ und jeder Menge Atmosphäre sind sie emotionsgeladene Coming-of-Age-Storys, die eben (Fehl-)Entscheidungen und das Erwachsenwerden der Hauptfigur darstellen. Als eine Art „spielbarer Film“ müssen vor dem Bildschirm kleine und große Entscheidungen getroffen werden, die den weiteren Verlauf der Geschichte beeinflussen.
Im neuesten Ableger der Serie, betitelt „True Colors“, spielt man aus der Sicht von Alex Chen, einer jungen Erwachsenen, die sich im beschaulichen Haven Springs nahe der Rocky Mountains ein neues Leben aufbauen will. Wie schon in den Vorgängerspielen „Life is Strange“ und „Life is Strange 2“ gibt es eine „Superkraft“, die einen größeren Teil der Erzählung einnimmt. Im Fall von True Colors ist Alex in der Lage, die Emotionen anderer Menschen besonders stark wahrzunehmen, ihre Gedanken oder Probleme, die diesen zugrunde liegen, zu erfahren und, wenn diese Emotionen stark genug sind, sie selbst zu fühlen. Dabei werden die Emotionen durch farbige Auren dargestellt, so entspricht eine rote Aura der Emotion „Wut“. Im Gegensatz zu Zeitzurückspulen und Telekinese wirkt sie beinah realitätsnah. Positiv hervorzuheben ist, dass Fähigkeit und Geschichte diesmal gut verwoben sind und nicht erst mit Einsetzen des Spiels neu auftauchen.
Die Musik zur atmosphärischen Untermalung dieser Story ist, wie als einer der Hauptaspekte der Reihe erwartbar, erneut wunderbar gelungen. Die entschleunigenden Momente, in denen man beispielsweise am Dock sitzend erst Alex’ Gedanken und dann von cineastischen Umgebungsbildern untermalt der Musik zuhört, sind wohltuend und die Musik teilweise sogar so gut geloopt, dass das Ende des Tracks kaum zu hören ist, bevor er wieder in den Anfang übergeht. Auch die „Erinnerungen“ die man in den Kapiteln als mit besonderen Emotionen bestimmter Menschen gefütterte Gegenstände optional finden und sammeln kann, geben interessante weitere Einblicke in die Geschichte, die erzählt wird, und sind gerade auch beim zweiten Spielen interessant.
Sehr positiv sind die vielen Details des Spiels. Auch wenn man bis auf wenige Ausnahmen nur einen speziellen Abschnitt der Stadt erkunden kann, was fast schon ein Gegenentwurf gerade auch zum szenerienreichen „Life is Strange 2“ ist, ist dieser so liebevoll gestaltet, dass diese Eingeschränktheit kaum stört und er wirklich wie ein Teil einer Kleinstadt wirkt. Es gibt sogar Dialoge zwischen Einwohnern, die man anhören kann und deren Gespräche in späteren Kapiteln sogar eine Fortsetzung erfahren. Oder nicht storyrelevante Figuren, mit denen man dennoch interagieren kann. Auch die Anzahl der nicht die Geschichte beeinflussenden Nebentätigkeiten scheint sich erhöht zu haben oder sie werden harmonisch und direkter eingebunden. Wo im ersten Life is Strange-Teil beispielsweise noch eine Pflanze am Leben zu erhalten ist oder nicht, kann man in True Colors durch das Finden eines Vogels einen neuen Dialog freischalten. Das entschädigt auch für die etwas steifen Gehbewegungen der dazugehörigen Einwohnerin. Es sind viele Kleinigkeiten, die die Kleinstadt und Charaktere von True Colors lebendig und schlüssig wirken lassen.
Was aber vor allem an diesem Teil überzeugt, ist die Einbindung der Konsequenzen. Gerade zum Ende des Spiels wird auch sehr herausgestellt, welche Figuren sich aufgrund getroffener Entscheidungen in entsprechender Weise zu Alex verhalten, und wo es möglicherweise Alternativen geben könnte. Das macht Lust darauf, das Spiel erneut zu spielen und Variationen auszuprobieren.
Am Ende des Spiels lernt Alex folgende Lektion: Entscheidungen, die man getroffen hat, prägen. Die Konsequenz des vorgegebenen Weges anzunehmen oder einen alternativen Lebensweg zu wählen, obliegt dennoch einem selbst. Das Gefühl bleibt: Es gibt hier bis zum Schluss keine ganz klar „richtige“ oder „falsche“ Entscheidung, sondern nur solche, die das Leben beeinflussen. Es wird nicht besser oder schlechter, sondern einfach nur anders.
INFORMATION
Life is Strange: True Colors
Spiel: Deck Nine Games: Life is Strange: True Colors | Square Enix | je nach Konsole zw. 61,99 und 69,99 Euro