Herr Wolf, warum sind Sie jemand, dem man beim Thema „Demokratie und Rechtsradikalismus“ zuhören sollte?
Ich bin lediglich einer von vielen. Die Sache, die ich in meinem Buch beschreibe, ist ein Social-Media Phänomen, und wir, der Verein Mimikama, beobachten seit 2011 aktiv Social Media, um Falschmeldungen und Manipulationen, aber auch Social Media Kommunikationsstrategien zu erklären. Wir veröffentlichen am Tag zwischen 13 und 18 Artikel zu dem Thema, arbeiten mit Behörden zusammen und haben selbst im digitalen Krisenstab der österreichischen Bundesregierung gearbeitet, den es jetzt nicht mehr gibt. Ich bin Dozent an Fach- und Volkshochschulen und bilde oder berate viele Firmen und auch die Polizei. Und aus den Beobachtungen heraus ist natürlich auch das Buch entstanden. Letztendlich weil wir gemerkt haben, dass seit 2014 ein stark politisch manipulativer Wind auf Social Media weht.
Was macht Fake News so gefährlich, und wie kann man sie erkennen?
Wir müssen da ein wenig zwischen der Art der Falschmeldungen unterscheiden, die unterwegs sind. Natürlich gibt es einmal diese mehr oder weniger harmlosen Falschmeldungen, in denen jemand etwas falsch beobachtet oder falsch interpretiert und weitergibt. Die müssen keine politische Intention haben. Dann gibt es natürlich noch die Trollereien auf Social Media, die ein wichtiger Bestandteil der Internet Popkultur und dementsprechend eigentlich auch gar nicht schlimm sind. Das Problem ist nur, dass sie bewusst so gestaltet werden, dass andere Menschen sie für wahr halten und das nicht aufgeklärt wird. Das kann dann teilweise problematisch sein. Und dann gibt es natürlich die auch politisch manipulativen Falschmeldungen, die bewusst gestreut werden, um Menschen in ihrer eigenen Überzeugungsblase, der Confirmation Bias, gefangen zu halten, aber um sie auch zu radikalisieren. Das ist meine große Angst. Falschmeldungen können im eigenen Land gestreut werden, also durch Parteien, durch radikale Parteien. Sie können aber auch vom Ausland her gestreut werden, um demokratische Gesellschaften zu destabilisieren. Das sind die wirklich Gefährlichen, die auch letztendlich den Angriff auf die Demokratie darstellen.
Dem Thema „Framing“ haben Sie ein ganzes Kapitel gewidmet. Darunter versteht man das Verpacken eines Sachverhaltes in dem vom Verfasser gewünschten Bezugsrahmen. Warum ist das so ein großes Problem?
Immer wenn ich über irgendwas spreche, versuche ich natürlich, ein Bedeutungsrahmen aufzubauen. Das ist auch völlig normal und völlig in Ordnung. Die Grenze ist hier noch mal überschritten, wenn ein Framing nicht mehr faktenbasiert ist und manipulativ wirken soll. Das passiert auf Social Media regelmäßig. Ein Beispiel: Ich habe ein Vorgespräch zu einer Operation, und der Arzt sagt mir: „Vorsicht, wir haben ein 10-prozentiges Sterberisiko bei dieser Operation.“ Dann hat dieser Arzt einen Negativ-Frame aufgebaut. Wenn der Arzt jedoch sagt: „Ich habe ein 90-prozentiges Überlebensrisiko“, hat die Person einen Positiv-Frame aufgebaut. Ich achte auf das Überleben. Effektiv gesehen sagt beides dasselbe aus. In dem Moment, wo ich aber diese Faktenbasis, dieses 90 zu 10, verlasse und einfach nur versuche zu framen, ist es ein Problem.
Das gilt etwa für die Flüchtlingswelle, die Sie erwähnen.
Genau, das ist ja sogar ein anerkanntes Framing, das Medien übernommen haben. Flüchtlingswelle ist natürlich ein maximales Framing. 5G Strahlung ist ein Framing. 5G ist ein Protokoll und kann nicht strahlen. Da gibt‘s halt viel. Und in dem Moment, wo sie manipulativ wirken, wirken sie gefährlich, und ich muss schauen: Was will die andere Person damit erreichen? Ich muss es hinterfragen und wirklich darauf achten: Wie stark ist so ein Framing? Nehmen wir die Seite report24.news. Gleich die erste Schlagzeile heißt: „Vater klagt über das Impfschicksal des Sohnes.“ Da geht‘s schon los. Ja, das Impfschicksal. Das Schicksal ist immer etwas Trauriges, und ich habe etwas ganz Schlimmes im Kopf. Die nächste Schlagzeile ist: „Bundesverfassungsgericht, Zwangsgebühren für Staatsfunk steigen.“ Wir haben es ja mit der Beitragshöhe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu tun, aber wenn ich daraus eine Zwangsgebühr mache, dann frame ich. So funktioniert das und so arbeiten all diese alternativen Medien. Das ist manipulativ.
Sie sprechen von verschiedenen Eskalationsstufen und organisiertem Angriff auf unsere Demokratie. Wie viel Sorge haben Sie vor der Zukunft?
Meine Zuversicht war, wenn Corona im Sommer abklingt, dass dann auch diese Eskalationsstufen ruhiger werden, dass dann das Futter weg ist. Dann kam die Hochwasserkatastrophe. Wir haben genau gesehen, dass 1:1 dort angeknüpft wurde, wo die Corona Pandemie endete. Es waren tatsächlich Corona Leugner und auch Querdenker, die dann auf einmal in diesem Gebiet eingegriffen haben, die auch bewusst dazu aufgerufen haben, dorthin zu fahren. Dort wurden Parolen verbreitet wie „Der Staat lässt euch im Stich“ und „jetzt sind wir dafür da“. Es gab von einer Querdenkerin diese Woche ein Video, die weinend vor der Kamera stand. Sie hatte immer propagiert: „Wacht auf.“ Jetzt ist sie aufgewacht und hat gesagt: „Ich habe alles verloren: Meine Freunde, meinen Arbeitsplatz und mein ganzes Geld, weil ich in irgendwelche Leute investiert habe.“ Diese Frau steht vor dem Abgrund, und die Tränen nehme ich ihr ab. Jetzt kehren diese Menschen um. Wir haben das auch auf den Demos gesehen in Deutschland und auch hier in Wien. Es sind nur noch ein paar Hanseln, die da herumlaufen, und das finde ich auch ganz gut so.
Zum Thema Hass und Hetze beschreiben sie in ihrem Buch den „Verfall des moralischen Minimums“. Was ist das?
Das ist ein Begriff, der von Florian Aigner stammt. Finde ich wirklich großartig, den Begriff. Dass Menschen, mit denen man vielleicht alltäglich normal spricht, auf einmal auf Social Media dazu neigen, Unwahres von sich zu geben. Auch unreflektiert und vielleicht sogar bewusst, um den eigenen Standpunkt untermauern zu können. Also da sind wir wieder bei der Confirmation Bias, dass ich falsche Inhalte in Kauf nehme, nur um meinen eigenen Standpunkt damit untermauern zu können.
Was verstehen Sie unter Scheinmehrheiten, die Sie im Buch benennen?
Eine Medienberichterstattung möchte gerne ausgewogen Bericht erstatten. Das ist in erster Linie natürlich gut. Aber es gibt einen Konsens und es gibt eine Einzelmeinung, und sie berichten gleichwertig darüber. Das sieht dann so aus, als ob der erreichte Konsens das gleiche Gewicht hätte wie die Einzelmeinung. Dieses System finden wir natürlich auch radikalisiert vor. Das bedeutet, das Alternative Medien Netzwerk greift bewusst gezielt die Einzelmeinung auf. Und jetzt kommt das Framing wieder ins Spiel. Es wirft den Konsens aus dem Bedeutungsrahmen heraus und tut so, als wäre er minderwertig oder gar nicht existent, und dadurch wirkt die Einzelmeinung als omnipräsent. Dadurch haben wir ein verzerrtes Bild der Meinungslage. Durch stetiges Wiederholen von immer gleichen Akteuren und Fake Accounts, die da stetig dieselben Inhalte wiederholen, unterstützt durch störende Kräfte, die mehr oder weniger organisiert sind.
Sie schreiben, junge Frauen seien oft Opfer von Hass und Hetze. Woran liegt das?
Es baut auf dem Familienbild auf, das Rechtspopulisten und Rechtsextremisten propagieren: die Männer als Säulen der Gesellschaft und die Frauen, die beschützt werden müssen und in der Gesellschaft funktionieren. Da sind junge selbstständige Frauen ein Problem. Sie werden dann auf Social Media gezielt angegriffen. Es sind nicht unbedingt nur junge, es sind auch ältere Frauen, die sich demokratisch einsetzen. Sie werden gezielt angegriffen mit Aussagen wie „Ja, du solltest vielleicht mal vergewaltigt werden“ oder „Du wirst schon sehen, was für Probleme du damit bekommst mit deiner Aussage“. Sie sollen gezielt zum Schweigen gebracht werden, um eben nicht mehr am gesellschaftlichen Leben online teilzunehmen, und ihr politischer Willensbildungsprozess soll dadurch natürlich auch gebrochen werden.
Abschließend: Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Wir brauchen definitiv auf Social Media eine unabhängige „Instanz“, die natürlich auch kontrolliert werden muss. Sie soll eine Anlaufstelle bieten und auch letztendlich ein Ruhepol sein. Sie muss Menschen erst einmal eine Anlaufstelle bei Fragestellungen bieten. Sie muss eine sein, die Hilfe an die Hand gibt, aber auch eine, an der ich mich selbst mit Informationen ausstatten kann und die ich selber dann verbreiten kann. Also das digitale Storytelling betreiben. Dann muss sie auch gewährleisten, dass Menschen da sind, die Seelsorge betreiben. Und natürlich, was ganz wichtig ist: Menschen brauchen Rechtsberatung im Netz. Da haben wir einen riesengroßen Mangel. Wenn ich von irgendjemandem Morddrohungen oder ähnliches bekomme und damit nicht umgehen kann, muss ad hoc, wenn ich Angst habe, jemand greifbar sein, der mich weiter verweisen oder sagen kann, welche entsprechende Schritte ich einleiten kann. Gleichzeitig muss diese Plattform dann mit dem Plattformbetreiber direkt in Kontakt stehen. Das ist nichts, was man von heute auf morgen schaffen kann, sondern was sich über Jahre hinweg entwickeln muss. Aber wir brauchen eine Demokratie stärkende Plattform.
BUCHINFORMATION
André Wolf: Angriff auf die Demokratie: Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern | gebunden | 208 Seiten | edition a | ISBN 978-3-99001-491-2 | 22,- Euro