Ankündigung, Absage, Verschiebung und, ja, auch Kündigung und Kurzarbeit. Arbeitskräfte der „Brang-che“, wie es Volker Schlöndorff immer so schön deutsch ausspricht, obwohl er eigentlich super Französisch kann, sind ge- und betroffen. Diese Worte mit den Endungen -gung und -bung sind alle Corona bedingt aktuell, und sie haben 2020 eben auch das Film- und Kino-Geschäft hart mitgenommen. Und es ist ja noch nicht ausgestanden. „Kann man das Kino impfen?,“ mit dem Ziel einer sicheren Zukunft. Der einzige Impfstoff, der da wirkt, ist wohl GELD. Und das kommt von uns und / oder von einer Förderung. Das wäre in den meisten Fällen dann auch von uns, halt über Eck. Zurzeit sucht sich das Geld neue Kanäle des Versickerns. Das Online-Geschäft kommt mir vor, wie der Wechsel vom Pferd zum Traktor, unaufhaltsam. Die „Bestelleritis“ liegt im Trend und flammt durch Corona auf wie ein Feuer nach einem ordentlichen Luftzug. Naja, und die „Luft“ fehlt dann halt an anderer Stelle. Persönliche Kontakte vermeiden ist das Gebot des Ziels, sich und andere nicht anzustecken. Und wenn der Zusteller den Stapel DVDs bringt, hat er ja eine Maske auf oder er knallt das Päckchen einfach vor die Tür. Besonders eine Firma ist ja bekannt dafür, die mit der selbstorganisierten Auslieferung. Paradox: Dem Einzelhandel geht es summa summarum wider Erwarten gut. Bloß Kleidung geht gar nicht. Adler zum Beispiel hat Insolvenz angemeldet. Wir lümmeln gezwungenermaßen alleine zu Hause herum und da hätten wir es gerne bequem. Mir klingt die rheinische Betonung von Jogginganzug im Ohr und die Worte meiner Nachbarin gegenüber, wenn ich dann doch mal aus dem Haus gehe: „Herr Kling, Se haben noch „de Laaaatschen“ an!“ Meine Frau holt ihre Jugend nach, auf dem Sofa, sozusagen im Jogginganzug. Oder ist es die verlorene Freizeit, die ihrem früheren Beruf als Nationalbibliothekarin zum Opfer fiel? Wie auch immer, die Zeiten des erzwungenen Schick-Seins sind vorbei. Das kleine Schwarze und all die anderen haben Pause. Elisabeth arbeitet ganze Staffeln des amerikanischen, des französischen und auch des deutschen Filmschaffens ab, im Liegen.
Die Geburt des Fernsehens legte den Grund- oder soll ich sagen Grab-Stein zum ersten Aus vieler Kinos. Aus wie Off, aber nicht wie Off Broadway. Die Geschichte des Fernsehens in Deutschland begann zwar schon 1935, der Regelbetrieb und die massenhafte Verbreitung folgten jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab den späten 1950er Jahren kam es dann in Folge zum ersten großen Verdunsten und Verdursten. Das Wort „Kino“ war mal gerade 60 Jahre jung und schon gab es ein neues „Anti-Wort“: Kinosterben.
Die persönliche Rache eines Cineasten am Kasten, der alles kaputt gemacht hat? „Ihre Hirnschale werde ich auch noch als Aschenbecher benutzen“, soll analog ein böser Arzt mal zu seinem verhassten Kollegen gesagt haben. Trinken wir mal einen Schluck No 9 auf Thomas Schlund. Er hat die Bar gebaut und auch das Bild gemacht.
In der BRD sackten die Besucherzahlen von 817 Millionen (1956) auf 443 Millionen (1962) und auf 149 Millionen (1972). „In der Hoffnung auf viele friedlich-farbige, aber auch spannend-farbige Ereignisse“ startete Willy Brandt in Berlin vor laufenden Kameras auf dem Gelände der Internationalen Funkausstellung 1967 lächelnd das deutsche Farbfernsehen.
1959 gab es in der Bundesrepublik so viele ortsfeste Filmtheater wie nie zuvor: 7.085 mit 2,9 Millionen Sitzplätzen. Zehn Jahre später verzeichnete die Statistik der SPIO gerade noch 3.739. Mit der Neuformierung des Kinoangebotes vor allem durch den Bau der Schachtelkinos und der Cinemaxx-Komplexe folgte in den 1980ern und 1990ern ein zweites Kinosterben.
Das war letztendlich auch das Problem des Jülicher Capitol-Kinos gegenüber von Kaiser´s. Ach das gibt es ja auch schon nicht mehr. Also gegenüber von Netto in der Großen Rurstraße mit dem praktischen Parkplatz davor. Manch ein Kinogänger hatte sein Auto nach dem Film hinter der Schranke stehen lassen und zu Fuß nach Hause gehen müssen. Die Familie Engelbrecht als Pächter wollte zusammen mit dem Besitzer, Schüssler, auch das Capitol zerteilen. Oder besser, sie wollten die ganze Grundstücks-Torte bis zur Straßenecke in ein neues großes Kino nach Art eines Multiplexes verwandeln. Du gehst abends einfach hin, stellst Dich vor die Ankündigungen und wählst vor Ort aus. Tja, und warum wurde nichts aus der Verwandlung? Weil die Eigentümer der kleinen Kneipe, die heute eine Pension ist, ihr Grundstück nicht verkauft haben. Aber es gibt ja das liebe KUBA-KINO.
Die Jülicher Stadthalle, die nun abgerissen wird, war ursprünglich auch ein Kino. In Aldenhoven-City, wie ich immer gerne sage, denn ich wohne ja in Aldenhoven-Pampa, gibt es noch ein Zeugnis der Kino-Abwärtsspirale. Die Spielhölle in der Frauenrather Straße war einmal ein „Lichtspielhäuschen“. Aber das ist lange her.
Die aufkommende und dann immer besser werdende Technik, Filme auch speichern zu können, hatte ihren Anfang 1976. In Japan kam das Video Home Systems, VHS, auf den Markt. Heute haben wir (noch) DVDs und als Nachfolger die Blu-Ray Discs. Wir erleben eine Verunendlichung des TV-Angebots mit der Möglichkeit des zeitversetzten Schauens und wir sind den Verlockungen von Netflix und anderen Anbietern erlegen. Allein über das Internet könnten wir 24/7 Tag und Nacht durchgehend bis zu unserem Lebensende Filme schauen. Wollen wir das?
Natürlich ist das Kinosterben aus vielerlei Sicht traurig. Die Gemeinschaft fehlt. Eine Kultur geht zu Ende. Die Bauten, einst Tempel der Leinwandgöttinnen und -götter, mutieren zu einem Waren- oder wie in Jülich zu einem Wohn-Haus. Eine grandiose Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum zeigte bis 2015 unter dem Titel „Filmtheater“ großformatige Fotos dokumentiert vom Pariser Fotografen-Duo Romain Meffre und Yves Marchand über die Schicksale einst ebenso „großformatiger“ Kinopaläste in den USA. Bilder des Verfalls. Lost Places sind inzwischen ganz allgemein ein beliebtes Sujet von Fotografen. Kein Glanz mehr im „Gloria“. So hieß übrigens auch die ursprünglich als Kino erbaute Stadthalle in Jülich. Im Kinosaal stehen jetzt Schulbusse.
Das State Theater, West Orange, NJ, 2009, eines der Fotos des Duos Romain Meffre & Yves Marchand, bis Anfang 2015 zu sehen in der Ausstellung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt.
Und dann auch noch Corona! Rien ne vas plus – nichts geht mehr. Game over? Die Berlinale Ende Februar 2020 ist noch knapp an der Schließung vorbeigeschrammt. Die unmittelbar darauf folgende Tourismusmesse wurde gar nicht erst eröffnet. Die Nordischen Filmtage in Lübeck im November 2020 hatten schon alles vorbereitet für den Normal-, mussten aber last minute zurückrudern auf einen reinen Online-Betrieb. (Über Atomkraft Forever und andere Filme aus Lübeck siehe unter: QR-Code) Nicht besser geht es den immer im Januar und Februar kurz aufeinander folgenden großen Filmfestivals in Rotterdam, Göteborg und Berlin.
Thomas Alva Edison (1847-1931), der US-amerikanische Erfinder und Unternehmer mit dem Schwerpunkt auf dem Gebiet der Elektrizität und Elektrotechnik hat einmal gesagt:
„Ich bin fest davon überzeugt, dass es für den Tonfilm einen Markt gibt.“ Ich denke, er wird für immer Recht behalten, bloß habe ich derzeit ein wenig Angst um die „Markthallen“.
ATOMKRAFT FOREVER
2022 steigt Deutschland endgültig aus der Atomkraft aus: Das letzte Atomkraftwerk wird abgeschaltet, weil die Erfahrung von Fukushima (GAU im März 2011) gezeigt hat, dass das Risiko zu hoch ist und die Technik nicht beherrschbar. Doch damit ist das nukleare Problem nicht gelöst. Wie wäre es mit einer Kleinanzeige: Suche Endlager, das eine Million Jahre und die nächsten zehn Eiszeiten übersteht. Auf Deutschland lasten nicht nur hohe Schulden, sondern auch Zigtausende Tonnen radioaktiven Mülls, dessen Lagerung völlig unklar ist. Gefährlicher Rückbau der Kraftwerke, der Jahrzehnte dauern und viele Milliarden Euro verschlingen wird. Und europäische Nachbarn, die an der vermeintlich sauberen Kernenergie festhalten: Von 27 EU-Staaten betreiben 13 Atomkraftwerke – und der Ausbau geht weiter. Der Kino-Dokumentarfilm ATOMKRAFT FOREVER von Carsten Rau wirft einen profunden Blick auf das nukleare Erbe von gestern, heute und „überübermorgen“. Wie verhalten wir uns gegenüber der französischen Atomindustrie, wenn sie den deutschen Ausstieg als „lächerlich“ verhöhnt und noch mehr Atom-Kraftwerke will?
Der Film ist aufwändig recherchiert, bleibt durchgehend sachlich und entwirft ein gutes Bild auf die aktuelle Situation Deutschlands im Kontext der Nachbarstaaten. Er schlägt sich auf keine Seite der ideologisch geführten Debatte und hat mir sehr geholfen, mein eigenes Bild zu fukushimen, sorry, zu fokussieren.
Der Autor, Regisseur und Produzent Carsten Rau wurde 1967 in Hamburg geboren. Er studierte Politische Wissenschaften und Geschichte. Von 1993 bis 2006 arbeitete er als Reporter für das NDR Fernsehen. 2006 gründete er zusammen mit Hauke Wendler die Filmproduktionsfirma PIER 53, die auch ATOMKRAFT FOREVER produziert hat.
Kinostart ist der 18. März 2021, und hoffentlich ist er auch bald im Kuba-Kino zu sehen. Für Jülich ist der Film ein MUSS, das versteht sich von selbst.
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