Im Stammhaus Jülich sollen Menschen mit Behinderung nicht nur betreut und versorgt werden. Vielmehr gehe es darum, dass das Leben im Stammhaus aktiv, kreativ und soweit wie möglich auch selbstbestimmt sei, sagt die Einrichtungsleitung Melanie Bickschäfer.
Die Idee dazu entstand zwischen Eltern. „Alles begann wohl mit einem dreijährigen Christoph und drei weiteren Kindern, die zusammen in den Kindergarten gingen“, sagt Willi Beckers, der Vater von Christoph Beckers und Vorstandsmitglied im Stammhaus-Verein. Sein Sohn wohnt seit der Eröffnung des Stammhauses am 1. Februar 2006 dort. „Wie geht es weiter?“, war die entscheidende Frage. Die Eltern hatten das Ziel, die Kinder in die Gesellschaft zu integrieren. „Nun, wir fanden eine Schule in Aldenhoven, an der ich rein zufällig Schulleiter war. Als die Kinder dann erwachsen waren, müssen sie irgendwo wohnen. Es ist ein knallharter Bedarf.“
Nach langer Suche sei man in Jülich fündig geworden. Mit drei Wohnungen á sechs Personen sei man im Jahr 2006 gestartet. Man sei mit dem Freundeskreis in das Stammhaus eingezogen, sagt Bewohnervertreter Christoph Beckers. 2010 ein Besprechungs- und Freizeitraum, dann 2013 die Erweiterung: weitere Apartments. Dabei auch einige Wohnungen für einzelne Personen, um noch mehr Selbstbestimmtheit zu ermöglichen. 2016 wurden weitere Wohnungen in der Aachener Straße angemietet. 2019 – noch mehr Wohnungen. 2020 und 2021: weitere Wohnmöglichkeiten für 16 Bewohner in der Schirmerstraße. Gerade werden hier die letzten Arbeiten ausgeführt. Die Bewohner sind bereits eingezogen. Ungefähr 55 Mitarbeiter kümmern sich heute um soziale Betreuung, Pflege, Hauswirtschaft, Verwaltung und Leitung der Einrichtung. Was wie ein schnelles Wachstum erscheint, deckt den Bedarf noch lange nicht. Nach Angaben von Bickschäfer stehen alleine beim Stammhaus Jülich noch 90 Bewerber auf der Warteliste – nicht wissend, ob eine Zusage irgendwann überhaupt möglich ist. Mit der Beratungsstelle versucht man, den unstillbaren Bedarf wenigstens ein wenig abzumildern. „So gut wie es eben geht“, sagt die Einrichtungsleitung.
Aber genug der harten Fakten. Im Stammhaus Jülich sollen Menschen gemeinsam leben können und auch Hobbys und Freizeitaktivitäten nach Gusto ausleben. „Jeder macht das nach seinem eigenen Bedarf“, sagt Christoph Beckers, und der Geschäftsführer Wolfgang Brauers: „Mit seinen eigenen Talenten und Schwächen.“ So sind über die Jahre eine Gruppe für Rollstuhlbasketball, die Musikband „Authentics“, eine Töpfergruppe, Schwimmgruppen, Fitnessgruppen und das Dartteam „HandpowerEffects“ entstanden. Darüber hinaus gibt es die Stammhausnachrichten, in der mit dem Herausgeber Christoph Beckers Bewohner über alles Mögliche berichten. „Und wir entwickeln uns ständig weiter“, sagt Bickschäfer. Auch die Corona-Pandemie habe man gut bewältigt. Langweilig sei es nie geworden, und auch kein einziger Fall sei in der Einrichtung zu verzeichnen.
Trotzdem ist das ursprüngliche Ziel, die vollständige Inklusion, noch nicht erreicht. „Die Barrieren sind noch zu groß“, sagt Christoph Beckers. Er selbst merkt das außerhalb des Stammhauses auf verschiedene Weise. Als Rollstuhlfahrer hat er den einen oder anderen Kampf mit Bordsteinkanten auszufechten. Auch würden sich manche Leute ihm gegenüber komisch verhalten – auch wenn dies mit den Jahren schon viel besser geworden sei. „Die Akzeptanz muss noch weiter gehen“, sagt Einrichtungsleitung Melanie Bickschäfer mit einem Blick, der der Zukunft keine Zweifel lässt.
Mitglied werden
„Inklusion beginnt im Kopf“, heißt es auf einem neuen Aktionsplakat des Stammhauses. Der hauseigene Verein hat sich neuen Mitgliedern auch von außen geöffnet. Jeder kann Mitglied werden. Informationen hierzu können über die Mailadresse [email protected] angefragt werden.