Obwohl ich mittlerweile eines Bessern belehrt wurde, habe ich – geprägt von Kindheitstagen – nach wie vor bei dem Wort „Kantor“ ein ganz bestimmtes Bild im Kopf. Nämlich das eines knöchrigen, knurrigen, älteren Mannes, der der Welt bereits abhanden gekommen ist. Diese alte Gedankenbastion ist bei mir seit dem Gespräch mit Christof Rück endgültig zusammengebrochen. Der 36-Jährige entspricht gar nicht dem alten Zopf in meinem Kopf. Offenes, sympathisches Gesicht – helle, aufmerksame Augen. Mit ganz klaren Zielen und Vorstellungen zu seiner neuen Tätigkeit in Jülich, alles andere als weltentrückt, sondern bereit zum Dienst am Nächsten. Mit seiner 4-köpfigen Familie sozusagen mitten im Leben stehend. Im Frühjahr 2014 ist die Jungfamilie vom Saarland nach Jülich gezogen, denn Rück ist seit 1. Juli vergangenen Jahres Kantor und koordinierender Kirchenmusiker der „Heilig-Geist-Gemeinschaft“ mit 16 fusionierten Pfarreien. In dieser Funktion verantwortet er auch die Leitung und Förderung der Chorgemeinschaften und Kirchenmusik sowie die Koordination aller kirchenmusikalischen Dienste in besagten Gemeinden.
HERZOG: Bei dieser großen Gemeindeanzahl, die du betreust, ist sicherlich eine Menge Verwaltungsarbeit zu erledigen. Kommt die Musik nicht zu kurz?
Rück: (lacht) Nein, was ein Glück nicht. Aber es stimmt, die zentrale Regelung aller Dienste der verschiedenen Gemeinden, also Taufen, Beerdigungen, Gottesdienste, Organistenbetreuung usw., nimmt einen großen Teil der Arbeit ein. Ich sitze daher auch viel im Büro. Neu ist für mich allerdings, dass ich ein eigenes habe, was purer Luxus ist. Die Arbeit mit den Ensembles findet größtenteils abends statt.
HERZOG: Aber abends kannst du nicht mit Kindern singen?
Rück: Nein, keine Sorge, sie kommen alle pünktlich ins Bett.
HERZOG: Abends also Stimmbildung mit Erwachsenen. Welche Ensembles sind das etwa?Rück: Das sind zum einen der Propsteichor und zwei Chöre, einmal in Koslar und in Lich-Steinstraß.
HERZOG: Ich habe erst letztens einiges über den Jülicher Dialekt gelernt. Hörst du eigentlich bei den Jülicher Sängern die Mundart heraus?
Rück: Also, im Vergleich zum Saarland singen die Jülicher das beste Hochdeutsch, ich denke, du kennst „Familie Heinz Becker“? Nee, im Ernst, so arg wie jetzt dargestellt, war es im Saarland keineswegs, aber hier habe ich es schon wirklich mit geschulten Chorsängern zu tun, die machen das gut, ab und an merkt man die Herkunft am „ch“.
HERZOG: Mit deiner Einstellung hat die Heilig-Geist-Pfarrei ein Exempel gesetzt und dafür gesorgt, dass wir bei schwindender Anzahl von Kirchenmusikern weiterhin in Jülich hochqualitative Kirchenmusik in den Gemeinden hören können. Das ist vorausschauend gedacht, oder?
Rück: Ja, man kann es so einfach sagen: Die Musik ist elementar für die Zukunft der Kirchengemeinden. Sie ist die Chance, um zukünftig Menschen in die Kirche zu bringen, die evtl. nicht mehr dorthin gehen würden und dann doch durch die Musik beglückende Begegnungen und Erlebnisse haben, die sie als „Gerüst“ für ihren Lebensalltag mitnehmen können. Musik ist einfach ein wunderbares Mittel, um Gemeinschaft zu pflegen. Das ist auch für unsere Großgemeinde das verbindende Element.
HERZOG: Wenn auch noch in 30 Jahren die Gemeinden lebendig sein wollen, ist es doch wichtig, dass schon Kinder jetzt Musik machen, oder?
Rück: Ja, das stimmt, aber unabhängig von der Bedeutung der Musik für ein lebendiges Gemeindeleben, ist es mir persönlich auch wichtig, zu zeigen, dass Musik gerade in Form des Singens erwiesenermaßen einen unglaublich positiven Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung und das Selbstverständnis eines jeden Menschen hat. Das habe ich z.B. im Saarland, aber auch schon sechs Jahre zuvor in Bonn bei meiner Arbeit als Kantor mit Kindergartenkindern und Grundschulkindern erlebt und das versuche ich jetzt auch hier in Jülich.
HERZOG: Du singst also mit den Kleinsten in Kindergärten und Schülern in Schulen?
Rück: Ja, ich habe hier alle Kindergärten kontaktiert. Derzeit bin ich regelmäßig im Kirchberger Kindergarten, aber ich freue mich natürlich, wenn das Angebot noch von anderen Kindergärten angenommen wird. Es macht einen unglaublichen Spaß zu sehen, wie gerne die Kinder mitmachen, bei Liedern, die auch den ganzen Körper und die Motorik einbeziehen wie etwa bei „Kopf, Schulter, Knie und Fuß“. Die Kinder erzählen zuhause von ihrem Spaß beim Singen und die Eltern geben mir positives Feedback wie etwa:„ Toll, mein Kind singt ja!“
HERZOG: Jetzt mal eine gemeine Frage: Singst du denn für die Kinder auch hoch genug? Es ist ja bekannt, dass das Gehör der Kinder gerade auf die Obertöne anspricht und oftmals wird den Kleinen von den Erwachsenen zu tief vorgesungen. Wie siehst du das?Rück: Nun, es ist wohl so: Sind Ohren und Stimmwerkzeug ohne angeborene Dysfunktionen, wird kein Kind als Brummer geboren. Das entwickelt sich z.B. nur dann, wenn ein Kind ständig zu tiefe Töne vorgesungen bekommt. Daher ist es ganz wichtig, dass Erwachsenen sich trauen, ruhig mal nach ihrem Gefühl „hoch“ zu singen, da ist dann meistens immer noch Luft nach oben möglich.
HERZOG: Du machst sozusagen bei den Kleinsten Aufbauarbeit beim Singen. Wie geht‘s dann weiter?
Rück: Es geht ja nicht darum, irgendwo blind anzufangen, sondern meine Vorstellung ist es, ganz systematisch und altersgestaffelt, ähnlich einer Leiter, strukturierte Bildungsangebote zu schaffen. Also, für das Kindergartenalter einen Vorschulchor, im Alter der Klassen 1-2 einen B-Chor, 3.und 4. Klasse einen A-Chor und für Jugendliche einen weiterführenden Chor. Und das Schöne ist ja hier in Jülich: Es ist unglaubliches Potenzial vorhanden, es gibt so viele Familien hier mit Kindern, deren Bildungsdurst groß ist, aber die es sich auch nicht finanziell erlauben können, ein fundiertes Singangebot anzunehmen. Das können wir als kirchlicher Träger dann auffangen. Eine große Herausforderung sehe ich noch darin, sich mit den unterschiedlichen Singangeboten in Jülich – siehe Singschule Overbach oder Vocalwerkstatt – abzustimmen und vielmehr Allianzen zu knüpfen, als sich gegenseitig das Wasser abzugraben.
HERZOG: Wenn Du deine Vorstellungen umsetzen willst, hast du noch viel Arbeit vor dir.
Wie willst du denn möglichst schnell auch Jugendliche für das Singen motivieren?
Rück: Wir haben vor einem Monat etwa das Projekt „Spirit“ ins Leben gerufen, das ist für Jugendliche von 14- 20 Jahren. Bis zum Sommer üben wir gemeinsam ein Stück ein, das in den Gospel-Jazz-Bereich fällt. Es heißt „Mainzer Messe“ von Thomas Gabriel und wird begleitet von Saxofon, Schlagzeug, Trompete und Posaune. Wir proben derzeit alle 14 Tage donnerstags um 18 Uhr in der Franz-von-Sales-Kirche. Die Aufführung ist für September geplant. Die Nachfrage ist gut, aber wir können noch Sänger gebrauchen. Die einzige Bedingung dafür ist: Spaß beim Singen haben, sonst nichts. Also, Jungs und Mädels, bitte gerne melden unter: